50 Jahre Kubakrise13 Tage bis zum Weltuntergang
Die Stationierung von sowjetischen Raketen auf Kuba führte vor 50 Jahren zur schwersten Krise im Kalten Krieg. Die Welt entging nur knapp der atomaren Vernichtung.
Die beiden Staatsmänner standen unter enormem Druck: US-Präsident John F. Kennedy musste sich den Forderungen seiner Militärs widersetzen, die Stationierung von sowjetischen Mittelstreckenraketen auf Kuba mit Bombenangriffen und einer Invasion der Karibikinsel zu kontern. Der sowjetische Partei- und Regierungschef Nikita Chrustschow wiederum erhielt vom kubanischen Revolutionsführer Fidel Castro ein Telegramm, in dem dieser im Fall eines US-Angriffs einem atomaren Gegenschlag verlangte. «Lieber Genosse Fidel Castro, ich finde deinen Vorschlag falsch», schrieb Chrustschow zurück.
Im Oktober 1962 hielt die Welt während 13 Tagen den Atem an. Der Kalte Krieg zwischen Amerika und der Sowjetunion drohte, in eine «heisse» Auseinandersetzung überzugehen – mit katastrophalen Folgen für die Menschheit. Nur mit Glück, und weil wichtige Akteure im entscheidenden Moment die Nerven behielten, konnte das Schlimmste abgewendet werden. Die Kubakrise trug wesentlich zum Mythos von John F. Kennedy bei, denn damals galt er als grosser Sieger. Erst später erfuhr man, dass auch er nachgegeben hatte.
Die Vorgeschichte
Der Kalte Krieg hatte sich zu Beginn der 60er Jahre gefährlich zugespitzt. Im April 1961 war die Invasion in der Schweinebucht auf Kuba – ein vom US-Geheimdienst CIA organisierter Versuch, das Revolutionsregime von Fidel Castro zu stürzen – jämmerlich gescheitert. Im August begann die DDR mit dem Bau der Berliner Mauer. Die USA hatten ausserdem atomar bestückte Jupiter-Raketen in Italien und der Türkei stationiert. Weil Amerika damals weit mehr Atomwaffen besass, fühlte man sich in Moskau zunehmend bedroht. Zum Ausgleich wurden im Juli 1962 heimlich Mittelstreckenraketen nach Kuba gebracht.
Amerikanischen Spionageflugzeugen vom Typ U-2 gelang es, die Raketenstellungen zu fotografieren. Am 16. Oktober wurden die Bilder Präsident Kennedy vorgelegt. Er berief eine Krisensitzung ein, an der verschiedene Optionen besprochen wurden, von Nichtstun bis zu einer Invasion Kubas. Die Generäle plädierten klar für letzteres, allen voran Luftwaffenchef Curtis LeMay, ein «Kommunistenfresser», der auch schon für einen massiven Nuklearangriff auf die Sowjetunion plädiert hatte. «Schlagen wir zu, zerstören wir Kuba», soll LeMay laut dem damaligen Verteidigungsminister Robert McNamara gesagt haben.
Erfolgreiche Blockade
Der Präsident und sein Bruder, Justizminister Robert Kennedy, widersetzten sich den Kriegsgurgeln. McNamara plädierte für eine Seeblockade der Insel. Nach weiteren Abklärungen stimmte John F. Kennedy zu. Am 22. Oktober verkündete er in einer Fernsehansprache die Existenz der Raketen und die Verhängung der Blockade (siehe Video unten). Sie trat zwei Tage später in Kraft, nachdem rund 200 US-Kriegsschiffe in Stellung gebracht worden waren. Die sowjetischen Schiffe mit Kurs Kuba drehten ab, zur Erleichterung der Welt.
Doch die Krise war nicht ausgestanden. Weil kein direkter Draht zwischen Weissem Haus und Kreml existierte (das «rote Telefon» wurde erst nachträglich installiert), kam es zu Verwirrungen und Missverständnissen. Am 26. Oktober bot Nikita Chrustschow in einem sehr persönlichen Schreiben an, die Raketen abzuziehen, falls die USA eine Invasion Kubas ausdrücklich ausschlossen. Präsident Kennedy war einverstanden, doch tags darauf traf ein weiterer, formellerer Brief ein. Darin forderte Moskau zusätzlich den Abzug der Jupiter-Raketen aus der Türkei.
Der «schwarze Samstag»
Der 27. Oktober ging als «schwarzer Samstag» in die Geschichte ein, denn zwei Ereignisse hätten beinahe zu einer Eskalation geführt. Ein US-Zerstörer versuchte, das sowjetische U-Boot B-59 mit Wasserbomben zum Auftauchen zu zwingen. Dieses war mit Nuklearwaffen ausgerüstet. Der Kapitän glaubte, der Krieg habe begonnen, und wollte einen Gegenschlag durchführen. Doch einer der Offiziere an Bord, Wassili Archipow, soll sich geweigert und auf weitere Befehle aus Moskau bestanden haben. Was an Bord des U-Boots wirklich geschah, ist umstritten, doch für «Bild» ist Archipow der Mann, «der die Welt rettete».
Beinahe hätte auch das nichts genützt, denn am gleichen Tag wurde eine U-2 über Kuba von einer Rakete abgeschossen. Pilot Rudolf Anderson kam ums Leben. Die Militärs in Washington wollten losschlagen, doch John F. Kennedy weigerte sich. Der Präsident wollte abwarten, ob sich ein weiterer derartiger Vorfall ereignete, und ordnete Geheimhaltung an. Der Entscheid erwies sich als segensreich, denn nachträglich erfuhr man, dass ein sowjetischer Offizier den Abschuss eigenmächtig befohlen hatte.
Am Ende war es Glück
Am Abend jenes «schwarzen Samstags» kam es in Washington zu einem Geheimtreffen zwischen Robert Kennedy und dem sowjetischen Botschafter Anatoli Dobrynin. Die US-Regierung bot den Abzug der Jupiter-Raketen an, Chrustschow akzeptierte. Am 28. Oktober wurde der Deal besiegelt: Die sowjetischen Raketenstellungen wurden demontiert, im Gegenzug erklärten sich die USA zu einem formellen Verzicht auf eine Invasion Kubas bereit. Der Abzug der Jupiter-Raketen wurde geheim gehalten – zum Vorteil von John F. Kennedy.
Wie nahe die Welt am Abgrund stand, wurde erst später bekannt. Denn die Sowjetunion hatte nicht nur Raketen, sondern auch rund 80 Atomsprengköpfe nach Kuba gebracht. Man habe nicht ernsthaft damit gerechnet, gab Robert McNamara 2002 an einer Konferenz in Havanna zu. Er habe lange geglaubt, dass die Krise in erster Linie hervorragend gemanagt worden sei: «Doch am Ende dieser ausserordentlichen 13 Tage spielte das Glück eine grosse Rolle dabei, dass ein Atomkrieg um Haaresbreite vermieden werden konnte.»
Kubakrise in Echtzeit
50 Jahre nach der Kubakrise lassen sich die damaligen Ereignisse auf Twitter in Echtzeit nachverfolgen. Der amerikanische Journalist und Buchautor Michael Dobbs hat das Projekt zusammen mit dem Magazin «Foreign Policy» ins Leben gerufen. Die renommierte Zeitschrift hat zum Jahrestag auch ein umfassendes Online-Dossier zusammengestellt.