Hohe Kosten: Es fehlen Brillen im Globalen Süden

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«Brillen können im Globalen Süden über Leben und Tod entscheiden»

Es fehlen günstige Brillen im Globalen Süden. Unter unkorrigierter Sehschwäche leiden nicht nur Betroffene, sondern auch die Wirtschaft eines Landes. Martin Aufmuth will das mit Ein-Dollar-Brillen ändern.

Eine Milliarde Menschen brauchen eine Brille, haben aber keinen Zugang dazu.
Das schränkt nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen ein, sondern verursacht auch weltweit Kosten von 411 Milliarden US-Dollar.
Es brauche Brillen, die sich auch Menschen leisten können, die einen Dollar oder weniger pro Tag verdienten.
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Eine Milliarde Menschen brauchen eine Brille, haben aber keinen Zugang dazu.

EinDollarBrille

Darum gehts

  • Weltweit benötigen eine Milliarde Menschen eine Brille, haben jedoch keinen Zugang dazu.

  • Das will der Verein «EinDollarBrille» mittels günstiger Brillen ändern.

  • Denn die unkorrigierten Sehbeeinträchtigungen schränken nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen ein, sondern verursachen auch weltweit Kosten von 411 Milliarden US-Dollar.

Eine Milliarde Menschen weltweit brauchen eine Brille, haben aber keine. Eine neue Studie hat ergeben, dass Textilarbeiter, Handwerker und Schneider in Bangladesch, die eine Lesebrille bekamen, 33 Prozent mehr verdienten als die, die keine Brille erhielten. Die WHO geht davon aus, dass unkorrigierte Sehbeeinträchtigungen die globale Wirtschaft 411 Milliarden US-Dollar kosten. Die Kosten, um die unbehandelten Sehstörungen zu korrigieren? 25 Milliarden US-Dollar.

«Bei Entwicklungshilfe denken alle erst einmal an die grossen Probleme wie Hunger und Durst. Dabei wird oft vergessen, welche massive Hebelwirkung günstige Brillen haben», sagt Martin Aufmuth, Gründer von «EinDollarBrille». Der spendenfinanzierte und gemeinnützige Verein bietet in den Ländern des Globalen Südens kostenlose Sehtests und günstige Brillen mit flexiblen Federstahlrahmen und Klickgläsern an. «So halten die Brillen lange und sind trotzdem günstig.»

Ein Besuch im 1-Euro-Shop führte zur Idee

Auf die Idee kam Aufmuth vor 14 Jahren. In einem Buch von Paul Polack habe er gelesen, dass eine der letzten grossen Erfindungen für Entwicklungsländer eine Brille sei, die sich auch Menschen leisten können, die von einem Dollar oder weniger am Tag leben. «Schade, da müsste sich die WHO mal drum kümmern», dachte er sich und habe das Gelesene irgendwo im Hinterkopf vergraben.

Laut einer Umfrage sollen 80 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer eine Sehhilfe benötigen: Auch du?

Zumindest bis er kurz darauf in einem 1-Euro-Shop landete. «Dort habe ich zufällig spottbillige Lesebrillen gesehen und mich an Polack erinnert.» Ein Jahr habe der gelernte Mathematik- und Physiklehrer an einem Prototyp gefeilt. Dabei habe ihm seine Ausbildung in zweierlei Hinsicht geholfen. «Ich wusste, wie Optik funktioniert, hatte aber keine Ahnung von all den präzisen Geräten. Ich konnte unbefangener und mit dem Blick aufs Wesentliche experimentieren.»

Weniger Hunger dank günstiger Brille

Heute hat «EinDollarBrille» 500 Mitarbeitende weltweit. Viele davon arbeiten vor Ort in Kleinteams, die zu «GoodVision Technicians» ausgebildet werden. Das komme einer abgespeckten Optikerlehre gleich. «Die Mitarbeitenden behandeln teilweise Menschen mit zehn Dioptrien – also beinahe blind – und setzen ihnen das erste Mal eine Brille auf.» Oft hätten sie gar nicht gewusst, wie schlecht sie wirklich sehen würden. «Kinder machen einen enormen Entwicklungssprung in der Schule, Eltern können wieder arbeiten und Familien müssen weniger hungern.»

Die meisten der 500 Mitarbeitenden arbeiten in Kleinteams vor Ort und führen Sehtests durch oder passen Brillen an.

Die meisten der 500 Mitarbeitenden arbeiten in Kleinteams vor Ort und führen Sehtests durch oder passen Brillen an.

EinDollarBrille

Wie zum Beispiel die des 80-jährigen Bauers Simon aus Malawi, der laut Aufmuth wegen seiner Sehschwäche nicht mehr richtig auf dem Feld arbeiten konnte. Seine fünf Kinder seien schon alle verstorben, aber er habe noch 15 Enkel. «Wegen Dürre hungerten alle eh schon zwei Monate im Jahr. Wenn dann noch Ernteausfälle dazu kommen, weil er zu wenig sieht, kann eine günstige Brille zwischen Leben und Tod entscheiden.»

Die Brillen seien absichtlich nicht kostenlos, weil er als weisser Europäer keine Almosen verteilen wolle, sagt Aufmuth. «Ausserdem gehen die Brillen dann sicher an die, die sie wirklich brauchen und dafür sogar drei ganze Tageslöhne ausgeben.» Gleichzeitig würden aber auch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sensibilisiert, damit sie ihre Mitarbeitenden finanziell unterstützten. Am Ende sparten sie nämlich Geld damit. Die Leute machten weniger Fehler, arbeiteten schneller und es passierten weniger Unfälle. «Es steigt also die Produktivität eines Unternehmens, wenn Menschen richtig sehen.»

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