Die mysteriösen Schätze der Schweizer Seen

Aktualisiert

Stumme ZeitzeugenDie mysteriösen Schätze der Schweizer Seen

In den hiesigen Gewässern schlummern dutzende Wracks aus allen Epochen der Geschichte. Sie ziehen Taucher magisch an und lassen Landratten träumen.

von
Jean-Claude Gerber

Der Fund eines bisher unbekannten Wracks im Genfersee Mitte Juli hat ein Gebiet in den Fokus gerückt, das seit jeher die Fantasie der Menschen anregt: die Tiefen der Schweizer Seen und die vielen geheimnisvollen Schätze, die sich dort verbergen. Die Wracks versunkener Schiffe, Flugzeuge und Autos üben eine ganz besondere Faszination aus. Sie liegen oft in kaum erreichbaren Tiefen, meist ist nur wenig über sie bekannt - was einen fantastischen Nährboden für allerlei Spekulationen schafft - und schliesslich sind Wracks eigentliche Zeitkapseln, die auch heute noch Einblick in Technik und Lebensumstände ihrer Epoche geben können.

Das wohl bekannteste Wrack in einem Schweizer See ist das des Schaufelraddampfers «Jura» vor Bottighofen im Bodensee. Die Jura wurde 1854 von Escher-Wyss in Zürich gebaut und tat ihren Dienst erst auf dem Neuenburgersee. Ab 1862 fuhr sie dann als Ersatz für das gesunkene Dampfschiff «Ludwig» auf dem Bodensee. Die Lindauer Dampfschiffahrts-Inspektion hatte allerdings wenig von ihrem neuen Schiff. Am 12. Februar 1864 kollidierte die «Jura» im dichten Nebel mit der entgegenkommenden «Stadt Zürich», die schon die «Ludwig» versenkt hatte. Die «Jura» sank in nur vier Minuten. Drei Menschen starben.

1953 wurde die «Jura» bei der Suche nach abgestürzten Weltkriegsflugzeugen zufällig in rund 38 Metern Tiefe entdeckt. Seither ist das Schiff eines der beliebtesten Ziele für Sporttaucher aus der ganzen Welt, da es in einer für erfahrene Taucher gerade noch erreichbaren Tiefe liegt. Doch der Abstieg zur «Jura» darf nicht unterschätzt werden. Inzwischen haben Tauchgänge zum Unglücksschiff mindestens so viele Opfer gefordert wie der eigentliche Untergang. Zuletzt kam dort 2008 ein Taucher ums Leben. Die «Jura» ist aber nicht nur für Taucher interessant. Als das älteste noch erhaltene Dampfschiff Europas wurde es vom Kanton Thurgau als Unterwasser-Industriedenkmal unter Schutz gestellt. Dieser Schritt erfolgte auch, weil sich Souvenirjäger jahrelang am bei seiner Entdeckung noch gut erhaltenen Wrack bedient hatten. Es ist ein Schicksal, das die «Jura» mit anderen, wenn auch weniger spektakulären Wracks in Schweizer Seen teilt.

Passionierte Schatzsucher

Manche Wracks liegen aber auch noch völlig unberührt in hiesigen Gewässern. Sie befinden sich in grosser Tiefe und somit ausserhalb der Reichweite von Sporttauchern. Eines der spektakulärsten ist die «Rhône», ein Dampfschiff, das 1883 zwischen Lausanne und Evian im Genfersee gesunken ist. Es wurde Anfang der Achtzigerjahre vom Lausanner Unterwasserforscher Gilbert Paillex mit seinem selbstentwickelten Tauchroboter in rund 300 Metern Tiefe entdeckt. Für Menschen kaum zugänglich wurde das berühmte Schiff Mitte Juni verschiedene Male von den russischen U-Booten «Mir 1» und «Mir 2» im Rahmen des Forschungsprojektes «Elemo» besucht. Die U-Boote lieferten eindrückliche Bilder des unberührten Wracks.

Besuch eines «Mir»-U-Bootes bei der «Rhône» (Quelle: Elemo2011/YouTube)

Gilbert Paillex ist wohl der fleissigste Wracksucher der Schweiz. Im Genfersee hat er bis heute rund 60 Objekte entdeckt, darunter auch vier Güterwagen der Eisenbahngesellschaft Ligne d'Italie, die am 8. Juni 1859 von einem Transportschiff in den Léman gefallen sind. 2003 gelang ihm erneut ein spektakulärer Fund. In 300 Metern Tiefe stiess er mit seinem Tauchroboter auf das letzte im Genfersee untergegangene Dampfschiff, die «Nemo». Die 21 Meter lange Luxusyacht gehörte einem französischen Arzt und sank am 1. Oktober 1875. Paillex ortete das Schiff zuerst mit dem Echogerät seines Forschungsschiffes und liess dann seinen Roboter tauchen. Die Bilder, die dieser an die Oberfläche sendete, liessen keinen Zweifel: Es ist die «Nemo», die fast vollständig intakt auf dem Grund des grössten Schweizer Sees liegt.

Einen speziellen Schatz birgt auch der Thunersee. Vor Oberhofen liegt in über 100 Metern Tiefe die «Bellevue». Der Raddampfer wurde Mitte 2002 vom Hobbytaucher-Team Blue Water Search entdeckt. Das Schiff hatte seine besten Zeiten schon hinter sich, als es am 2. April 1864 in einem schweren Sturm sank. Bei ihrer Jungfernfahrt 1835 war die «Bellevue» das erste Dampfschiff auf dem Thunersee, wo sie in der Folge sechs Jahre lang Passagiere beförderte. Anschliessend stand sie auf dem Brienzersee als «Faulhorn» im Dienst. 1860 waren ihre Tage als Passagierschiff wegen ihres hohen Brennstoffverbrauchs gezählt. Die Schaufelräder wurden demontiert und das einst stolze Schiff wurde zum Lastkahn umgebaut. Auch das Wrack der «Bellevue» ist aufgrund seiner Lage in den Tiefen des Thunersees bis zu einer allfälligen Bergung weitgehend vor Wrackplünderern geschützt. Das Schicksal der «Jura» dürfte ihr erspart bleiben.

Oldtimer im Vierwaldstättersee

Doch nicht alle Wracks stammen aus historischer Zeit. Für Aufsehen sorgte die 1999 im Vierwaldstättersee versunkene «Vitzanove». Das 60-Personen-Boot sank während des Sturms «Lothar» 180 Meter vor Vitznau. Die zwei Männer an Bord, darunter der Besitzer, konnten sich im 5 Grad kalten Wasser ans Ufer retten, nachdem das Boot leck geschlagen war. Seither liegt die «Vitzanove» in 114 Metern Tiefe. Obwohl hunderte Liter Dieselöl und Motorenöl an Bord vermutet werden, sind Anstrengungen, das Boot zu heben, aufgrund der hohen Kosten im Sand verlaufen, trotz Engagement der Seeanrainer und Greenpeace. Diese «moderne» Schiffsleiche wird den Vitznauern noch länger erhalten bleiben.

Das wohl legendärste Wrack im Vierwaldstättersee ist aber kein Schiff, sondern ein Auto. An einem geheimen Ort liegt der Wagen, in dem die belgische Königin Astrid am 29. August 1935 ums Leben kam. Das Unglücks-Cabrio wurde in den Tagen nach dem Unfall in Küssnacht am Rigi schnell zu einer Touristenattraktion. Der trauernde König Leopold III. liess den Wagen der US-Marke Packard deshalb wenige Wochen später am tiefsten Punkt des Sees versenken. Bis heute hüten die wenigen Menschen, die wissen, wo das Wrack liegt, das Geheimnis wie ihren Augapfel. Und das ist gut so, denn kaum etwas beflügelt die Fantasie der Menschen so sehr wie ein unerreichbares Wrack am Grund eines tiefen Gewässers.

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