Inflation: Lebensmittel immer teurer, Betreibungen nehmen zu

Aktualisiert

Inflation«Menschen verschulden sich, um essen zu können»

Die Kosten für Lebensmittel sind in den vergangenen drei Jahren massiv angestiegen, selbst im Billigpreis-Segment. Das trifft die Geringverdiener besonders hart. Betreibungen nehmen zu.

Lebensmittel sind kein Konsumgut – man braucht sie schlichtweg zum Leben. Aber sie werden auch in der Schweiz immer teurer. 
Besonders bei Billigprodukt-Linien wie M-Budget und Prix Garantie ist der Preisanstieg massiv: Teils bis zu 20 Prozent. 
Das macht sich auch bei den Betreibungsämtern bemerkbar: Die Anzahl der Betreibungen im ersten Halbjahr 2023 habe sich deutlich erhöht. 
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Lebensmittel sind kein Konsumgut – man braucht sie schlichtweg zum Leben. Aber sie werden auch in der Schweiz immer teurer. 

20min/Michael Scherrer

Darum gehts 

  • Auch wenn die Gesamtinflation in der Schweiz auf einem niedrigen Niveau ist, schlägt sie in manchen Bereichen extrem zu Buche. 

  • Bei Lebensmitteln liegt die Teuerung teils bei bis zu 22 Prozent.

  • Gerade Menschen mit geringem Einkommen können sich den Einkauf teilweise nicht mehr leisten. 

Eines vorweg: In der Schweiz ist die Inflation im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern auf einem relativ geringen Niveau: Laut Statista.com lag sie im Juni 2023 bei 1,8 Prozent, im Nachbarland Deutschland bei 6,8 Prozent, in Österreich bei sogar 7,8 Prozent. 

Aber auch wenn die Gesamtinflation auf einem sehr niedrigen Niveau ist (nur in Belgien, Spanien und Luxemburg ist sie noch geringer), so gibt es einige Bereiche, in denen sie trotzdem richtig «reinhaut»: Und das ausgerechnet bei Dingen, die man zum Leben zwingend braucht – wie schon im Wort enthalten: Lebensmittel. 

Massiver Anstieg bei einzelnen Produkten

Der «SonntagsBlick» sprach mit dem Onlinevergleichsdienst Comparis über die Teuerungen bei Nahrungsmitteln. Je nach Produkt sind die Preisanstiege im Zeitraum von Juni 2021 bis Juni 2023 massiv: Am stärksten ist der Anstieg bei Margarine, Speisefetten und -ölen. Hier betragen sie 22,2 Prozent. Bei Butter sind es 15, bei Bier 14 Prozent. Die Preise für Milch, Eier und Käse sind um 10,2 Prozent gestiegen.

Insgesamt liegt die Teuerung für Lebensmittel bei 5,2 Prozent. Die Preissteigerungen sind aber oftmals gar nicht nötig, um bei den Unternehmen die Mehrkosten zu decken. Vielmehr bereichern sich viele Firmen an der Teuerung. Die Umsätze der Detailhändler stiegen im Juni um 3,7 Prozent. 

«Immer mehr bezahlen Nahrungsmittel mit Kreditkarte»

Was mehr als ironisch anmutet: Die Detailhändler Coop und Migros haben bei ihren Billiglinien wie M-Budget und Prix Garantie die Preise um teilweise über 20 Prozent steigen lassen – von Preis-Garantie kann da keine Rede mehr sein. «Damit steigern sie die Marge auf Kosten der Ärmsten», sagt Aline Masé, Leiterin der Fachstelle Sozialpolitik bei der Caritas.

Eine andere Entwicklung bereite ihr aber ebenfalls Sorgen: «Immer mehr Menschen, die bei uns in die Beratung kommen, bezahlen ihre Nahrungsmittel mit Kreditkarten. Sie haben nicht genug im Portemonnaie. Sie verschulden sich, um essen zu können.»  

Betreibungen nehmen zu 

Dass die Teuerungen nicht spurlos an den Menschen vorbeigehen, zeigt sich auch an einem deutlichen Anstieg bei den Betreibungen: Private Betreibungsfälle in Luzern sind im ersten Halbjahr 2023 um 20 Prozent gestiegen, in Chur um 17 Prozent, in Zürich um 9,5 Prozent. Das ergab eine Umfrage des SoBli bei den städtischen Betreibungsämtern. «Wir haben besonders im Juni und Anfang Juli einen starken Anstieg von Betreibungsfällen registriert», sagt Oliver Pfitzenmayer, Leiter des Betreibungsamts Winterthur-Stadt.

Man rechne allerdings noch mit einer deutlichen Verschärfung gegen Ende des Jahres – denn Inkasso-Prozesse würden dauern. Die Folgen der Inflation seien dann erst zeitverzögert bemerkbar. 

Preisüberwacher plant Kaufkraftgipfel

Die Preisentwicklung im Lebensmittelbereich sei bedauerlich, sagt Preisüberwacher Stefan Meierhans im Interview mit dem «SonntagsBlick». Die grossen Unternehmen hätten ihre Margen erhöhen und ihre Preise durchsetzen können, kritisiert er. Es brauche einen stärkeren Konsumentenschutz und ein neues Wettbewerbsrecht. Die entsprechenden Organisationen hätten zwar einen verfassungsgemässen Auftrag, erhielten aber fast kein Geld. Im September wolle er mit den Konsumentenschutz-Organisationen einen Kaufkraftgipfel durchführen, bei dem es um die Preisentwicklung und die Rolle der Unternehmen gehe. Dazu gehörten auch staatsnahe Unternehmen wie die Post und die SBB. «Der Staat sollte sich jetzt auf breiter Front zurückhalten», sagt Meierhans.

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