Blickwechsel«Online-Dating wird in meiner Kultur gar nicht akzeptiert»
Viele Menschen mit Migrationshintergrund zögern wegen kultureller Gründe beim Online-Dating. Ein Experte erklärt, woher der schlechte Ruf der Plattformen kommt.
Junge Menschen mit Migrationshintergrund erzählen, was sie vom Online-Dating halten.
20minDarum gehts
Online-Dating-Plattformen versprechen das schnelle Glück bei der Suche nach einer Partnerin oder einem Partner.
Wir haben bei Menschen mit Migrationshintergrund nachgefragt, ob sie diese verwenden. Für die meisten Befragten kommen sie nicht in Frage.
In manchen ausländischen Kulturen werden solche Plattformen nämlich als No-go gesehen.
Laut Ahmet Toprak, dem deutschen Professor für Erziehungswissenschaft, liegt das am schlechten Ruf solcher Apps.
Ein schneller Flirt, ein One-Night-Stand oder die ewige Liebe: Online-Dating-Plattformen bieten für jeden Suchenden etwas. Per Klick oder einem Rechts-Wisch kann man viele fremde Gesichter durchschauen und die auswählen, die einem gefallen.
Doch während Dating-Apps das Kennenlernen leichter machen sollen, bringen sie auch Herausforderungen mit sich: die unendliche Auswahl an potenziellen Matches, die Sorge «geghostet» zu werden oder die Unsicherheit, wer sich wirklich hinter einem Profil verbirgt.
Im Format «Blickwechsel» wollten wir deshalb herausfinden, wie beliebt diese Apps bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund wirklich sind, und ob sie kulturell überhaupt akzeptiert werden.
«Bei Frauen wird Online-Dating nicht gern gesehen»
Leyla (21) erklärt, dass sie früher schon auf einer Dating-Plattform aktiv war, dies aber nicht mehr sei. In ihrer Religion, dem Islam, und ihrer Kultur sei das überhaupt nicht akzeptiert. «Beim Online-Dating geht es darum, mehrere Menschen kennen zu lernen oder zu daten, und das wird bei uns gar nicht gern gesehen. Besonders nicht bei Frauen.»

Bei Umar aus Pakistan wird bevorzugt, die Partnerin oder den Partner im echten Leben kennen zu lernen.
20min/mamAuch in Umars Kultur wird bevorzugt, sich im echten Leben zu treffen: «Bei uns ist es oft so, dass dir eine Frau vorgestellt wird, die du im besten Fall heiraten sollst.» Der 22-jährige Zadique hat sich wegen religiöser Gründe ebenfalls dagegen entschieden, sich so im Internet zu präsentieren. «Für Muslime gibt es andere Apps, wo man sich ‹halal› (rein oder erlaubt) kennen lernen kann.»
So viele Mitglieder hat «Muzz»
Wir haben bei den zwei bekanntesten muslimischen Dating-Plattformen «Muzz» und «Minder» (nun «Salams») nach der Mitgliederzahl gefragt. «In der Schweiz haben wir derzeit rund 30'000 Mitglieder. Die Nutzerzahlen steigen», erklärt Marketingspezialistin Nada Abouelsaad von «Muzz». Ungefähr 70 Prozent davon seien Männer und 30 Prozent Frauen. Die Hälfte der Mitglieder sei zwischen 26 und 35 Jahre alt.
Von der Dating-Plattform Minder kam bis Fristende keine Antwort.
«Würde meine Eltern anlügen»
Bei Daniel (29) ist das Online-Dating kulturell erlaubt, jedoch würde auch er sich nicht wohlfühlen, wenn seine Eltern wüssten, dass er auf einer Dating-Plattform unterwegs war. «Hätte ich jemanden beim Online-Dating kennen gelernt, hätte ich meine Eltern darüber angelogen und ihnen dieses Detail verschwiegen.»
Genauso ist es bei der 20-jährigen Angelina. Sie hat ihren jetzigen Freund auf solch einer Plattform kennen gelernt. «Meine Eltern wissen bis heute nichts davon und wir sind drei Jahre zusammen.» Für sie sei es so besser, weil sie sonst ein unangenehmes Gespräch hätte führen müssen.
Welche Erfahrungen hast du mit Online-Dating gemacht?
Warum Online-Dating in manchen Kulturen, und besonders im islamischen Glauben, so einen schlechten Ruf hat, erklärt Ahmet Toprak, Professor für Erziehungswissenschaft in Dortmund, der sich mit der Partnerwahl von Muslimen beschäftigt.
«Das Daten soll zum Heiraten führen und nicht zu schnellem Sex»

Ahmet Toprak, Professor für Erziehungswissenschaft in Dortmund.
Marcus HeineIst es bei Menschen mit Migrationshintergrund ungern gesehen, wenn man auf einer Dating-Plattform aktiv ist?
In vielen ausländischen und muslimischen Milieus dient das Kennenlernen einem bestimmten Zweck: nämlich der Heirat. Ein unverbindliches Kennenlernen wird nicht hoch angesehen, vor allem seitens der Eltern.
Woher rührt der schlechte Ruf solcher Plattformen?
Ein Hauptgrund ist, dass diese Plattformen unverbindlichen Sex beziehungsweise ein Abenteuer versprechen. Das ist zumindest die wahrgenommene Ansicht. Muslimische Frauen, die sich etwa auf Tinder anmelden, haben in der eigenen Community einen schlechten Ruf. Man geht davon aus, dass sie sich nicht für die Ehe oder eine ernsthafte Beziehung dort anmelden, sondern für den schnellen Sex.
Viele der Befragten meinten, dass sie sich eher auf muslimischen Dating-Plattformen anmelden würden. Warum ist das so?
Wenn man sich die Botschaften etwa von Minder und Muzz ansieht, wird klar, dass diese nicht nur mit ernsthafter Beziehung werben, sondern als Heiratsbörse für Gleichgläubige fungieren. Das Ziel ist klar eine Heirat zu einem anderen Muslimen. Da dieses Prinzip eher mit der Kultur und der Religion übereinstimmt, ist es nicht verwunderlich, dass die Befragten sich dafür entscheiden.
Ist es für Männer eher akzeptiert, auf einer Dating-Plattform unterwegs zu sein, als für Frauen?
Es gibt definitiv einen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Es wird in konservativen muslimischen Milieus erwartet, dass die Frau nicht nur als Jungfrau in die Ehe eingeht, sondern auch auf der Suche nach einem Partner eine passive Rolle einnimmt. Männer sind in diesem Zusammenhang freier, weil von ihnen nicht erwartet wird, dass sie jungfräulich bleiben. Sie sollen auch aktiv nach einer passenden Partnerin suchen, dabei ist es okay, auch mehrere kennen zu lernen.
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