Putin hält an Krieg in der Ukraine fest, trotz wachsender wirtschaftlicher Probleme

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Die Lage im Ukraine-Krieg«Putin setzt den Krieg auch bei wachsender Selbstschädigung fort»

Im Gespräch mit Ulrich Schmid von der Uni St. Gallen geht es um Faktoren, die die Kriegsdauer beeinflussen, um Russlands Wirtschaft und um Waldimir Putins Spiel auf Zeit.

Präsident Wladimir Putin an einer Sitzung mit den ständigen Mitgliedern des russischen Sicherheitsrates, 1. Oktober 2025.
Präsident Wladimir Putin an einer Sitzung mit den ständigen Mitgliedern des russischen Sicherheitsrates, 1. Oktober 2025.AFP

Darum gehts

  • Ulrich Schmid sagt im Gespräch: Eine ukrainische Kapitulation im Sinne Wladimir Putins sei nicht in Sicht.
  • Russland mache nur langsame Fortschritte und erleide hohe Verluste.
  • Man sehe, dass Moskau den Krieg wirtschaftlich nicht ewig lang durchhalten könne.
  • Putin werde den Krieg dennoch weiterführen, er habe ihn in einem gewissen Sinn bereits verloren.

Herr Schmid, wie sehen Sie Donald Trumps jüngstes Bekenntnis zur Nato und zur Ukraine?

Es war viel von einer Kehrtwende die Rede. Neu ist jedoch eigentlich nur, dass Trump einen ukrainischen Sieg für möglich hält. Er verfolgt weiter seinen Businessplan, dass die Europäer amerikanische Waffen für die Ukraine kaufen sollen. Auch das Bekenntnis zur Nato fällt halbherzig aus: Trump spricht von der Militärallianz so, als seien die USA kein Mitglied.

«Die russischen Nadelstiche gegen Nato-Staaten sind ein Eingeständnis der eigenen Schwäche.»

Ulrich Schmid

Was können Sie zur Lage in der Ukraine sagen?

Die russischen Angreifer kämpfen sich unter grossen Verlusten an Mannschaft und Material langsam voran. Die ukrainischen Verteidiger sind erschöpft, aber eine Kapitulation, wie sie Putin fordert, ist nicht in Sicht. Die russischen Nadelstiche gegen Nato-Staaten sind ein Eingeständnis der eigenen Schwäche: Ein Ziel dieser Aktionen besteht darin, militärische Ressourcen in den europäischen Nato-Staaten zu binden und damit die Lieferung von Waffen und Munition in die Ukraine zu bremsen.

«Putin spiegelt der eigenen Bevölkerung nach wie vor wirtschaftliche Normalität vor, obwohl die Situation schwierig wird.»

Ulrich Schmid

Wie ist Ihre Einschätzung zur Kriegsdauer?

Sie wird von mehreren Faktoren bestimmt. Erstens sehen wir Trumps Weigerung, wirksame Sanktionen gegen Russland zu verhängen – aus welchen Gründen auch immer. Zweitens fehlt dem Kreml jeder Wille zu Verhandlungen: Putin will Krieg, er ist nicht einmal zu einem Waffenstillstand bereit. Er sieht im «Verwaltungschef» Selenski keinen legitimen Gesprächspartner – durch solche Unterstellungen versucht er, Zeit zu gewinnen. Drittens spiegelt Putin der eigenen Bevölkerung nach wie vor wirtschaftliche Normalität vor, obwohl die Situation schwierig wird.

Die Benzinpreise haben in Russland neue Höchststände erreicht und steigen schneller als die Gesamtinflation.
Die Benzinpreise haben in Russland neue Höchststände erreicht und steigen schneller als die Gesamtinflation.AFP

Sie sprechen die russische Wirtschaft an. Was können Sie dazu sagen?

Es war für viele Wirtschaftsexperten überraschend, wie lange Russland die Sanktionen aushalten konnte. Aber wenn man jetzt die Zahlen ansieht, sieht man schon, dass Putin wirtschaftlich eben nicht unendlich lang durchhalten kann.

«Die Inflation wirkt wie eine Kriegssteuer auf den gesamten Inlandskonsum.»

Ulrich Schmid

Woran erkennen Sie das?

Die russischen Verteidigungsausgaben liegen inzwischen bei 8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und machen 40 Prozent des gesamten Staatsbudgets aus. Zugleich musste die Zentralbank den Leitzins zeitweise auf über 20 Prozent anheben, um die zweistellige Inflation zu bekämpfen – eine Massnahme, die Investitionen abwürgt. Die Inflation wirkt wie eine Kriegssteuer auf den gesamten Inlandskonsum. Die Bevölkerung soll den Krieg kaum zu spüren bekommen, doch die sinkende Kaufkraft macht das unmöglich. Selbst Putin musste einräumen, dass man die Verteidigungsausgaben nicht immer weiter steigern kann.

Wird das in Moskau zu einem Umdenken führen?

Kaum. Selbst wenn Russland den Krieg mit wachsender Selbstschädigung finanziert: Putin wird ihn fortsetzen, «whatever it takes». Deswegen gehe ich von einem Andauern des ruinösen Abnutzungskriegs aus. Letztlich kann sich erst etwas ändern, wenn Putin nicht mehr länger an der Macht ist.

«Letztlich kann sich erst etwas ändern, wenn Putin nicht mehr länger an der Macht ist.»

Ulrich Schmid
Wladimir Putin im Kreml mit Angehörigen der Streitkräfte, 12. Juni 2025.
Wladimir Putin im Kreml mit Angehörigen der Streitkräfte, 12. Juni 2025.AFP

Die Ukraine muss ausharren, bis Putin weg ist – kann sie das?

Das hängt entscheidend von der westlichen Unterstützung der Ukraine ab. Hier sind nicht nur Waffen- und Munitionslieferungen wichtig, sondern auch Wirtschaftshilfen. Es gibt zwar Querschläger in der EU, aber bisher konnte man Ungarn und die Slowakei mit Sonderregelungen einbinden. Mittlerweile zeichnet sich mit Grossbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien und Finnland eine starke «Koalition der Willigen» ab, die sich nachhaltig für die Ukraine engagiert.

«In einem gewissen Sinn hat Putin den Krieg bereits verloren.»

Ulrich Schmid

Ist es denkbar, dass Putins «Spiel auf Zeit» sich letztlich gegen ihn wendet?

In einem gewissen Sinn hat Putin den Krieg bereits verloren. Die Glaubwürdigkeit der russischen Armee hat arg gelitten, die wichtigsten europäischen Staaten haben sich mit enormem finanziellem Engagement klar auf die Seite der Ukraine gestellt, und die von Moskau erträumte neue Allianz USA-Russland wird von Trumps wechselnden Launen untergraben.

Wann es aber zu einem Ende der Kampfhandlungen kommen wird, ist eine andere Frage. Im kommenden Januar wird Russlands Angriffskrieg in der Ukraine länger gedauert haben als der «Grosse Vaterländische Krieg» (1941-1945). Das ist eine wichtige psychologische Vergleichsgrösse. Letztlich fällt Putin seiner eigenen Beschwichtigungsrhetorik zum Opfer. Eigentlich müsste er der Ukraine schon längst den Krieg erklären, er will aber immer noch die bröckelnde Fassade einer Normalität des Alltagslebens aufrecht erhalten.

Zum Experten

HSG
Ulrich Schmid ist Professor für Osteuropastudien an der Universität St. Gallen. Schmid forscht insbesondere zur russischen, ukrainischen und polnischen Kultur sowie zum Nationalismus in Osteuropa.

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Ann Guenter (gux), arbeitet seit 2012 als Auslandsredaktorin für 20 Minuten. Seit August 2015 ist sie zudem Chefreporterin International.

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