Berufslehre aufwerten«Lehrlinge sollten acht Wochen Ferien haben»
Der Zürcher Schulvorsteher Filippo Leutenegger (FDP) will Druck von den Primarschülern nehmen und die Lehre aufwerten.
Darum gehts
Der Zürcher Schulvorsteher Filippo Leutenegger schlägt vor, das Langzeit-Gymnasium abzuschaffen, damit die Kinder zuerst in die Sekundarschule gehen.
So hätten sie mehr Perspektiven und seien gereifter beim Entscheid, das Gymnasium zu besuchen.
Auch solle die Lehre dank acht Wochen Ferien für Lernende attraktiver werden.
Der Gymi-Druck sei heute zu gross, sagt der Zürcher Schulvorsteher Filippo Leutenegger. Die Maturaquote im Kanton Zürich beträgt 20 Prozent, das schweizerische Mittel ist bei rund 22 Prozent. Die Quote ist in den letzten Jahren beständig gestiegen, obwohl seit rund 20 Jahren die Berufsmatura als weitere Möglichkeit existiert. Das Langgymnasium solle am besten abgeschafft werden, damit alle Schüler zuerst die Sekundarschule besuchen und sich beim Schnuppern mehr Perspektiven verschaffen, sagt Filippo Leutenegger. Im Interview erklärt er seine Vision für eine Aufwertung der Berufslehre.
Herr Leutenegger, Sie wollen den Run auf das Gymnasium stoppen. Wieso?
Es ist gut, wenn talentierte und lernfreudige Schüler das Gymnasium besuchen, wir haben mit 20 Prozent eine gute Maturaquote in Zürich und das soll so bleiben. Das Problem ist, dass Primarschüler und –schülerinnen enorm unter Druck sind, weil viele Eltern glauben, dass ihr Kind schon nach der sechsten Primarklasse unbedingt ins Gymnasium wechseln muss.
«Das Langgymnasium betrachte ich als eine Fehlkonstruktion. Der Wunsch nach einem Übertritt ins Gymnasium ist bei Zehn- oder Elfjährigen oft von den Eltern getrieben.»
Wie wollen Sie Druck von den Kindern nehmen?
Das Langgymnasium betrachte ich als eine Fehlkonstruktion. Diejenigen, die ins Gymnasium wollen, können dies sehr gut nach der zweiten oder dritten Sek mit dem Kurzzeitgymi machen. Es zeigt sich, dass der Wunsch nach einem Übertritt ins Gymnasium bei 15- oder 16-Jährigen eher von den Jugendlichen selber kommt, bei Zehn- oder Elfjährigen ist dieser Wunsch oft von den Eltern getrieben. Es ist schade, dass viele Kinder schon früh unter derartigen schulischen Druck geraten.
Ist es schlimmer geworden mit dem Elterndruck?
Der Wunsch, bereits nach der Primarschule ins Gymi zu wechseln, hat zugenommen. Von den rund 7500 Jugendlichen an den Kantonsschulen haben lediglich 1200, also ein Sechstel, von der Sek ans Gymi gewechselt. Die überwiegende Mehrheit kam direkt aus der Primarschule. In gewissen Quartieren mit hoher Gymi-Quote ist der Druck besonders gross. Wer in die Sek geht, gilt dort schon fast als Loser. Expats befeuern diesen Druck zusätzlich. Viele sind über die Vorteile unseres hervorragenden dualen Bildungssystems und die vielen Anschlussmöglichkeiten schlecht informiert. Nach einer Lehre stehen alle Türen offen, dank Berufsmatura und Passerelle ist auch ein Uni-Studium möglich. Es braucht mehr Elternaufklärung, das machen wir.
«In gewissen Quartieren gilt man schon fast als Loser, wenn man in die Sek geht.»
Kann man das Langzeit-Gymnasium einfach abschaffen?
Die Kompetenz liegt beim Kanton. Die Mehrheit der Deutschschweizer Kantone betreibt übrigens Kurzzeitgymnasien. Das tut dem Bildungssystem keinen Abbruch, im Gegenteil. Sekundarschule und Berufslehre werden aufgewertet, und Stress wird von den Kindern und Eltern genommen.
Wie aufgewertet?
Indem Schüler vor dem Gymi noch zwei oder drei Jahre die Sek besuchen, bekommt die Sekundarschule einen höheren Stellenwert. In der Sek kommen alle Schüler mit diversen Berufen in Kontakt, erhalten dank Schnuppern Einblick in die Berufswelt und lassen sich so vielleicht für eine Lehre begeistern. Der Entscheid für oder gegen das Gymnasium ist dadurch fundierter und die Erfolgschancen sind grösser. Daneben könnte die Lehre aufgewertet und die Ferien für Lernende auf bis zu acht Wochen erhöht werden.
Sollten alle Lernenden acht Wochen Ferien haben?
Acht Wochen? Der Nationalrat lehnte kürzlich sogar sechs Wochen Ferien für Lehrlinge ab - die FDP stimmte geschlossen dagegen.
Schüler haben 13 Wochen Ferien, Lernende nur fünf Wochen. Das ist ein grosser Unterschied. Mit einer moderaten Erhöhung von fünf auf acht Wochen können wir das Gefälle abfedern. Ich kenne übrigens mehrere Jugendliche, die sich wegen der knappen Ferien gegen eine Lehre und für eine weiterführende Schule entschieden haben. Obwohl sie sich eine Lehre gut hätten vorstellen können.
Sie finden, es sollten mehr Junge eine Lehre statt einer Matura machen?
Wir brauchen beides. Gute Maturandinnen und Maturanden und gute Berufsleute. Beide Gruppen bilden die Fachkräfte von morgen. Aber die Lehre muss gestärkt werden. Und stärken heisst attraktiver machen. Eine Berufslehre ist übrigens die beste Absicherung gegen Jugendarbeitslosigkeit. In den Kantonen mit der höchsten Gymiquote ist auch die Jugendarbeitslosigkeit am höchsten, nämlich in Genf und im Tessin. In der Zentral- und Ostschweiz, wo mehr Lehren absolviert werden, ist sie am tiefsten.
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