Diese Schweizerin entführte Töchter zum IS

Aktualisiert

Camp RojDiese Schweizerin entführte Töchter zum IS

Sahila F.* (30) folgte mit ihren Töchtern dem IS. 20 Minuten hat die Genferin in Syrien aufgespürt. Sie behauptet, ein Schweizer Diplomat habe ihre Kinder zurückführen wollen.

Ann Guenter
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Ann Guenter

Sie ist in Genf geboren und aufgewachsen, hat dort die Handelslehre gemacht. Heute sitzt die 30-jährige Schweizerin in einem Internierungslager in Nordsyrien. Sahila F.* war Ende 2016 den Verheissungen des «Islamischen Staates» gefolgt – zusammen mit ihren beiden ebenfalls in Genf geborenen Töchtern. Malika* (13) und Nalia (7)* kennen den ruhigen Schweizer Alltag, kennen Sicherheit, Komfort, Schule und Kindergarten. Jetzt hausen sie in einem Zelt, ohne Zukunft, in einem Camp zusammen mit 400 Frauen und Kindern.

«Ich bereue, dass ich meine Kinder all dem aussetze, dass wir überhaupt nach Syrien kamen», sagt Sahila zu 20 Minuten. Dass sie aber ihre beiden Kinder aus der Schweiz in den Krieg entführt hat, bestreitet sie. Es sei doch klar, dass eine Mutter ihre Kinder niemals und nirgends zurücklasse.

Bereits im März 2017 eröffnete die für die Terrorismusbekämpfung zuständige Bundesanwaltschaft ein Strafverfahren gegen die dreifache Mutter. Kurz zuvor sollen die beiden Väter das alleinige Sorgerecht erhalten haben. Damals sollen der Bund und die Genfer Behörden geprüft haben, ob eine Rückführung der Kinder möglich sei. Die beiden betroffenen Väter, einer aus Marokko, einer aus Algerien, seien bereit gewesen, ihre Töchter auf eigene Faust zu retten.

«Schweizer Diplomat bot meinen Töchtern Rückkehr an»

Dass ihr in der Schweiz wegen Entführung und der Reise zum IS Verhaftung und Passentzug drohen, weiss Sahila angeblich nicht. Sie könne im Camp keine Nachrichten empfangen oder TV schauen. Auf die Frage, ob die Schweizer Behörden mit ihr in Kontakt getreten seien, sagt Sahila: «Ein Schweizer Diplomat hat uns dieses Jahr einmal besucht und angeboten, dass Malika und Nalia nach Genf zurückkehren könnten – aber nicht ich und auch nicht mein Baby Shamina*. Das kommt natürlich nicht in Frage.»

Shamina ist eineinhalb Jahre alt und in Syrien geboren. Der Vater ist ein mittlerweile gefallener tunesischer IS-Kämpfer. Die 13-jährige Malika sagt kaum hörbar: «Ich will bei Mamman bleiben.» Auf Anfrage schreibt das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA, keine Angabe zu Einzelfällen machen zu können (siehe Box).

Verletzte Tochter genest langsam

Sie wolle auch nicht unbedingt in die Schweiz zurück, sagt Sahila. «Ich will lieber nach Algerien. Ich will in ein Land, in dem ich nicht wie in der Migros in Genf wegen meines Hijabs angespuckt werde.» Sie habe sogar Angst, nach Genf zurückzukehren. «Wenn Neonazis erfahren, dass ich beim IS in Syrien war, töten sie mich.» Deshalb will sich Sahila auch nicht fotografieren lassen.

Malika sitzt still neben ihrer Mutter. Neben sich hat sie Krücken abgelegt. Die 13-Jährige ist letzten Frühling bei Gefechten um die letzte syrische IS-Stadt Baghuz durch einen Splitter einer Granate an der Hüfte verletzt worden. Mittlerweile wurden sie im Kurdengebiet operiert, die Genesung schreite langsam voran, sagt die Mutter.

20 Minuten hatte im Frühjahr aus dem umkämpften Baghuz berichtet – von den Luftschlägen und Gefechten, von der Kälte, vom fehlenden Essen, von den elenden, besiegten Gestalten, die nicht selten unter Beschuss der eigenen IS-Leute aus der Zeltstadt gehumpelt waren. Es gibt ein Video, das Tochter Malika zeigt: Komplett in schwarz gehüllt, erzählt sie mit kindlicher Stimme, dass sie aus der Schweiz komme.

Sahila F.* (30) folgte mit ihren Töchtern dem IS. 20 Minuten hat die Genferin in Syrien aufgespürt. Sie behauptet, ein Schweizer Diplomat habe ihre Kinder zurückführen wollen.
(Video: 20 Minuten)

«Im Camp Hol war es unislamisch»

Nach der Hölle von Baghuz kamen die vier für ein halbes Jahr nach Camp Hol – mittlerweile sind dort 72'000 Leute untergebracht, darunter auch viele westliche IS-Anhängerinnen. Sie leben dort weiterhin den «Traum» des IS-Kalifats und zwingen allen die perversen Gesetze und Regeln der Terrorsekte auf. «Es war dort schlecht. Es war unislamisch. Die Leute beim IS leben nicht nach dem Islam, sie respektieren die Religion nicht. Aber es war in Hol besser als in Baghuz», meint die Genferin.

Auch jetzt, im Lager Roj, hat die Schweizerin Angst. Ihre siebenjährige Tochter Nalia wollte während des Gesprächs mit 20 Minuten lieber im Zelt bleiben. «Wir alle verlassen unser Zelt kaum», sagt ihre Mutter. «Es ist besser, wenig Kontakt zu anderen Frauen zu haben. Im Camp ist es gefährlich.» Ausserdem fürchte sie sich auch vor den türkischen Angriffen und dem vorrückenden syrischen Regime.

Für die Genferin Sahila und ihre drei Töchter dürfte auch der Tod von IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi kaum einen Unterschied machen. Sie werden weiter in Angst und Ungewissheit leben müssen.

*Name geändert

EDA prüft Rückführungen im Einzelfall

Stimmt es, dass ein Schweizer Diplomat die Genfer IS-Anhängerin Sahila besucht hat und ihr angeboten hat, zwei ihrer Kinder in die Schweiz zurückzuführen?

Auf Anfrage von 20 Minuten hält das EDA fest: «Am 8. März 2019 hat der Bundesrat die Ziele und Strategie im Umgang mit dschihadistisch motivierten Reisenden festgelegt. Für erwachsene Personen, die die Schweizer Staatsangehörigkeit besitzen, trifft die Schweiz aktiv keine Massnahmen, die zu einer Rückkehr führen.»

Aber: Bei Minderjährigen prüfe die Schweiz im Einzelfall Optionen für die Rückführung, wenn es das Kindeswohl erfordere. «Die Schweiz unternimmt seit langer Zeit grosse Anstrengungen im Interesse der Kinder und wird diese entschlossen weiterführen, mit dem Ziel, die Kinder in die Schweiz zu repatriieren. Die zuständigen Stellen von Bund und Kanton stehen miteinander in Kontakt und koordinieren das Vorgehen, das die Klärung von schwierigen Rechts- und Sicherheitsfragen beinhaltet.»

Die Verantwortung dafür, dass die Kinder sich überhaupt und nach wie vor in der Krisenregion befinden, liege bei den Kindsmüttern. Diese gelten als dschihadistisch motivierte Reisende. Die Rückführung der Kinder scheiterte bislang vor allem daran, dass die Mütter nicht bereit waren, ihre Kinder ohne sie ausreisen zu lassen.

Zum konkreten Fall kann das EDA aus Gründen des Daten- und Persönlichkeitsschutzes keine weiteren Angaben machen.

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