Argentinien nach 100 Tagen Javier Milei

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Argentinien100 Tage Milei: Wie lebt es sich im Land der Kettensägen-Politik?

Javier Milei hat das Zepter vor rund 100 Tagen in die Hand genommen. In Argentinien sind bereits Änderungen zu erkennen – nicht aber in die erwartete Richtung.

Die geplanten Reformen des argentinischen Präsidenten Javier Milei hatten einen holprigen Start.
Sein Deregulierungsvorstoss, mit dem die Regierung etwa 30 Gesetze ausser Kraft setzen und rund 70 weitere ändern oder ersetzen wollte, wurde am 13. März 2024 vom Senat abgelehnt.
Die radikale Kehrtwende, die er in seiner Wahlkampagne versprochen hatte, hat er zwar geschafft – allerdings nicht in die gewünschte Richtung.
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Die geplanten Reformen des argentinischen Präsidenten Javier Milei hatten einen holprigen Start.

AFP

Darum gehts

  • Seit ungefähr 100 Tagen ist Javier Milei der neue Präsident Argentiniens.

  • Der Ökonom hat dem Land eine radikale Kehrtwende versprochen, doch der Neustart will nicht so recht gelingen.

  • Seine Wähler und Wählerinnen stehen noch zu ihm – sie sehen aber auch, dass die Lage nicht so rosig ist, wie sie sie erwarteten.

Argentiniens ultraliberaler Präsident Javier Milei hat in Argentinien eine radikale Kehrtwende versprochen. Nun, das hat er geschafft – allerdings nicht in die gewünschte Richtung. Eine Übersicht der letzten 100 Tage Kettensägen-Politik des selbsternannten «Anarcho-Kapitalisten».

Wie steht das Land politisch?

Javier Milei steckt in einer kniffligen politischen Lage. Sein Deregulierungsvorstoss von Ende Dezember, mit dem die Regierung etwa 30 Gesetze ausser Kraft setzen und rund 70 weitere ändern oder ersetzen wollte, wurde am Mittwoch vom Senat abgelehnt.

«Ich werde euch den Geldhahn abdrehen, ich werde euch in die Pleite führen.»

Präsident Javier Milei an die Gouverneure

Auch sein umfangreiches Reformpaket Ley Ómnibus (Omnibus-Gesetz) hängt seit Wochen im Parlament fest, da es Milei nicht gelungen ist, solide Mehrheiten zu organisieren. Dabei hatte er als Zugeständnis an die Opposition bereits zuvor die Hälfte der über 600 Artikel wieder herausgestrichen. Als der Kongress das Reformpaket auch so nicht durchwinkte, bezeichnete er die Abgeordneten als «Ratten».

Die Polizei hat Anfang März 2024 die staatliche argentinische Nachrichtenagentur Télam geschlossen. Die Aktion wurde auf direkten Befehl von Staatschef Milei durchgeführt.

Die Polizei hat Anfang März 2024 die staatliche argentinische Nachrichtenagentur Télam geschlossen. Die Aktion wurde auf direkten Befehl von Staatschef Milei durchgeführt.

AFP

Nicht besser hat es Milei mit den Gouverneuren: «Wenn das Gesetz nicht verabschiedet wird, werden die Provinzen am stärksten darunter leiden. Ich werde euch den Geldhahn abdrehen, ich werde euch in die Pleite führen», drohte der Präsident. Der Gouverneur der südlichen Provinz Chubut, Ignacio Torres von der liberalen Partei PRO, liess sich Mileis herrische Art nicht gefallen und drohte seinerseits, ihm die Ölpumpe abzuschalten. Bald folgten ähnliche Drohungen von weiteren Gouverneuren aus anderen Öl und Gas produzierenden Regionen. Schliesslich beendete der Oberste Gerichtshof den Konflikt – indem er sich zugunsten von Torres aussprach.

Was macht die Inflation?

Im Februar legten die Preise in Argentinien um 13,2 Prozent zu, wie die nationale Statistikbehörde Indec mitteilte. Vor allem die Kosten für Lebensmittel, Krankenkasse, Kommunikation, Transport und Wohnen zogen kräftig an.

Die Kurve zeigt seit Mileis Amtsantritt im Dezember 2023 stark nach unten: Das ist der Fall im Konsum von Oktober 2021 bis Januar 2024.

Die Kurve zeigt seit Mileis Amtsantritt im Dezember 2023 stark nach unten: Das ist der Fall im Konsum von Oktober 2021 bis Januar 2024.

Verband mittelgrosser Unternehmen (CAME)

Verglichen mit den Vormonaten ging die Teuerung allerdings zurück – was der Ökonom Milei nun als Erfolg feiert. Was in Wirklichkeit passiert ist: Der Konsum ist so stark zurückgegangen, dass damit auch die Inflationsrate sinkt.

Ein paar Zahlen als Beispiel: Nach Angaben des Beratungsunternehmens W gingen die Verkäufe von Haushaltsgeräten um 50 Prozent zurück, Kinos 40 Prozent, Motorräder 20 Prozent und Baubedarf 30 Prozent, Gastronomie 30 Prozent. Sogar für den Tourismus ist Argentinien heute ein teures Land.

«So viel Armut wie jetzt habe ich noch nie gesehen.»

Juan (25), Milei-Wähler

Was sagen Argentinier und Argentinierinnen?

Wer Javier Milei im vergangenen November nicht gewählt hat, sieht sich mit der Annahme, dass es Argentinien unter einer ultraliberalen Regierung nicht gut gehen kann, bestätigt. «Mein Lohn reicht nicht, um meinen Lebensstil zu halten. Lebensmittel sind heute teurer als in Europa, aber unsere Löhne sind lächerlich tief», sagt Silvia (58).

Glaubst du, Javier Milei kann Argentinien aus der Armut helfen?

«Ich habe seit Mileis Amtsantritt 300 Grosskunden verloren», sagt der 49-jährige Julio zu 20 Minuten. Der Mitbesitzer einer Papeterie in Buenos Aires ist ein überzeugter Milei-Wähler. Die Massnahmen der Regierung hält er trotz allem für notwendig: «Die Finanzpolitik musste unbedingt begradigt werden.»

Eine Umfrage vom Februar 2024: Was erwarten Unternehmer und Unternehmerinnen, wie es ihrer Firma bis April 2024 geht? 50,9 Prozent (graues Feld) denken, es wird sich nichts ändern, 45,5 Prozent (grünes Feld) befürchten, es werde schlechter gehen. Nur 3,6 Prozent (blaues Feld) glauben, es geht wieder bergauf.

Eine Umfrage vom Februar 2024: Was erwarten Unternehmer und Unternehmerinnen, wie es ihrer Firma bis April 2024 geht? 50,9 Prozent (graues Feld) denken, es wird sich nichts ändern, 45,5 Prozent (grünes Feld) befürchten, es werde schlechter gehen. Nur 3,6 Prozent (blaues Feld) glauben, es geht wieder bergauf.

INDEC

Auch der 25-jährige Juan hat Milei gewählt, er gibt allerdings zu: «So viel Armut wie jetzt habe ich noch nie gesehen. Neulich haben sich zwei Obdachlose um Abfall gestritten, das gab es noch nie.» Der Liberale glaubt aber, dass es noch zu früh sei, um über Mileis Leistung zu urteilen. «Ich vermute, die ersten Resultate seiner Politik werden wir ab Juni sehen.»

Dann will der Präsident die Devisenkontrolle (genannt «cepo») aufheben, der Dollar-Kurs wird nach Ansicht von Experten rasant steigen. Ob das etwas Gutes für das Land und für die Leute ist, wird sich zeigen.

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