Zehn Wochen Proteste«Der Abgrund ist in greifbarer Nähe» – Israels Präsident warnt vor Bürgerkrieg
Seit zehn Wochen wird in Israel gegen die geplante Justizreform protestiert. Nachdem ein von Präsident Isaak Herzog vorgelegter Kompromiss abgelehnt wurde, droht eine Eskalation.
Darum gehts
Seit zehn Wochen finden in Israel Massendemonstrationen gegen eine geplante Justizreform statt.
Präsident Isaak Herzog wollte mit einem Kompromissvorschlag die Situation beruhigen.
Doch die Regierung lehnte diesen ab – und riskiert eine weitere Eskalation bis hin zum Bürgerkrieg.
In Israel ist derzeit so richtig Feuer unterm Dach. Dies zeigte sich jetzt beim Treffen des deutschen Kanzlers Olaf Scholz mit dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu, bei dem sich Scholz besorgt über die Pläne zur Justizreform in Israel geäussert hat. «Als enge Freunde Israels verfolgen wir diese Debatte sehr aufmerksam und – das will ich nicht verhehlen – mit grosser Sorge», sagte Scholz. Auch die USA drängten Netanjahu, die Reform zu überdenken, und erklärten, Demokratie gründe auf starken Institutionen und einer Gewaltenteilung.
Gegen den von der rechts-religiösen Regierung geplanten Umbau der Justiz gibt es in Israel seit mittlerweile zehn Wochen massive Proteste mit zahlreichen Demonstrationen, an denen die Polizei bisweilen hart durchgriff. Bei den Demonstrationen hat sich die üblicherweise stark polarisierte Gesellschaft Israels vereint. Auch aus den Reihen der Reservisten des Militärs und des sonst apolitischen Technologiesektors sei starke Opposition zu spüren, schreibt der «Guardian».
«Der Abgrund ist in greifbarer Nähe»
Doch trotz des Drucks der Strasse denkt die stark rechtsgerichtete Regierung – an der auch ultra-orthodoxe und erstmals rechtsextreme Parteien beteiligt sind – nicht daran, nachzugeben. Ein Kompromiss, den der israelische Präsident Isaak Herzog vorlegte, wurde umgehend abgelehnt. Dieser sah Abschwächungen bei den am meisten umstrittenen Punkten der geplanten Reform vor. Der Vorschlag Herzogs würde die jetzige Situation im Justizsystem des Landes «verewigen», sagte Netanjahu.
Nun macht sich Herzog Sorge um die Zukunft seines Landes. In einer Ansprache im Fernsehen sagte er: «Die letzten Wochen haben uns auseinandergerissen. Israel ist mitten in einer tiefgreifenden Krise. Wer immer glaubt, dass ein echter Bürgerkrieg mit echten Menschenleben eine Grenze ist, die wir nicht erreichen werden, hat keine Vorstellung.» Der Abgrund sei «in greifbarer Nähe».
Ex-Premier Olmert will Netanjahu isolieren
Am Freitag hat sich auch der frühere israelische Ministerpräsident Ehud Olmert zu Wort gemeldet und die internationale Gemeinschaft gebeten, Netanjahu zu isolieren. «Ich bitte dringend die Führer der mit dem Staat Israel befreundeten Länder, sich Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten zu enthalten», sagte Olmert, von 2006 bis 2009 Regierungschef, der Nachrichtenagentur AP. «Die, die für den Staat Israel sind, sollten gegen den Ministerpräsidenten von Israel sein.» Die derzeitige Regierung sei «einfach antiisraelisch».
Netanjahu stellt die Reform als notwendig dar, um das Gleichgewicht in der Gewaltenteilung wiederherzustellen: Die Judikative in Israel habe derzeit zu viel Macht. Kritiker sehen in der geplanten Reform hingegen einen Angriff auf den Rechtsstaat, denn Israel hat keine Verfassung: Stattdessen fungieren die Grundgesetze als solche. Dem Obersten Gerichtshof kommt daher eine umso wichtigere Rolle zu, denn ihm obliegt das Urteil über ihre Verfassungsmässigkeit. So kann der Gerichtshof vom Parlament verabschiedete Gesetze derzeit ausser Kraft setzen, wenn er sie für diskriminierend hält.
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