370 Jahre Westfälischer FriedeWar das die Geburt der unabhängigen Schweiz?
Für Christoph Blocher erlangte die Schweiz mit dem Ende des 30-jährigen Krieges die Unabhängigkeit vom Deutschen Reich. Ein Historiker widerspricht.
Der 30-jährige Krieg, der 1618 mit dem Prager Fenstersturz begann, dürfte im Deutschen Reich etwa sechs Millionen Menschen das Leben gekostet haben. Nach zähen Verhandlungen in Münster und Osnabrück endete er am 24. Oktober 1648. Weil die Tagungsorte in Westfalen liegen, spricht man vom Westfälischen Frieden.
Die Eidgenossenschaft war von diesem Gemetzel verschont geblieben. Sie hatte sogar davon profitiert, weil sie Lebensmittel in die kriegführenden Staaten hatte exportieren können. Dennoch war sie in Münster mit einer Delegation vertreten, die vom Basler Bürgermeister Johann Rudolf Wettstein angeführt wurde. Warum?
Exemtion
Um das zu verstehen, müssen wir ins Jahr 1499 zurückblicken. Damals endete der Schwabenkrieg (in Deutschland heisst er Schweizerkrieg) zwischen der Eidgenossenschaft und dem Schwäbischen Bund mit dem Frieden von Basel. Dabei gestand Kaiser Maximilian I. den damals zehn eidgenössischen Orten eine Exemtion (Befreiung) vom Reichskammergericht zu. Sie konnten sich damit die Steuer sparen, mit der dieser Gerichtshof finanziert wurde. Ihre inneren Konflikte lösten die Eidgenossen lieber mit Vermittlungsverfahren oder Schiedsgerichten.
Wettstein hat Erfolg
Diese Exemtion galt aber nicht für Basel, Schaffhausen und Appenzell, die erst nach 1499 der Eidgenossenschaft beigetreten waren. Noch 1643 hatte das Reichskammergericht Basler Waren beschlagnahmen lassen. Wettstein wollte in Münster erreichen, dass für die drei jüngsten Kantone dasselbe Recht galt wie für die zehn älteren. Das gelang ihm: Schon im Herbst 1647 erliess Kaiser Ferdinand III. ein entsprechendes Dekret, das dann auch Eingang in den Friedensvertrag von Münster fand.
Unabhängigkeit?
Hatte sich die Eidgenossenschaft damit vollständig vom Deutschen Reich gelöst? Diese Ansicht vertrat Christoph Blocher, als er 1998 in einer Rede sagte: «Wettstein erreichte vor 350 Jahren durch seine diplomatische Mission bei Verkündung des Westfälischen Friedens die europäische Anerkennung der (für die meisten eidgenössischen Orte im Grunde seit den ‹Schwabenkriegen› von 1499 geltenden) Souveränität.»
Der Historiker Thomas Maissen ist damit nicht einverstanden. In seinem Buch «Schweizer Heldengeschichten» weist er darauf hin, dass in Stans und Sarnen noch um 1720 der doppelköpfige Reichsadler das Ratshaus schmückte. Die katholischen Orte der Innerschweiz sahen im Reich weiterhin eine Rückversicherung gegen die protestantischen, wirtschaftlich übermächtigen Stadtkantone Zürich, Bern und Basel.
Faktische Souveränität
Dennoch wird man Blocher darin recht geben müssen, dass das Reich fortan keinen nennenswerten Einfluss auf die eidgenössische Politik mehr hatte. Wie Maissens Kollege Volker Reinhardt in seiner «Geschichte der Schweiz» schreibt, waren es nur noch Rückzugsgeplänkel, wenn Organe des Reichs gegen eidgenössische Souveränitätserklärungen Protest einlegten. Er fügt hinzu: «Die Eidgenossenschaft war zweihundert Jahre nach dem Zürichkrieg, in dem sie erstmals festere Umrisse gewonnen hatte, zu einem unabhängigen Staat geworden: eine föderale Republik zwischen mächtigen Monarchien.»