Expertin«Unangebracht, alle Albaner unter Generalverdacht zu stellen»
Kurz nachdem eine Kosovo-Albanerin in die Schweiz kam, wurde sie von ihrem Mann misshandelt. Kein Einzelfall, wie sie sagt. Zwei Expertinnen aus der Community nehmen Stellung.
Darum gehts
- Eine Kosovarin wird nach ihrer Ankunft in der Schweiz von ihrem Mann misshandelt.
- Sefika Garibovic berichtet von häufigen Fällen häuslicher Gewalt in der albanischen Community.
- Arbela Statovci von «swissalbs» warnt davor, alle Albaner unter Generalverdacht zu stellen.
- Die Expertinnen fordern bessere Schulungen und Schutzmassnahmen für Betroffene.
Alnesa (29) aus dem Kosovo zieht nach ihrer Hochzeit zu ihrem Ehemann in die Schweiz – und wird kurz nach ihrer Ankunft zu Hause isoliert und geschlagen. Was wie ein Einzelfall klingt, ist laut Sefika Garibovic bittere Realität für viele Frauen aus der albanischen Community in der Schweiz. «Ich höre täglich solche Geschichten. Es geht um soziale Kontrolle, psychische und physische Gewalt – in der Schweiz herrscht eine Parallelgesellschaft», sagt die Konfliktmanagerin und Therapeutin. Eine Vertreterin der schweizerisch-albanischen Interessengemeinschaft warnt davor, die Community unter Generalverdacht zu stellen.
Die ganze Geschichte von Alnesa kannst du hier nachlesen.
«Es wäre unangebracht, die gesamte Community unter Generalverdacht zu stellen»
Arbela Statovci, Mediensprecherin von «swissalbs» – der Interessengemeinschaft der schweizerisch-albanischen Community – bestätigt, dass es Gewalt gegen Frauen gibt: «Es wäre falsch, das zu leugnen oder zu verharmlosen.» Wichtig sei aber, nicht pauschal zu verurteilen: «Jede Geschichte ist individuell. Es wäre unangebracht, die gesamte albanische Community unter Generalverdacht zu stellen.» Die Ursachen für problematische Strukturen in Beziehungen seien vielschichtig – und nicht allein kulturell zu erklären. «Patriarchal geprägte Erziehung, mangelnde Aufklärung und generationenübergreifende Traumata spielen eine Rolle», erklärt Statovci.
Über Arbela Statovci
Schwiegereltern behandeln Frau wie Hausangestellte
Viele Frauen, die von ihren Ehemännern aus Albanien in die Schweiz gebracht werden, würden zu Hausangestellten und Gebärmaschinen degradiert – oft sogar unter Zwang, sagt Garibovic. In ihrer Praxis in Zug habe sie oft mit Frauen aus der kosovo-albanischen Community Kontakt. «Natürlich bezieht sich das auf einzelne Familien und nicht auf die gesamte Community.» Die Betroffenen würden gezielt sozial isoliert: «Sie dürfen kein Deutsch lernen, keine Freundschaften schliessen, nicht arbeiten.»
Über Sefika Garibovic
Laut der Expertin führen viele Männer aus der albanischen Community ein Doppelleben: «Nach aussen hin geben sie den perfekten Familienvater – respektiert, gebildet, integriert. Doch zu Hause herrscht ein völlig anderes Bild: dort wird die Frau nach «alter Tradition» untergraben und psychisch und physisch missbraucht.» Weil vieles hinter geschlossenen Türen geschieht und kaum zur Anzeige gebracht wird, gibt es keine Zahlen dazu, sagt Garibovic.
Häusliche Gewalt in kosovo-albanischen Familien
Oft wohnen die Paare mit den Schwiegereltern unter einem Dach: «Die Schwiegermutter erwartet, dass die neue Frau alles putzt, kocht, bedient. Die Frauen leben wie Hausangestellte in einem neuen und ihnen fremden Land.» Wenn sie sich wehren, drohen Bestrafung oder gar Gewalt, weiss Garibovic: «Sei es durch den Ehemann oder durch die Schwiegereltern.» Um zu verhindern, dass die Frauen den Mann verlassen, würden die Kinder als Druckmittel eingesetzt.
Familien wollen gegen aussen den Schein einer perfekten Familie wahren
Die Ursache der Gewalt liegt in traditionellen Familienbildern mit patriarchalen Werten, die über Generationen weitergegeben wurden, sagt Garibovic. «Auch Männer, die bereits in der dritten Generation hier leben, üben Gewalt gegen ihre Frauen aus.» Garibovic selbst stammt aus Montenegro: «Das Gesicht der Familie ist wichtiger als das Wohlergehen der Frau. Wenn sich eine Frau trennen will, wird sie oft auch von ihrer eigenen Herkunftsfamilie unter Druck gesetzt.» Frauen berichteten ihr, dass sie aus der Familie verstossen würden, wenn sie den Ehemann verlassen – selbst bei Gewalt: «Es zählt nur, was nach aussen hin gut aussieht.»
Gewalt soll präventiv verhindert werden
Damit Gewalt nachhaltig verhindert werden kann, braucht es laut Statovci auch ein klares Umdenken bei den Männern: «Gewaltprävention funktioniert nicht, wenn sie ausschliesslich Frauensache bleibt.» Männer müssten ihre Rollenbilder hinterfragen und bei problematischem Verhalten im eigenen Umfeld Haltung zeigen.
«Wir brauchen bessere Schulungen für Polizei, Schulen, Sozialdienste und die KESB. Viele Fachpersonen erkennen nicht, was hinter verschlossenen Türen geschieht», sagt Garibovic. Es fehle an gezielten Schutzmassnahmen für Betroffene, an Aufklärungsarbeit und an Ansprechpartnern. «Bis sich die Frau überhaupt traut, sich gegen die Familie und ihr eigenes Kind zu stellen, ist oft schon viel passiert.»
Bist du oder ist jemand, den du kennst, von sexualisierter, häuslicher, psychischer oder anderer Gewalt betroffen?
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Anja Zobrist (zoa) ist Redaktorin und Content Creator im Ressort News und Gesellschaft. Das Journalistenhandwerk erlernte sie an der Ringier Journalistenschule in Zürich. Anschliessend absolvierte sie den CAS Innovation im Journalismus an der ZHAW Winterthur und dem MAZ Luzern.
