Nettolohn als Lösung?«Die Schweiz ist Spitzenreiterin bei den Steuerschulden»
Steuern sollen direkt vom Lohn abgezogen werden können, fordert die Berner Grossrätin Andrea Zryd (SP) in ihrem Vorstoss. Bisher sind derlei Bestrebungen stets am Widerstand der Bürgerlichen gescheitert.
Darum gehts
Bereits zum zweiten Mal fordert die SP-Grossrätin Andrea Zryd in einer Motion einen «echten Nettolohn».
Mit dem Direktabzug der Steuern vom Lohn könnten Steuerschulden verhindert werden, ist die Politikerin überzeugt.
Auch Steuerberatungsstellen drängen seit langem auf diese Lösung.
Ähnliche Vorstösse wurden bislang von bürgerlichen Mehrheiten versenkt. Sie befürchten einen nicht zu stemmenden Mehraufwand für die Arbeitgeber.
Offene Steuerrechnungen zählen in der Schweiz zu den grössten Schuldenfallen: Bis zu 330'000 Personen werden jährlich wegen Steuerschulden betrieben. Allein im Kanton Bern werden zwischen 60'000 bis 65'000 Betreibungen ausgestellt, wodurch dem Staat über 200 Millionen Franken durch die Lappen gehen.
Für die Berner Grossrätin Andrea Zryd (SP) ist klar, wie sich das Problem lösen liesse: Indem die Steuern auf freiwilliger Basis direkt vom monatlichen Salär abgezogen werden können. Mit solch einem «echten Nettolohn», schreibt sie in ihrer kürzlich eingereichten Motion, könnten «Schulden, Notlagen und administrative Leerläufe» vermieden werden.
«Schweiz ist Spitzenreiterin bei Steuerschulden»
«Die Schweiz ist Europas Spitzenreiterin, was Steuerschulden betrifft», sagt Zryd zu 20 Minuten. Dass diese sich mittels Direktabzug vom Lohn effizient verhindern lassen, zeige sich in vielen anderen Ländern. «In manchen Staaten wird sogar noch die Krankenkassenprämie abgezogen und das verbleibende Geld kann ohne Stress für das Leben ausgegeben oder gespart werden.»
Neu ist die Forderung nach der Einführung eines Nettolohns nicht. Zryd selbst hatte 2018 eine fast identische Motion lanciert, die vom Parlament als Postulat angenommen wurde. Weil seither «viel Zeit verstrichen, aber nichts geschehen» sei, nehme sie nun einen neuerlichen Anlauf, sagt die 47-Jährige. Zumal sich die Ausgangslage nicht zum Besseren verändert habe – im Gegenteil: «Mit der Teuerung und den hohen Krankenkassenprämien wird es für viele Leute noch schwieriger, ihre Steuern rechtzeitig zu bezahlen.» Die SP-Politikerin macht zudem geltend, dass sämtliche Bevölkerungsschichten von Steuerschulden betroffen seien – auch Topverdienende.
Sollen Steuern direkt vom Lohn abgezogen werden können?
Modell nicht für alle geeignet
Schuldenberatungsstellen sprechen sich seit langem dafür aus, dass die Steuern automatisch vom Lohn abgezogen und vom Arbeitgeber direkt an die Steuerverwaltung überwiesen werden. Wie Anita Nydegger, Co-Leiterin der Berner Schuldenberatung erklärt, werden die provisorischen Raten oft nicht bezahlt, weil keine Rückstellungen gemacht wurden. Bei Erhalt der definitiven Steuerveranlagung müssten dann monatliche Raten vereinbart werden. «Wenn aufgrund von Arbeitslosigkeit oder Krankheit die Einnahmen einbrechen, wird es sehr schwierig, Steuern aus einer Zeit, wo man noch gut verdient hat, abzuzahlen», sagt Nydegger. Die Folge: Betreibung und Lohnpfändung.
Laut der Sozialarbeiterin äussern viele Schuldnerinnen und Schuldner in den Beratungen den Wunsch, dass die Steuern und auch die Krankenkasse direkt vom Lohn abgezogen werden sollen. «Auch ein freiwilliger Direktabzug würde unserer Erfahrung nach dazu führen, dass es für viele einfacher wäre, die Steuern fortlaufend zu bezahlen», so Nydegger. Es sei ausserdem nicht in allen Kantonen problemlos möglich, monatliche Zahlungen an die Steuerverwaltung zu leisten.
Die Schuldenberaterin schränkt jedoch ein, dass dieses Modell nicht für alle geeignet sei: «Menschen mit sehr tiefen Einnahmen, wo ein Steuererlassgesuch möglich ist, würden wir den freiwilligen Direktabzug nicht empfehlen, da sie sonst zu wenig Geld für die laufenden Ausgaben haben.»
«Unverständliche Privilegierung des Staates»
Bestrebungen nach einem freiwilligen Direktabzug gab und gibt es in verschiedenen Kantonen, bislang sind sie aber stets am Widerstand der Bürgerlichen gescheitert. Diese befürchten einen administrativen Mehraufwand für die Arbeitgeber und stören sich am staatlichen Eingriff. Der Berner Grossrat und Unternehmer Daniel Arn (FDP) weist etwa darauf hin, dass Arbeitnehmende zwischen dem Direktabzug und dem jetzigen Modell hin und her wechseln könnten. Dieses «Einmal-so-einmal-so» könnten gerade kleinere Unternehmen ohne elektronische Lohnbuchhaltungssysteme und Personalabteilungen nicht bewältigen, sagt er zu 20 Minuten.
Zwar geht auch Arn davon aus, dass Steuerschulden mittels Direktabzug weitgehend aus der Welt geschafft werden könnten. Die finanziellen Löcher würden jedoch an anderer Stelle entstehen: «Wenn es nicht aufgeht, werden einfach andere Rechnungen nicht bezahlt – und dort werden Betreibungen noch viel schneller eingeleitet.» Es sei zudem nicht nachvollziehbar, weshalb der Staat gegenüber anderen Gläubigern, wie beispielsweise Gewerblern, bevorteilt werden sollte: «Wieso soll der Staat mit seiner Steuerforderung privilegiert befriedigt werden, während der Handwerker auf seiner Reparaturforderung sitzen bleibt?»
«Aufwand möglichst tief halten»
«Der administrative Aufwand müsste möglichst tief gehalten werden und sich an die Struktur der Quellenbesteuerung anlehnen», sagt auch Schuldenberaterin Nydegger. Sie schlägt vor, dass der Kanton allen Arbeitgebern ein EDV-Programm zur Verfügung stellt, ähnlich der Taxme-Software für die Steuererklärung im Kanton Bern. «Und natürlich wäre es ideal, wenn alle Kantone das gleiche Programm hätten, sodass es für die Arbeitgeber keine Rolle spielt, wo ihre Arbeitnehmenden wohnen.»
Andrea Zryd geht davon aus, dass die Berner Regierung ihren Vorstoss spätestens bis zum nächsten Frühling bearbeitet haben wird. Bis dahin wird sie versuchen, das Parlament hinter sich zu bringen.
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