Staatssekretariat für Migration«Sozial verheerend» – das Schweizer Asylwesen ist am Anschlag
Das Staatssekretariat für Migration schlägt Alarm. Die unerledigten Asylgesuche haben einen neuen Höchststand erreicht.
Darum gehts
In der Schweiz sind aktuell rund 15'800 Asylgesuche pendent.
Mitarbeitende des Staatssekretariats für Migration (SEM) müssen Überstunden machen.
Interne Stimmen werfen Bundesrätin Baume-Schneider vor, bei jedem tragischen Ereignis reflexartig die Möglichkeit eines zusätzlichen Flüchtlingskontingents ins Gespräch zu bringen.
Die Zunahme der Asylanträge macht den Mitarbeitenden des Staatssekretariats für Migration (SEM) zu schaffen. Die unerledigten Gesuche haben einen neuen Höchststand erreicht: «Aktuell haben wir rund 15'800 pendente Asylgesuche», zitiert der «SonntagsBlick» einen SEM-Sprecher. Das habe vor allem mit der anhaltend hohen Zahl neuer Asylgesuche zu tun, so die Behörde weiter.
Das SEM habe seine Ressourcen in den letzten Monaten in diesem Bereich zwar ausbauen können, «aber diese reichen aktuell nicht aus, um die Zahl zu reduzieren». Ende Oktober 2023 seien im Bereich Asyl 833 Mitarbeitende, verteilt auf 727 Vollzeitstellen, tätig gewesen. Im Vorjahr waren es noch 656 Mitarbeitende, verteilt auf 560 Vollzeitstellen. Stand jetzt seien laut SEM «keine weiteren Ressourcenerhöhungen im Direktionsbereich Asyl geplant». Aber je nach Entwicklung der Zahl neuer Asylgesuche könne sich dies «natürlich wieder ändern», so das Staatssekretariat weiter. «Wir verfolgen diese Entwicklung sehr eng und aufmerksam.»
Negative Auswirkungen auch auf die Gesellschaft
Überstunden seien an der Tagesordnung, und ein staatlicher Arbeitgeber könne sie nicht erzwingen. Ein Mitarbeiter berichtet gegenüber dem «SonntagsBlick», dass die meisten dies freiwillig tun und auch am Wochenende arbeiten. Dies sei schon während der Flüchtlingskrise 2015 und auch seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs der Fall gewesen.
Die Auswirkungen der vielen ausstehenden Pendenzen werden für die betroffenen Asylbewerberinnen und Asylbewerber als sozial «verheerend» beschrieben. Es gebe Personen, die mehr als ein Jahr auf ihre Anhörung warten müssen. Während dieser Zeit würden sie «irgendwo herumlungern», ohne die Möglichkeit, Integrationsmassnahmen zu ergreifen oder anderweitig beschäftigt zu sein. Dies habe negative Auswirkungen auf die Gesellschaft, den Staat und auch auf die Asylsuchenden selbst.
Schweiz mit «Standortnachteil»
Zwischen den Staaten herrscht laut «SonntagsBlick» zurzeit ein Wettbewerb um negative Anreize für Asylsuchende. Die Schweiz, als wohlhabendes Schengenland im Herzen Europas, sehe sich in dieser Hinsicht einem Standortnachteil gegenüber.
Diese Tatsache sei auch der Migrationsministerin, SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider, bekannt. Vor zwei Wochen habe sie die Vorschriften für Antragsteller aus Marokko, Tunesien und Algerien verschärft und vorübergehend 24-Stunden-Verfahren eingeführt. Internen Berichten zufolge wird behauptet, dass Baume-Schneider bei jedem tragischen Ereignis wie einem Erdrutsch in Libyen, einem Erdbeben in Marokko oder einem Krieg in Gaza reflexartig die Möglichkeit eines zusätzlichen Flüchtlingskontingents ins Gespräch bringe. Erst ihre Entourage könne sie jeweils stoppen. Auf Anfrage des «SonntagsBlick» widerspricht das Departement von Baume-Schneider dieser Darstellung: Es wird bestritten, dass die Ministerin die Forderung nach zusätzlichen Flüchtlingskontingenten gestellt habe.
Das sind die wichtigsten Herkunftsländer
Zusätzlich erklärt der Sprecher von Baume-Schneider in Bezug auf die Schnellverfahren: «Die Leiterin des Departements hat im Frühjahr 2023 das SEM beauftragt, Optimierungen zu prüfen und Massnahmen zu entwickeln, um die Prozesse zu beschleunigen und das Asylwesen insgesamt zu entlasten. Das SEM setzt diesen Auftrag gemäss geltendem Recht unter anderem im Rahmen dieses Pilotprojekts um.»
Die wichtigsten Herkunftsländer der Personen, die im Oktober ein Asylgesuch in der Schweiz eingereicht haben, sind die Türkei mit 913 Gesuchen (67 mehr als im September), Afghanistan (904 Gesuche; -582), Eritrea (218 Gesuche; +48), Algerien (167 Gesuche; -12) und Marokko (154 Gesuche; -3). Im Oktober stellten 2423 Personen aus der Ukraine ein Gesuch um Schutzstatus S. Im gleichen Zeitraum wurde 1473 Personen der Schutzstatus S gewährt. Bei 82 schutzsuchenden Personen wurde er abgelehnt, weil die Kriterien nicht erfüllt waren.
Hast du oder hat jemand, den du kennst, Fragen oder Probleme im Bereich Migration/Asylverfahren?
Hier findest du Hilfe:
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Tel. 031 370 75 75
Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer SRK, Tel. 058 400 47 77
Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration, Tel. 044 436 90 00
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