Lehrer berichtet«Eltern drängen schwache Schüler leider oft in höhere Stufen»
Nicht immer sind Schüler und Eltern mit dem Übertrittsentscheid einer Lehrperson einverstanden. 20 Minuten hat mit einem Lehrer gesprochen, der seine Sichtweise erläutert.
Darum gehts
Eine Basler Schülerin soll trotz Top-Noten in die Realschule. Der Entscheid ist nicht anfechtbar. (20 Minuten berichtete)
Dass eine Lehrperson mit ihrer Einschätzung bezüglich Übertritt nicht immer richtig liegt, zeigen Fälle von anderen Betroffenen.
Gegenüber 20 Minuten erzählt ein Aargauer Lehrer, wie er vorgeht und wo die Schwierigkeiten sind.
Thomas H.* (42) ist Oberstufenlehrer an einer Realschule im Kanton Aargau: «Uns Lehrpersonen ist es wichtig, auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler einzugehen», sagt er gegenüber 20 Minuten. Er selbst handhabe es so, dass Schülerinnen und Schüler, die gute Noten hätten, für einige Tage in einer höheren Stufe schnuppern dürften: «Wenn es passt, dann können wir gerne über eine Aufstufung sprechen.»
Das Problem sei, dass zu schwache Schülerinnen und Schüler oftmals von den Eltern in höhere Stufen gedrängt würden: «Die Leistungsfähigkeit der Klasse geht dann runter, weil man mit dem Schulstoff kaum vorwärtskommt.» Hinzu komme, dass die betroffenen Schülerinnen und Schüler teilweise unter Stress litten und dann gar nicht mehr in die Schule kämen.
«Lieber erst Sek und Lehre als Matura und dann Studium abbrechen»
Ihm sei es wichtig, den Schülerinnen und Schülern wie auch den Eltern zu zeigen, dass man auch mit einem Realzeugnis eine gute Lehrstelle finden könne. «Eine ehemaliger Schüler hat eine Lehre als Strassenbauer gemacht, also in einem Berufsfeld mit grossem Personalmangel. Mit einem Schweizer Lehrabschluss liegt er nun klar im Vorteil und hat gute Aufstiegschancen.»
Zudem gebe es auch Schülerinnen und Schüler, die etwas mehr Zeit bei ihrer persönlichen Entwicklung benötigten: «Zum Glück ist das Bildungssystem in der Schweiz so aufgebaut, dass auch Spätzünder noch an eine Hochschule kommen können. Es dauert vielleicht zwei oder drei Jahre länger. Lieber erst Sek und Lehre als Matura und dann Studium abbrechen.»
Chancengerechtigkeit als zentrales Anliegen
Laut Beat A. Schwendimann, Leiter der Pädagogischen Arbeitsstelle des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH), nehmen Lehrpersonen grundsätzlich eine ganzheitliche Einschätzung des Kindes vor, welche neben den Noten auch das Verhalten und die Persönlichkeitsentwicklung miteinschliesst.
Für den LCH und seine Mitglieder sei dabei die Chancengerechtigkeit ein zentrales Anliegen. «Wir setzen uns für den Abbau herkunftsbedingter Chancenungerechtigkeit ein. Lehrpersonen sind darauf sensibilisiert, diese so weit wie möglich zu reduzieren.» Auch wenn es nachvollziehbar sei, dass sich ein solcher Entscheid auf das Selbstbild des Kindes auswirken könne, betont auch Schwendimann: «Das Schweizer Bildungssystem ist durchlässig. Nach der obligatorischen Schule stehen Weiterbildungsmöglichkeiten offen.»
*Name der Redaktion bekannt
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