Mehr Gefangene«Insassen werden aggressiv»: Schweizer Gefängnisse sind überfüllt
Schweizweit zeichnet sich ein kritischer Trend ab: Gefängnisse sind ausgelastet und teilweise sogar überbelegt. Leidtragende sind Inhaftierte und Mitarbeitende zugleich.
Darum gehts
- Die Schweizer Gefängnisse sind voll und teilweise sogar überfüllt. Jetzt versuchen die Verantwortlichen, mit Containern und Klappbetten mehr Plätze zu schaffen.
- Das Problem: Gefangene können nicht einfach irgendwohin verlegt werden, wo es noch Platz hat. Viele Abteilungen sind spezialisiert.
- Entspannung ist nicht in Sicht: Die Zürcher Gefängnisse wurden aufgefordert, einen Sondereffort zu leisten, um noch mehr Gefangene unterbringen zu können.
Die Schweizer Gefängnisse sind voll. Vor allem in den Untersuchungsgefängnissen spitzt sich die Situation zu. So sagt das Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung (Juwe) in Zürich: «Die Belegungssituation ist aktuell in der gesamten Schweiz sehr angespannt. Auch im Kanton Zürich sind die Untersuchungsgefängnisse voll ausgelastet.» In anderen Kantonen sieht es ähnlich aus, wie einige andere Deutschschweizer Ämter für Justizvollzug sowie die Konferenz der kantonalen Leitenden Justizvollzug (KKLJV) auf Anfrage von 20 Minuten bestätigen.
Mit Klappbetten werden mehr Plätze geschaffen
Das zeigen auch Zahlen. Im Rahmen seines «Monitoring Justizvollzug» erhebt das Schweizerische Kompetenzzentrum für den Justizvollzug (SKJV) regelmässig die Belegungsquoten in den Gefängnissen. «Diese Quote hat sich schweizweit von 90 Prozent im Februar 2023 auf 96 Prozent im Februar 2024 erhöht. Je nach Region gibt es auch eine Überbelegung», sagt Sprecherin Fabienne Ayer.
Schwerpunkt Knast-Krise
Noch schlimmer als in der Deutsch- ist die Lage in der Westschweiz. Dort sind teils deutlich mehr Menschen inhaftiert, als die Gefängnisse eigentlich fassen könnten (siehe Tabelle). Dass überhaupt überbelegt werden kann, liegt an fix installierten Zusatzbetten – zum Beispiel Klapp- oder Kajütenbetten –, die kurzfristig eingesetzt werden können. Gefangene zu verlegen, ist nicht so einfach, denn: Nicht jede inhaftierte Person kann auf jeden freien Platz verteilt werden. Justizvollzugsexperte Benjamin Brägger erklärt: «Es gibt spezielle Untersuchungs- oder Frauengefängnisse sowie Abteilungen für ältere Menschen und psychisch Erkrankte.»
Ins Frauengefängnis kommen jetzt Männer
Die Kantone suchen händeringend nach Lösungen. In Bern werden Insassen wo möglich in andere Einrichtungen versetzt. Jetzt probt man eine Lösung mit Wohncontainern, die gut 40 zusätzliche Plätze schaffen würde, sagt Olivier Aebischer, Leiter Kommunikation beim Amt für Justizvollzug in Bern. Auch der Kanton St. Gallen baut derzeit die Kapazitäten aus. «Wir sind dabei, im Regionalgefängnis Altstätten zusätzliche Vollzugsplätze zu schaffen», so Amtsleiterin für Justizvollzug Barbara Reifler.
20 Minuten liegt zudem ein Schreiben vor, das die Untersuchungsgefängnisse Zürich (UGZ) auf ein neu geltendes Notfallregime aufmerksam macht. Darin heisst es, dass alle UGZ einen Sondereffort leisten müssten, bis sich die Situation wieder entspanne. Ausserdem müssten nach Möglichkeit zusätzliche Plätze geschaffen werden. So hat das auf Frauen spezialisierte Gefängnis Dielsdorf die Vollzugsabteilung vorübergehend geschlossen und mit Männern gefüllt.
Aebischer erklärt das grösste Problem bei einer Überbelegung: «Die gleiche Anzahl Mitarbeitender, oder bei Ausfällen sogar weniger, müssen mehr eingewiesene Personen betreuen.» So steige das Stresslevel für alle. Der Grund: «Den Mitarbeitenden bleibt weniger Zeit für ihre Betreuungsaufgaben, während sich die Wartezeiten für die Inhaftierten verlängern.» Das bestätigt auch eine Zürcher Betreuerin: «Wir Mitarbeitenden sind am Anschlag und müssen Inhaftierte teils früher in die Zellen schicken, weil wir keine Ressourcen haben. Diese sind dann verständlicherweise frustriert und reagieren auch einmal aggressiv.»
Das wird gemäss Katja Schnyder-Walser, Geschäftsführerin der KKLJV, auch noch eine Weile so bleiben. «Eine Entspannung der Situation ist nicht in Sicht.»
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Carolin Teufelberger (cat) arbeitet seit 2024 für 20 Minuten als Redaktorin beim Ressort News, Wirtschaft & Videoreportagen.
