Till R.: Vermisster Jugendlicher erklärt seine jahrelange Flucht

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Deutschland7 Jahre verschwunden: Jetzt erzählt Till (21), warum er weglief

Der seit sieben Jahren vermisste Till R. hat sich wieder bei seiner Familie gemeldet und spricht offen über die Gründe für sein Verschwinden und die Zeit danach.

Nach sieben Jahren auf der Flucht hat Till R. im April 2024 seine Familie kontaktiert.
In einem Interview gibt der heute 21-Jährige Einblicke in seine Jahre als Vermisster.
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Nach sieben Jahren auf der Flucht hat Till R. im April 2024 seine Familie kontaktiert.

Polizei Mittelfranken

Darum gehts

  • Der seit 2017 vermisste Till R. hat nach sieben Jahren den Kontakt zu seiner Familie wieder aufgenommen.

  • Als Jugendlicher war er wegen Mobbing von zu Hause weggelaufen und lebte zeitweise auf der Strasse.

  • Nach der Veröffentlichung seines Falls in «Aktenzeichen XY» entschloss er sich, zu seiner Familie zurückzukehren.

Der seit knapp sieben Jahren verschwundene Till R. aus der deutschen Ortschaft Neustadt an der Aisch ist wieder da. Am Dienstag bestätigte die Polizei in Mittelfranken, dass der 21-Jährige vor einigen Wochen den Kontakt zu seiner Familie wieder aufgenommen hat. Till galt seit September 2017 als vermisst, sein Fall war sogar Thema in der Sendung «Aktenzeichen XY». Doch nach sieben Jahren auf der Flucht wurde ihm plötzlich klar: Er wollte zurück zu seiner Familie.

Im Gespräch mit der «Bild»-Zeitung verrät Till, warum er damals als 15-Jähriger von zu Hause weglief und was er in den letzten Jahren getan hat. Am 17. September 2017 war er ohne das Einverständnis seiner Eltern mit dem Zug nach Lingen ins Emsland (Niedersachsen) gereist, um eine Online-Spiel-Bekanntschaft zu besuchen. Trotz einer Fahrkarte, die ihm vom Jugendamt für die Rückfahrt gegeben wurde, stieg er unterwegs aus und verschwand.

Mobbing, weil er «zu dick» ist

Er sei in der Schule gemobbt worden, «weil ich zu dick war», begründet Till die Entscheidung. «Ich wollte nicht mehr in die Schule gehen. Ich habe meinen Eltern und Brüdern nie erzählt, was da abgeht.» Stattdessen vertraute er sich dem Jugendamt an. Hilfe erhielt er nicht: «Die waren nicht besonders freundlich und haben mein Problem nicht ernst genommen. Ich sagte ihnen, ich würde erst dann nach Hause zurückkehren, wenn das Mobbing in meiner Schule aufhört.»

Während der Zugfahrt sei er dann plötzlich in Düsseldorf ausgestiegen. «Ich hatte Angst, nach Hause zu fahren. Aber noch mehr Angst hatte ich vor der Schule. Im Zug hatte ich ununterbrochen ein ungutes Gefühl.» In der ersten Woche trieb sich Till am Bahnhof und in der Innenstadt von Düsseldorf herum, schlief auf der Strasse.

Wurdest du in der Schule gemobbt?

Von Düsseldorf nach Berlin

Mitte Oktober 2017 rief er einen Schulfreund an und teilte ihm mit, dass es ihm gut gehe. Der «Bild» erzählt er: «Mit der Zeit lernte ich langsam Leute von der Strasse kennen, darunter zwei Obdachlose, mit denen ich mich anfreundete. Wir haben uns mit Lagerarbeiten über Wasser gehalten. Gewohnt haben wir in einer verlassenen abbruchreifen Halle in einem Industriegebiet. Wir waren zu dritt unterwegs und teilten das Wenige, was wir hatten. Das ging etwa ein Jahr lang so.»

Als das Trio arbeitslos wurde, reiste es weiter nach Berlin. Trotz der Distanz lebte Till ständig in Angst, entdeckt zu werden. «Keiner von uns dreien hat jemals ein Handy besessen.» Alles änderte sich, als er erfuhr, dass im Sommer 2022 sein Foto bei «Aktenzeichen XY» veröffentlicht und eine Belohnung für Hinweise zu seinem Verbleib ausgesetzt wurde. «Das war Kopfgeld! Auf einmal habe ich mich gefühlt wie Freiwild. Einer meiner beiden Kumpel wurde verprügelt, damit er verrät, wo ich bin. Aber er hat dicht gehalten», so der 21-Jährige.

Langsam sei ihm aber danach klar geworden, dass er heim wolle. Am vergangenen 21. April schickte er seinem Vater aus einem geliehenen Handy eine Nachricht.

Heute sitzt Till R. im Garten mit seinen Eltern. Alles wirkt so, als sei es nie anders gewesen. «Ich geniesse die Ruhe hier», sagt der Sohn.

Bist du oder ist jemand, den du kennst, von (Cyber-) Mobbing betroffen?

Hier findest du Hilfe:

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Fachstelle Mobbing (kostenpflichtig)

Elternberatung, Tel. 058 261 61 61

Hilfe bei Mobbing, Fachstelle für Schulen und Eltern (kostenpflichtig)

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz

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