Situation in den SpitälernDarum kommt ein Drittel der Covid-Patienten aus Balkan-Ländern
Viele Hospitalisierte haben sich im Kosovo oder in Mazedonien angesteckt. Migrationsexperten führen dies auf einen lockeren Umgang und Skepsis gegenüber dem Staat zurück.
Darum gehts
Migrantenvereine bestätigen, dass sich viele Menschen mit Balkan-Migrationshintergrund gegen die Covid-Impfung sträuben.
«In der Balkan-Community herrscht eine grundsätzlich kritische Haltung gegenüber dem Staat – auch in Bezug auf die Schweiz», sagt ein Vertreter von Secondas Zürich.
Ein Mensch, der Vertrauen erweckt, solle diese Bevölkerungsgruppe sensibilisieren, so eine Erziehungs- und Kommunikationsexpertin.
Das Coronavirus trifft aktuell vor allem Reiserückkehrerinnen und -Rückkehrer aus dem Balkan schwer. Laut der Taskforce geben mehr als ein Drittel der Hospitalisierten zum Zeitpunkt der möglichen Ansteckung als Aufenthaltsort ein Land in Südosteuropa an.
«80 Prozent der vermuteten Ansteckungsorte liegen im Kosovo und in Nordmazedonien», schreibt das Gremium in seinem neusten wissenschaftlichen Update. Es sei möglich, dass diese Menschen durch die bisherige Impfkampagne zu wenig erreicht worden seien und dass die Impfrate unterdurchschnittlich sei, jedoch fehlten dazu entsprechende Daten.
«Kritische Haltung gegenüber dem Staat
Migrantenvereine bestätigen, dass sich viele Menschen mit Balkan-Migrationshintergrund gegen die Covid-Impfung sträuben. «Ich höre in meinem persönlichen Umfeld fast alle drei Tage von Leuten, die mit Covid im Spital liegen, weil sie nicht geimpft sind», sagt Përparim Avdili, Vorstandsmitglied der Secondas Zürich. Auch eine junge Frau liege intubiert auf der Intensivstation.
Der Zürcher Gemeinderat führt die vielen Covid-Patienten in dieser Bevölkerungsgruppe darauf zurück, dass sie dem Staat und damit der Impfung nicht vertraut. «In der Balkan-Community herrscht aus historischen Gründen eine grundsätzlich kritische Haltung gegenüber dem Staat – auch in Bezug auf die Schweiz», so Avdili.
«Glauben, der Staat wolle etwas Böses antun»
Dazu komme, dass die Corona-Massnahmen etwa im Kosovo und in Mazedonien kaum ein Thema seien, sagt Avdili. «Als ich selber dort kürzlich zu Besuch war, stellte ich schockierend fest, wie wenige Massnahmen umgesetzt werden.» Menschenansammlungen mit bis zu 300 Leuten seien immer noch ohne Covid-Zertifikat möglich. «Das Zertifikat kennt man dort noch gar nicht. Darüber beginnt man jetzt langsam zu diskutieren.»
Durch die Verbundenheit mit der Heimat schauen sich viele Menschen der Balkan-Community laut Avdili «dummerweise» das schlechte Verhalten ab. Dadurch würden sie auch empfänglich für Verschwörungstheorien rund um die Impfung. «In der Community glauben einige Leute tatsächlich, dass der Staat ihnen mit der Impfung etwas Böses antun wolle.»
«Hochzeiten mit bis zu 5000 Gästen ohne Schutzkonzepte»
Ähnliches beobachtet Sefika Garibovic, die als Expertin für Nacherziehung und Kommunikation vor allem auch im Bereich Migration tätig ist. «Im Balkan finden in den Sommerferien trotz der Pandemie Hochzeiten mit bis zu 5000 Gästen statt.» Es sei nicht unüblich, dass die Familienmitglieder aus der Schweiz in den Sommerferien im Balkan jeden Tag eine Hochzeit oder sonst ein traditionelles Fest besuchten.
Laut Garibovic wird dabei überhaupt nicht auf die Hygiene geschaut. «Ich habe es selbst gesehen in meinen Ferien: Man umarmt und küsst sich, es wird getanzt und gegessen und an zehn Meter langen Buffets drängen sich die Gäste. Abstand, Masken oder Desinfektionsmittel sind kein Thema.»
«Glauben, robust zu sein»
Impfen liessen sich viele Menschen in der Community nicht, weil es an Aufklärung und Vertrauen mangle, so Garibovic. «Sie denken, dass das Virus nur etwas Vorübergehendes und bald wieder vorbei sei.» Andere liessen sich nicht impfen, weil sie nicht wüssten, was im Impfstoff drin sei und diesen deshalb für gefährlich hielten.
Auch Lars Haefner, Präsident der Gesellschaft Schweiz-Albanien, ortet einen Mangel an Aufklärung. «Viele Migranten sind jung und arbeiten körperlich und glauben deshalb, dass sie gegen das Virus sowieso genug robust seien.» In dieser Gesellschaftsschicht akzentuierten sich die allgemeinen Gräben zwischen Geimpften und Ungeimpften unabhängig von der Herkunft. «Daten zeigen, dass Gutverdienende und Gebildete weniger impfskeptisch sind als Schlechtverdienende und Personen mit tiefem Bildungsstand.»
Gezielte Kampagne gefordert
Damit die Impfnachfrage in dieser Gruppe steigt, fordern die Vertreterinnen und Vertreter eine gezielte Kampagne. «Es müssen geimpfte Persönlichkeiten engagiert werden, die in dieser Community eine gute Reputation haben und ihnen erklären können, wie wichtig die Impfung jetzt ist», sagt Përparim Avdili. Um die älteren Menschen zu erreichen, die die Landessprachen weniger gut beherrschen, sollte die Kampagne auch in ihrer Sprache geführt werden.
Auch Sefika Garibovic sieht Handlungsbedarf. «Auf das BAG hört in dieser Community kein Mensch. Manche wissen nicht einmal, dass es das BAG gibt», behauptet sie. Erreicht werden könnten diese Personen in Form von gezielten Info-Anlässen. «Vor dem Publikum sollte dann nicht ein trockener Beamter stehen, sondern ein zugänglicher und kompetenter Mensch, der viel Vertrauen ausstrahlt.» Klar sei auch, dass die Politik von links bis rechts diesbezüglich aktiv werden müsse.
So spricht das BAG Migrantinnen und Migranten an
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat in seiner Kampagne auch die Bevölkerung mit Migrationshintergrund im Fokus. Für Migrantinnen und Migranten der Schweiz stelle das BAG Informationen in diversen Sprachen zur Verfügung, sagt eine Sprecherin auf Anfrage. So sei auch die Kampagnenwebseite zum Coronavirus in 24 Sprachen übersetzt. «Zudem arbeitet das BAG mit verschiedenen Organisationen sowie mit Diaspora-TV zusammen, um die Migrationsbevölkerung mit den nötigen Informationen zu versorgen, damit sie ihren Impfentscheid treffen kann.» Das BAG stehe mit den Kantonen in engem Kontakt und unterstütze diese bei ihren Bemühungen, unterschiedliche Bevölkerungsteile zu erreichen.
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