Betroffene erzählen«Mein Lehrer sagte mir, dass ich zu schüchtern sei und es zu nichts bringe»
Eine Basler Schülerin soll trotz Top-Noten in die Realschule. 20 Minuten hat mit Personen gesprochen, die den Entscheid ihrer damaligen Lehrperson infrage stellten.
Darum gehts
Trotz eines Notenschnitts von 5,0 darf eine Baselbieter Schülerin nicht in den Leistungszug E der Sekundarschule (20 Minuten berichtete).
Der Entscheid des Klassenlehrers ist nicht anfechtbar im Kanton Baselland.
Dass eine Lehrperson mit ihrer Einschätzung nicht immer richtig liegt, zeigen Fälle von anderen Betroffenen. Gegenüber 20 Minuten erzählen sie, wie sie das beeinflusst hat.
Corinne Kuhn (44) aus Muri AG: «Mein Lehrer sagte mir, dass ich zu schüchtern sei und es im Leben zu nichts brächte»
«Trotz bestandener Gymi-Aufnahmeprüfung und gutem Notenschnitt wollte mich mein Lehrer an die Sekundarschule schicken. Er sagte mir, ich sei zu schüchtern und brächte es daher im Leben zu nichts. Mir war bewusst, dass ich eher introvertiert bin. Schüchtern zu sein, bedeutet aber nicht zwingend, dumm zu sein. Da ich aber erst zwölf Jahre alt und damit relativ jung war, wusste ich nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Meine Eltern haben sich dann für mich eingesetzt und mich motiviert, ans Gymnasium zu gehen. Danach habe ich Elektrotechnik studiert und an der ETH promoviert. Etwa zehn Jahre habe ich in einer Beratungsfirma gearbeitet und bin nun mit meiner eigenen Firma mit 14 Angestellten selbstständig. Ich bin froh, dass sich meine Eltern damals für mich eingesetzt und an mich geglaubt haben. Es hat meinem Selbstbild sehr geholfen. Ohne sie hätte ich womöglich die Aussage meines Lehrers ernst genommen und wäre heute nicht da, wo ich bin.»
E.* (29): «Mir wurde von meiner Lehrerin gesagt, dass ich dumm sei»
«Mir wurde von meiner Lehrerin gesagt, dass ich dumm sei und aus mir nichts werde. Ich musste deshalb immer den Nachhilfeunterricht besuchen. Irgendwann kam raus, dass ich Autismus habe und im Unterricht unterfordert war. Das war der Grund für meine schlechten Noten. Heute bin ich Informatiker, arbeite für eine bekannte Firma und bin beruflich sehr gefragt.»
«Auf eine bestimmte Bahn gebracht, die sie nicht wieder verlassen»
F.M.* (33) aus St. Gallen: «Ich habe im Unterricht gestreikt, bis meine Lehrerin das Formular unterschrieb»
«Meine damalige Sek-Lehrerin wollte das Formular nicht unterschreiben, damit ich die Kantiprüfung machen kann. Eines ihrer Argumente war: ‹Du bist Albanerin und heiratest sowieso jung. Mach lieber eine Lehre als Verkäuferin in der Migros oder so.› Dieser Satz hat mich so wütend gemacht, dass ich während des Unterrichts gestreikt habe. Ich sass einfach nur da und starrte sie an. Nach etwa einer Woche hat sie mir das unterschriebene Formular auf meinen Schreibtisch geworfen. Ich habe die Aufnahmeprüfung natürlich bestanden, später die Matura gemacht und danach studiert. Ich wurde weder Verkäuferin noch habe ich geheiratet. Ich bin froh, dass ich mich nicht habe beeinflussen lassen und meinen Weg ging.»
Das können Betroffene tun
S.* (19): «Sie sagten mir, ich soll eine Lehre machen und nicht die Mittelschule»
«Mir wurde öfters meinen Lehrern gesagt, dass ich anstelle einer Mittelschule eine Lehre machen soll. Unter anderem schickten sie mich zur Berufsberatung, was ich eigentlich nicht wollte und schliesslich auch nichts brachte. Während meiner ganzen Schulzeit musste ich mir immer wieder negative Äusserungen von meinen Lehrern anhören. Nach diesem ganzen Horror begann ich 2019 die Wirtschaftsmittelschule und schloss sie erfolgreich und mit guten Noten ab. Ab September startet mein Studium an einer Fachhochschule.»
Jana (28) aus Zürich: «Meine Lehrerin meinte, ich würde es in der Sek schwer haben»
«Ich war in der Schule sehr introvertiert und fiel nicht gross auf. In vielen Dingen, wie Lesen oder Rechnen, war ich zudem langsamer als andere Kinder. Man hat mir zwar die Wahl zwischen Real- und Sekundarschule überlassen, mir aber stark ans Herz gelegt, in die Realschule zu gehen. Meine Lehrerin meinte, ich würde es in der Sek schwer haben, weil ich eher schüchtern und verträumt bin. Dies hat in mir eine Trotzreaktion ausgelöst, also ging ich entgegen der Empfehlung in die Sek. Die Aussage der Lehrerin hat mich aber stark geprägt. Ich habe oft das Gefühl, dass ich nicht intelligent genug bin oder etwas nicht erreichen kann. Damit habe ich auch Jahre später noch zu kämpfen und das, obwohl ich die Erwachsenenmatur gemacht habe und mittlerweile einen Masterabschluss besitze.»
*Name der Redaktion bekannt
Nicht immer sind Schüler und Eltern mit dem Übertrittsentscheid einer Lehrperson einverstanden. 20 Minuten hat mit einem Lehrer gesprochen, der seine Sichtweise erläutert. Den Artikel findest du hier.
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