AtomstromAlpiq-Austritt: Hat Economiesuisse ein Politik-Problem?
Mit der Energieversorgerin verlässt ein weiterer Konzern den Dachverband wegen Uneinigkeiten bei der ideologischen und politischen Ausrichtung. Der Verband steckt in einer Zwickmühle.
Economiesuisse: Darum gehts
Die Energieversorgerin Alpiq wird den Dachverband Economiesuisse auf Ende Jahr verlassen. Grund sei die Pro-Atomstrom-Haltung des Verbands gewesen sein.
Es ist nicht das erste Mal, dass die politische Ausrichtung Mitglieder zum Austritt bewegt hat. Die veränderte Rolle des Dachvereins mache es schwieriger, Positionen einzunehmen, ohne einzelnen Mitglieder zu verstimmen.
Economiesuisse bedaure derweil den Austritt des Stromkonzerns. Allerdings schaue man nun nach vorn und setze die Arbeit mit der Industrie und den verbleibenden Stromkonzernen Axpo und BKW fort.
2020 war es die Klimafrage: Avenergy, Swiss Retail und der Verband der Autoimporteure traten wegen ideologischen Uneinigkeiten aus dem Dachverband aus. Vier Jahre später trennt sich die Energieversorgerin Alpiq von Economiesuisse. Der Grund: Die Umwelt.
Der Fokus des Dachverbands auf Atomstrom soll Alpiq zu weit gegangen sein. Die politische und ideologische Ausrichtung des Verbands wurde also erneut zum Austrittsgrund eines Mitglieds. Eine Entwicklung, die auch mit der veränderten Rolle von Economiesuisse zu tun hat.
Economiesuisse schaut nach vorne
Herausforderungen
Economiesuisse - wie auch generell die Wirtschaftsdachverbände in der Schweiz - befänden sich seit längerem in einem Transformationsprozess, erklärt Michelle Beyeler, Politwissenschafts-Professorin an der Universität Zürich.
«Früher waren die Wirtschaftsverbände in der Schweizer Wirtschaftspolitik die zentralen Akteure. Das sind sie heute nicht mehr.» Grosse Unternehmen, wie die Alpiq, würden zunehmend auf eigene Lobbying- und PR-Massnahmen setzen und seien weniger auf die Mitgliedschaft in Verbänden angewiesen.
Inkaufnahme eines Austritts
Starke und klare politische Positionen seien daher wichtig: «Sie signalisieren den Mitgliedern, dass es sich auch deshalb lohnt, Mitgliederbeiträge zu zahlen, weil der Verband hilft, die Interessen durchzusetzen.»

Der Dachverband steckt in einer kommunikativen Zwickmühle. Zum einen seien die Mitglieder weniger abhängig von Economiesuisse, zum anderen haben sich die Interessen der Mitglieder auseinander entwickelt. Trotzdem muss der Verband klar Stellung beziehen.
Urs Jaudas/TamediaDie sich auseinander entwickelnden Interessen der Mitglieder mache dies allerdings immer schwieriger, so Beyeler. Der Dachverband steckt also in einer Zwickmühle. Trotzdem müsse er weiterhin Stellung beziehen.
«Notfalls muss dies auch unter Inkaufnahme des Austritts einzelner Mitglieder geschehen.» Sonst bestehe die Gefahr, dass sich der Verband eine Haltung durch ein einzelnes Mitglied aufzwingen lässt.
Energiewende verschärft Spannungen potenziell
«Economiesuisse ist kein Think-Tank wie Avenir Suisse, sondern ein Verband, dessen Positionen aus dem Spannungsverhältnis seiner Mitglieder erwachsen», ergänzt Steven Eichenberger von der Universität Genf. Diese Aggregation der Interessen sei dabei nicht immer einfach.

Mitgliedsverbände müssten sich damit abfinden, dass sie manchmal den Kürzeren ziehen, so Steven Eichenberger der Universität Genf.
Reto Oeschger/Tamedia«Mitgliedsverbände müssen sich damit abfinden, dass sie manchmal den Kürzeren ziehen.» Möglicherweise verschärfe die Energiewende die Spannungen innerhalb des Dachverbands, wenn binnenorientierte Branchen weniger von der Energiewende profitieren.
Mittelweg wohl nicht ganz gelungen
Im aktuellen Fall habe Economiesuisse auf die Ankündigung von Rösti reagieren müssen. «In der Medienmitteilung sprach Economiesuisse von einem ‹sowohl als auch› von erneuerbaren Energien und Kernkraft.»
Mit dieser Formulierung habe der Verband vermutlich bewusst den internen Spannungen etwas vorzubeugen versucht. «Das ist wohl nicht ganz gelungen», so Eichenberger.

Im aktuellen Fall habe Economiesuisse auf die Ankündigung von Bundesrat Albert Rösti reagieren müssen.
Adrian Moser/TamediaWeitere Austritte durchaus möglich
Eichenberger hält es durchaus für möglich, dass weitere Austritte folgen werden. «Kandidaten wären vermutlich einige Verbände, die sowohl Mitglieder des Gewerbeverbandes und von Economiesuisse sind.»
Er ergänzt jedoch: «Wenn man die Mitgliedszahlen von Economiesuisse anschaut, kann keinesfalls von einem Aderlass gesprochen werden.»
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