Massnahmen gegen Touristenmassen in Schweizer Dörfern

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Ansturm auf DörferRanger und Time Slots: So reagieren Gemeinden auf «Selfie-Touristen»

Zwar herrschen hierzulande noch keine Zustände wie in Venedig oder Barcelona, aber auch Schweizer Dörfer ergreifen Massnahmen wegen Massentourismus. Die Gäste kommen vor allem wegen Social Media – und viele bleiben nur für ein Foto.

Schweizer Dörfer wie Lungern, Lauterbrunnen oder Iseltwald werden stark von Touristen besucht. Vor allem wegen Social Media oder TV-Serien pilgern ausländische Gäste dorthin.
Deshalb haben die Gemeinden nun Massanahmen ergriffen. In Iseltwald müssen sich Cars und Busse anmelden und einen der zwei vorhandenen Parkplätze kostenpflichtig reservieren.
Auch in Lungern OW hängen neu Tafeln: Da viele Touristen die Privatsphäre der Einheimischen stören, reagiert die Gemeinde jetzt mit Stopp-Schildern.
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Schweizer Dörfer wie Lungern, Lauterbrunnen oder Iseltwald werden stark von Touristen besucht. Vor allem wegen Social Media oder TV-Serien pilgern ausländische Gäste dorthin.

20min/Matthias Spicher

Darum gehts

  • Schweizer Dörfer wie Lungern, Iseltwald und Lauterbrunnen erleben einen Touristenansturm wegen der schönen Natur, Social Media und TV-Serien.

  • Einheimische leiden unter respektlosen Touristen, die Grundstücke betreten und Parkverbote ignorieren.

  • Auch die Gemeindepräsidenten klagen über den Ansturm – vor allem von sogenannten «Selfie-Touristen».

  • Massnahmen wie Ranger und Parksysteme sollen die Situation verbessern, jedoch bleibt die Belastung hoch.

Ob Lungern, Iseltwald, Grindelwald oder Bergün Filisur: Schweizer Dörfer werden von Touristinnen und Touristen überrannt. Der Grund: Die Aussicht und die Natur sind wunderschön. Darauf werden viele der ausländischen Gäste auf Social Media oder in TV-Serien aufmerksam. 18,4 Milliarden Franken gaben sie letztes Jahr in der Schweiz aus, doch viele Anwohner leider unter den Menschenströmen.

Ein Bewohner von Lungern OW sagt, dass die Gäste die Einheimischen nicht respektierten: «Sie laufen einfach über unser Grundstück.» Zudem beachteten sie zum Beispiel Parkverbote nicht. «Wir verzweifeln, es ist eine grosse Belastung für uns.»

Ähnlich tönt es in Lauterbrunnen BE. «Einmal hatte ich drei asiatische Touristen in meiner Stube. Sie wollten sich das Haus anschauen. Das fand ich nicht lustig.» Dennoch betont der 55-Jährige, dass die Ortschaft vom Tourismus lebe und davon profitiere. Es mussten aber Massnahmen ergriffen werden: «Seit kurzem gibt es eine Art Ranger, der im Dorf dafür sorgt, dass sich die Touristen anständig benehmen. Ich habe das Gefühl, dass es seitdem viel angenehmer geworden ist.»

In Iseltwald BE wurde eine Szene einer südkoreanischen Serie gefilmt, seither wird das Dorf überrannt. Wie der Anwohner Beat Abegglen erzählt, helfe nichts gegen die Massen. «Der Verkehr in unserem kleinen Dorf ist enorm. Die Touristen haben das Gefühl, wir müssten uns nach ihnen richten.» Man habe extra für die Gäste Infrastruktur gebaut. «Ihre Ausgaben hier decken diese aber sicherlich nicht», meint Abegglen.

Das sagen Anwohnerinnen und Anwohner von Iseltwald dazu, dass der Eintritt zum Steg jetzt 5 Franken kostet.

20min/Mara Wehofsky

«Selfie-Touristen» als grosses Problem

Auch der Gemeindepräsident von Iseltwald, Peter Rubi, kennt die Herausforderungen. «Am Anfang waren die Menschenmassen ein grosses Problem für unsere kleine Gemeinde. Wir haben zwei Car-Parkplätze, an Spitzentagen fuhren aber über 20 vor. Das hat die Strassen verstopft.»

Noch etwas schlimmer klingt es aus Lauterbrunnen. «Letzten Sommer hatten wir einen Ansturm von Selfie-Touristen, auf den wir nicht vorbereitet waren», sagt Gemeindepräsident Karl Näpflin. «Die kosten uns jährlich bis zu 300’000 Franken, da sie zwar die Infrastruktur nutzen, nach einer halben Stunde aber wieder abfahren. Davon profitieren weder Hotels noch Restaurants.» Dennoch betont Näpflin, dass die Ortschaft vom Tourismus lebe und sich über die Gäste freue. «Dieses Jahr läuft auch alles schon viel besser.»

Das Phänomen der «Selfie-Touristen» spricht auch der Gemeindepräsident von Bergün Filisur GR, Luzi Schutz, an. «Wenn ein Promi ein Bild auf Instagram postet, kommen die Menschen teils kurz später in Scharen. Das ist nicht vorhersehbar.»

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Massnahmen: Rangers, Parkleitsysteme und Gebühren

Vor allem der Palpuognasee habe es den Touristen angetan, sagt Schutz. «Er wurde erst kürzlich zum schönsten Ort der Schweiz gewählt.» Damit das so bleibt, sei am Ufer ein Ranger unterwegs, der die Gäste aufklärt und wenn nötig ermahnt. «Wenn ihnen erklärt wird, dass es sich um eine schützenswerte Naturperle handelt, halten sich die allermeisten an das bestehende Badeverbot», sagt Schutz.

Einen Ranger gibt es seit dem 1. Juli auch in Lauterbrunnen, weitere werden noch gesucht. Zu kämpfen habe das Dorf aber vor allem mit dem Verkehr, sagt Näpflin. «Wir haben 800 Einwohner, an Spitzentagen fahren zwischen zehn und 18 Uhr 4000 Autos ins Dorf.» Man habe jedoch ein System eingeführt, das in Echtzeit freie Parkplätze anzeigt, und mehr Personal an allen Knotenpunkten engagiert. So könne das Dorf wieder etwas durchatmen. Auch das im Dezember eröffnete Park&Ride sorge für weniger verstopfte Strassen, weil dadurch viel Verkehr auf die Schienen verlagert werde. «Ausserdem haben wir 13 zusätzliche ToiTois installiert, doppelt so grosse Müllsäcke besorgt und die Frequenz der Leerungen hochgefahren. So geht es jetzt einigermassen.»

Auch in Iseltwald laufen diese Ströme mittlerweile flüssiger. «Wir haben ein Reservationstool, um Time Slots für die beiden Busparkplätze zu buchen. Wenn diese belegt sind, können keine weiteren Cars ins Dorf fahren.» Zudem schaue ein Verkehrsdienst für Ordnung. «Und um auf dem Steg ein Foto zu machen, verlangen wir nun 5 Franken. Das generiert mehr Ordnung und nebenbei noch Einnahmen, die wir wieder in die Infrastruktur stecken.»

Das sagt Schweiz Tourismus

Eine Anfrage bei Schweiz Tourismus ist ausstehend. Laut dem Fazit einer von Schweiz Tourismus lancierten Umfrage vom Juli, gibt es hierzulande keinen Übertourismus. Zu beobachten seien allerdings «punktuell lokale und zeitliche Engpässe». Laut einer kürzlich publizierten Umfrage fühlen sich fünf Prozent der Befragten durch den Tourismus besorgt. Dem sei man sich bewusst und nähme die Sorgen der Bevölkerung sehr ernst, sagt Direktor Martin Nydegger. Probleme, die von Befragten in Tourismuszentren vermehrt genannt wurden, seien die Teuerung, Littering, Verkehrsprobleme, knapper Wohnraum und Umweltschäden. Zudem werde punktuell eine gewisse Respektlosigkeit von Touristen gegenüber Mensch oder Umwelt wahrgenommen.

Laut Schweiz Tourismus sind diese Probleme «allgemein bekannte gesamtgesellschaftliche Herausforderungen», die jedoch «gar nicht oder nur indirekt im Tourismus begründet sind».

Die Tourismusbranche und das Tourismusmarketing bemühten sich, die richtigen Gäste zur richtigen Zeit an die richtigen Orte zu lenken. Gemäss einer Mitteilung werden Saisons ausgedehnt und die Vielfalt der Schweiz weltweit aufgezeigt, damit sich die Reisenden besser verteilen, tiefer eintauchen und länger bleiben.

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