Absturz über Palomares: Als über Spanien Atombomben fielen

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Palomares 1966«Ich dachte, es ist das Ende» – als Atombomben auf Spanien fielen

Ein US-Bomber stürzte 1966 über dem spanischen Dorf Palomares ab – an Bord vier Wasserstoffbomben. Europa entkam nur knapp einer nuklearen Katastrophe.

1966 stürzte ein US-Bomber mit vier Wasserstoffbomben über dem spanischen Dorf Palomares ab. Zwei Bomben explodierten beim Aufprall konventionell und verteilten radioaktives Plutonium.
Eine Bombe landete unversehrt, die vierte verschwand im Meer und blieb 80 Tage lang verschollen.
Der Unfall geschah im Rahmen der US-Operation «Chrome Dome», bei der B-52-Bomber mit Atomwaffen dauerhaft in der Luft kreisten.
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1966 stürzte ein US-Bomber mit vier Wasserstoffbomben über dem spanischen Dorf Palomares ab. Zwei Bomben explodierten beim Aufprall konventionell und verteilten radioaktives Plutonium.

Bettmann Archive

Darum gehts

  • Am 17. Januar 1966 kollidierte ein US-Bomber vom Typ B-52 mit einem Tankflugzeug über Spanien.

  • Vier Wasserstoffbomben fielen nahe dem Dorf Palomares, zwei explodierten konventionell.

  • Die Explosionen verteilten radioaktives Plutonium über das Gebiet, was eine umfangreiche Säuberungsaktion auslöste.

  • Die vierte Bombe wurde nach 80 Tagen im Meer gefunden und entschärft.

Es ist ein klarer Januarmorgen, als Pedro Alarcón mit seinen Enkelkindern über sein Tomatenfeld geht. Plötzlich ereignet sich eine gewaltige Explosion am Himmel. Ein US-Bomber ist über dem spanischen Dorf Palomares abgestürzt – an Bord vier Wasserstoffbomben. Zwei schlagen auf dem Boden ein und explodieren.

Zwar zünden sie nicht atomar, doch ihre herkömmlichen Sprengladungen reissen riesige Krater und schleudern radioaktives Plutonium in die Luft. Eine dritte Bombe landet unversehrt. Die vierte verschwindet im Meer. 80 Tage lang bleibt sie vermisst. Und niemand weiss, ob sie noch zündet.

Das US-Militär entfernte rund 1400 Tonnen verseuchten Boden und brachte ihn zur Entsorgung in die USA.

Das US-Militär entfernte rund 1400 Tonnen verseuchten Boden und brachte ihn zur Entsorgung in die USA.

Getty Images

Am 17. Januar 1966 kollidiert ein US-Bomber vom Typ B-52 auf einer Höhe von 9500 Metern mit einem Tankflugzeug der US-Luftwaffe. Die Maschinen gehören zur «Operation Chrome Dome», bei der B-52-Bomber mit scharfen Wasserstoffbomben an Bord rund um die Uhr in der Luft bleiben sollen (siehe Infobox). Der Bomber nähert sich beim Auftanken zu schnell und prallt mit dem KC-135 zusammen. Das Kerosin explodiert, die vier Männer im Tankflugzeug sterben sofort. Drei der sieben Bomber-Besatzungsmitglieder kommen ebenfalls ums Leben.

Eine Bombe schlägt im Tomatenfeld ein

Beim Absturz der B-52 reissen Trümmer und vier Wasserstoffbomben vom Typ B28 durch die Wolkendecke, mitten über der andalusischen Küste. Wasserstoffbomben sind eine besonders starke Form von Atombomben. Jede hatte eine Sprengkraft, die etwa hundertmal so gross war wie die Atombombe, die 1945 auf Hiroshima abgeworfen wurde. Eine davon schlägt in das Tomatenfeld von Pedro Alarcón ein und explodiert konventionell.

Eine zweite Bombe detoniert beim Aufprall nahe einem Friedhof. Beide Explosionen verteilen feinen Plutonium-Staub über mehrere Hundert Hektar. Die dritte Bombe landet mit ihrem Fallschirm in einem Flussbett und bleibt unversehrt. Die vierte bleibt vorerst verschollen.

Operation Chrome Dome

Zwischen 1961 und 1968 liess die US-Luftwaffe während des Kalten Krieges B-52-Bomber mit scharfen Wasserstoffbomben rund um die Uhr über dem Atlantik und Europa kreisen. Ziel war es, bei einem sowjetischen Angriff sofort zum atomaren Gegenschlag bereit zu sein. Die Bomber mussten dafür regelmässig in der Luft betankt werden – eine riskante Praxis.

Die täglichen Flugrouten im Rahmen der «Operation Chrome Dome».

Die täglichen Flugrouten im Rahmen der «Operation Chrome Dome».

Wikipedia
  • 1958, Tybee Island (USA): Eine Atombombe ging nach einer Kollision verloren und wurde nie gefunden.

  • 1961, Goldsboro (USA): Zwei Wasserstoffbomben stürzten ab – eine war nur durch eine letzte Sicherung vor der Detonation geschützt.

  • 1966, Palomares (Spanien): Nach einem Flugzeugabsturz stürzten vier Wasserstoffbomben ab – zwei explodierten konventionell und verseuchten die Umgebung mit Plutonium.

  • 1968, Thule (Grönland): Ein B-52 stürzte nahe einer US-Basis ab, das Eis wurde radioaktiv kontaminiert.

Nach dem Thule-Unfall stellte die US-Regierung das Programm ein – auch weil es zunehmend als zu gefährlich galt. Gleichzeitig verlagerte sich die nukleare Abschreckung auf andere Systeme: Interkontinentalraketen in unterirdischen Silos und atomwaffenbestückte U-Boote galten als sicherer und zuverlässiger.

«Ich dachte, es sei das Ende der Welt»

In Palomares herrscht Chaos. Flugzeugteile regnen vom Himmel, ein grosser Teil des Bombers kracht auf den Pausenplatz der Dorfschule. Eine Anwohnerin sagt später: «Meine Tochter schrie: Mama, unser Haus brennt! Ich dachte, es sei das Ende der Welt.»

Wenig später trifft US-Militärpersonal ein. Mit Geigerzählern suchen sie nach radioaktiver Belastung. Stellen mit erhöhter Strahlung werden abgetragen. Rund 1400 Tonnen verseuchter Boden werden in Fässern verpackt und nach South Carolina verschifft. Mehr als 700 US-Soldaten, Techniker und Wissenschaftler sind vor Ort. Innerhalb weniger Tage finden sie drei der vier Bomben.

Wettlauf gegen die Zeit

Die Suche nach der vierten Bombe wird zum Wettlauf gegen die Zeit. Sie könnte beschädigt sein und noch immer eine nukleare Katastrophe auslösen. Erst ein lokaler Fischer gibt einen entscheidenden Hinweis: Er hat gesehen, wie etwas Grosses im Meer versank – und entschuldigt sich, dass er einen der US-Soldaten nicht retten konnte. Doch alle Besatzungsmitglieder sind bereits geborgen. Die US-Militärs begreifen jetzt: Der Mann hat wahrscheinlich die Bombe gesehen.

Daraufhin beginnt eine aufwendige Suche im Mittelmeer. Über 30 Schiffe, darunter Minensucher, Sonargeräte und Unterwasserfahrzeuge, durchkämmen tagelang den Meeresboden. Nach mehr als zweieinhalb Monaten wird die Bombe am 7. April 1966 in 869 Metern Tiefe gefunden. Sie wird gehoben, entschärft und an Bord der USS Petrel gebracht.

Alle Dorfbewohner überlebten

Wie durch ein Wunder stirbt im Dorf niemand. BBC-Reporter Chris Brasher sagt später: «Fast 100 Tonnen glühender Trümmer fielen auf das Dorf – aber nicht einmal ein Huhn starb.»

Dorfbewohner von Palomares: Wie durch ein Wunder kam niemand ums Leben.

Dorfbewohner von Palomares: Wie durch ein Wunder kam niemand ums Leben.

imago/ZUMA/Keystone

Noch heute erinnern sich die Menschen in Palomares an den Vorfall. Rund 40 Hektar Land sind weiter abgesperrt. Ein Abkommen zwischen den USA und Spanien zur vollständigen Sanierung des Gebiets wurde 2015 unterzeichnet – umgesetzt wurde es bis heute nicht.

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