Ex-Spion warnt«Gewinnt Trump, sehen wir in den USA zu unseren Lebzeiten keine freien Wahlen mehr»
Christopher Steele arbeitete 22 Jahre für den britischen Geheimdienst. Später geriet er ins Zentrum eines der grössten Politskandale der USA. Ein Interview.
Darum gehts
- Christopher Steele zufolge befassen sich die US-Geheimdienste auch 2024 stark mit der russischen Einflussnahme auf die Wahlen. Doch schienen die USA keine ernsthaften Untersuchungen zu möglichen Verbindungen zwischen Wladimir Putin und den Republikanern anzustreben.
- Im Interview erklärt der ehemalige britische MI6-ler, dass ein Wahlsieg Donald Trumps im Gegensatz zu 2016 für Putin 2024 existentiell sei.
Der frühere MI6-Agent Christopher Steele (60) spielte bei Donald Trumps erstem Wahlkampf 2016 eine ungewollt prominente Rolle. Er hatte im «Steele Dossier» erstmals eine Zusammenarbeit zwischen Russland und Trump und dessen Wahlkampfteam angedeutet (Steele, Trump und die angeblichen Sex-Tapes, hier zum Nachlesen).
Bis heute arbeitet Steel mit seiner Informationsfirma im Dunst der Geheimdienste. In seinen Worten: «Es liegt an uns, unseren Kunden, ob es sich um Minister oder Wirtschaftsführer handelt, die Werkzeuge und Informationen zur Verfügung zu stellen, die sie brauchen, um gute Entscheidungen zu treffen. Das ist der Kern dessen, was wir tun.»
Im Buch «Ungefiltert», das jetzt auch auf Deutsch herauskam, gibt Steele erstmals nähere Einblicke und teilt seine beunruhigenden Erkenntnisse. 20 Minuten hat ihn auf Zoom getroffen.

Russland konnte die letzten US-Wahlen beeinflussen. Wie sieht es 2024 aus?
Die amerikanischen Geheimdienste befassen sich sehr intensiv mit dem Thema. Man hat das Gefühl, dass sie Angst davor haben. Ich glaube, dass die Menschen in den USA, auch die Medien, davor zurückschrecken, mögliche Verbindungen zwischen Putin und den Republikanern zu finden.
«Man hat das Gefühl, dass sie Angst davor haben.»
Wieso?
Nur ein Beispiel: Ein Whistleblower meldete dem FBI, er habe Informationen zu Rudolph Giuliani, Trumps Anwalt und ehemaliger Bürgermeister von New York. Diese verlangten eine nähere Untersuchung von Giulianis Aktivitäten in der Ukraine. Doch das FBI sagte ihm, dass dies gefährlich sei: «Wenn die Republikaner und Trump wieder ins Amt kommen, werden sie hinter dir her sein.» Die europäischen Mainstream-Medien sind eher bereit, sich mit der russischen Einmischung zu befassen – vor allem, wenn diese mit unseren rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien in Verbindung steht.
«Die russische Einflussnahme ist ein drängendes, aber ungelöstes Problem.»
Können Sie ein Beispiel geben?
Bei den Wahlen im Juli in Grossbritannien behauptete der stellvertretende Premierminister Oliver Dowden, dass die Russen die rechtspopulistische Partei von Nigel Farage unterstütze. Die Anschuldigung gründete vermutlich auf vertrauliche Informationen, die er von den Sicherheitsdiensten erhalten hatte. Tatsächlich ist die russische Einflussnahme ein drängendes, aber ungelöstes Problem. Und es betrifft nicht nur Russland: Andere haben gesehen, wie Moskau damit durchgekommen ist, und machen es ihm nach: China, Iran und andere Länder aus dem Nahen Osten wie die Türkei, die möglicherweise in ähnliche Aktivitäten verwickelt sind.
Wie denken Sie, sieht Putin Donald Trump?
Trump hat aus irgendeinem Grund, über den wir nur spekulieren können, sowohl Angst als auch Ehrfurcht vor Putin. Das ist ein sehr nützliches Instrument, um Amerika zu spalten, zu lenken und auf isolationistischem Kurs zu halten. Putin will die Einstellung der finanziellen und militärischen Unterstützung für die Ukraine. Und die USA sollen sich vom europäischen Kontinent zurückziehen – auch aus der Nato mit ihrer Beistandspflicht.
«Wir müssen uns darüber im Klaren sein, wohin die Reise geht.»
Man könnte Ihnen Panikmache vorwerfen.
Finden Sie? In europäischen Demokratien gibt es immer mehr Akteure, die offen oder verdeckt autokratische Agenden unterstützen. Viktor Orbán in Ungarn, Robert Fico in der Slowakei, die AfD in Deutschland, das Rassemblement National in Frankreich, Reform UK in Grossbritannen, die Republikaner in den USA: Sie alle sind infiziert worden von Autokratie und populistischem Nationalismus. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, wohin die Reise geht.

Sie beleuchten die US-Wahlen aus russischer und chinesischer Perspektive. Welche Entwicklungen sehen Sie?
2016 setzte Russland ziemlich plumpe Bots und Troll-Farmen ein. Es hatte direkte Kontakte mit der Trump-Kampagne, der russische Geheimdienst und Minister waren direkt beteiligt. Das ist aufgeflogen, also kamen ab 2020 Stellvertreter zum Einsatz.
Stellvertreter?
Bots und Troll-Farmen in Drittländern: Mazedonien, Westafrika, Mexiko und so weiter. Auch Staatsangehörige aus nicht-russischen Ländern der ehemaligen Sowjetunion wie der Ukraine verbreiteten 2020 sehr aktiv Desinformationen über die US-Demokraten. 2024 geht es aber um viel grössere politische Themen: Russland versucht mit Deals mit den arabischen Führern der OPEC den Ölpreis und die Inflation hochzuhalten. Mexiko-Stadt soll mit russischen Geheimdienstmitarbeitern überschwemmt werden, um Unruhen an der Grenze zu schüren. Die Russen sind ziemlich raffiniert und sehr entschlossen. Denn für sie steht mehr auf dem Spiel als je zuvor.
«Die Bedrohung wächst. Sie wurde nicht richtig eingeschätzt.»
Sprechen Sie die Ukraine an?
Ja. 2016 gab es für Donald Trump lediglich eine Präferenz, heute ist seine Wahl für Putin eine existenzielle Notwendigkeit. Die Republikaner sind die einzige Hoffnung der Russen, um sich in der Ukraine durchzusetzen. Wie stark Länder wie China und Russland ihren Einfluss ausgeweitet haben, wird uns wohl irgendwann in der Zukunft bewusst werden.
Weil jetzt niemand auf Sie hört?
Meiner Meinung nach haben nicht genügend Menschen mir und meinen Warnungen vor Russland ausreichend aufmerksam zugehört oder angemessen darauf reagiert. Gleichfalls ist es keine Rolle, die ich gesucht oder angestrebt habe. Aber ich glaube fest daran, dass Menschen wie ich, die diese Länder und ihre Arbeitsweise sehr gut kennen, ihre Stimme erheben müssen. Denn die Bedrohung wächst. Sie wurde nicht richtig eingeschätzt.
Was halten Sie davon, dass Trump erneut US-Präsident werden könnte?
Ich finde es sehr schockierend. Wenn Trump in das Präsidentenamt zurückkehrt, befürchte ich, dass wir zu unseren Lebzeiten keine fairen oder freien Wahlen mehr in Amerika sehen werden.
«Ungefiltert» von Christopher Steele

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Ann Guenter (gux), arbeitet seit 2012 als Auslandsredaktorin für 20 Minuten. Seit August 2015 ist sie zudem Chefreporterin International.
