Unvergessene WM-MomenteDer Nichtangriffspakt von Gijón
Wie man ein Spiel auch «gewinnen» kann, demonstrierten Deutschland und Österreich 1982 in Spanien. Grosse Verlierer waren die Algerier – und das Fairplay.
Die Schande von Gijon. (Video: YouTube)
Ein Spiel dauert 90 Minuten, lautet eine der bekannten Binsenweisheiten, die das deutsche Trainer-Denkmal Sepp Herberger zu zitieren pflegte. Als Ausnahme von der Regel dient das Spiel vom 25. Juni 1982 in Gijón. Die letzte Vorrundenpartie der Deutschen an der WM in Spanien gegen Österreich dauerte exakt 11 Minuten, bis zum 1:0 durch Horst Hrubesch. Danach schlossen die beiden Mannschaften einen «Nichtangriffspakt»: Sie stellten für den Rest des Spiels jegliche Offensivaktionen ein und schoben den Ball nur noch hin und her.
Mit ohnmächtiger Wut verfolgte das Publikum das üble Treiben. Die spanischen Zuschauer riefen «fuera» (raus) und wedelten mit weissen Taschentüchern, wie beim Stierkampf, wenn sie ein Ende des Schauspiels verlangen. ARD-Kommentator Eberhard Stanjek nannte das Geschehen «schändlich» und trat in den Redestreik, sein österreichischer Kollege Robert Seeger empfahl den Zuschauern, den Fernseher abzuschalten. Und beim Schweizer Fernsehen wusste selbst Franz Beckenbauer als Ko-Kommentator nicht mehr, was er sagen sollte.
«El Anschluss»
Die Schlagzeilen in den internationalen Medien waren deftig: «El Anschluss» titelte eine spanische Zeitung, eine andere druckte den Matchbericht in der Rubrik «Unglücksfälle und Verbrechen» ab. Der niederländische «Volkskrant» bezeichnete das Trauerspiel als «Fussball-Porno». Leidtragende waren die Algerier, die zuvor Deutschland sensationell mit 2:1 besiegt hatten. Nun mussten die Spieler auf der Tribüne mit ansehen, wie sie von Deutschland und Österreich im wahrsten Sinn aus dem Turnier geschoben wurden, denn das 1:0 brachte beide Teams in die Zwischenrunde und Algerien nach Hause.
Algerische Fans im Stadion winkten mit Geldscheinen, sie witterten Bestechung. Die Hauptschuld an der «Schande von Gijón» aber hatte die FIFA. Ihr damaliger Modus sorgte dafür, dass Algerien sein letztes Gruppenspiel gegen Chile bereits am Vortag absolviert hatte. Deutsche und Österreicher wussten somit haargenau, was zu tun war, und liessen sich nach dem Erreichen des Wunschresultats gegenseitig in Ruhe. Verlierer waren die Nordafrikaner und das Fairplay.
Abgekartetes Spiel?
Algerien legte Protest ein, der jedoch abgewiesen wurde. Immerhin werden seither die letzten Gruppenspiele zeitgleich ausgetragen, was das Risiko ähnlicher Machenschaften nicht eliminiert, aber minimiert. Unklar ist bis heute, wie weit es sich um eine abgekartete Sache handelte. Der Österreicher Walter Schachner, der sich als einziger um ein konstruktives Spiel bemüht hatte, behauptete vor einiger Zeit, einige Spieler beider Mannschaften hätten in der Pause vereinbart, «dass man es bei diesem Resultat belassen soll».
Goalie Friedl Koncilia hingegen dementierte: «Das Ganze hat sich einfach aus der Konstellation ergeben.» Paul Breitner, der deutsche Mittelfeld-Stratege und gnadenlose Resultat-Fussballer, wollte noch vor einigen Jahren im ZDF nichts Verwerfliches erkennen: «Jede Mannschaft beginnt irgendwann, ein Ergebnis zu verwalten.» Echte Reue haben nur wenige Spieler gezeigt, etwa der deutsche Verteidiger-Haudegen Hans-Peter Briegel, der sich vor drei Jahren öffentlich bei den Algeriern für die «Schummelei» entschuldigt hat.