«Weckruf»Mehr als die Hälfte der Frauen in der Armee erlebt Diskriminierung
Eine Studie stellt der Schweizer Armee ein miserables Zeugnis aus: Im Militär erlebt mehr als die Hälfte der Frauen Diskriminierung. Jetzt will die Armee mit zusätzlichen Massnahmen auf den «Weckruf» reagieren.
Darum gehts
Gemäss einer Studie erlebt rund die Hälfte der Armeeangehörigen Diskriminierung im Militärdienst – 40 Prozent erleben sexualisierte Gewalt.
Neun von zehn betroffenen Frauen in der Schweizer Armee werden gemäss der Studie aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert.
Jetzt möchte die Armee zusätzliche Massnahmen ergreifen: Beispielsweise die Einführung eines neuen Meldetools und «Bystander-Trainings».
Im Rahmen einer Medienkonferenz in Bern informiert die Armeeführung am Donnerstag über zusätzliche Massnahmen gegen Diskriminierung und sexualisierte Gewalt.
Denn gemäss einer neuen Studie hat die Schweizer Armee ein Sexismus-Problem – wie sie selbst festgestellt hat: Von 1126 Befragten gab rund die Hälfte an, im Militärdienst Diskriminierung erfahren zu haben – rund 40 Prozent haben demnach sexualisierte Gewalt erlebt. Frauen sind dabei deutlich stärker betroffen als Männer.

Korpskommandant Thomas Süssli (2. von rechts) ist über die Resultate erschreckt: Sie würden zeigen, dass die Armee noch viel Arbeit leisten müsse, um Diskriminierung und sexualisierte Gewalt zu verhindern.
20min/Stefan Lanz«Diese Resultate sind für die Schweizer Armee nicht akzeptierbar», erklärt Armeechef Thomas Süssli vor den Medien in Bern. «Sie haben mich erschreckt und sie zeigen, dass wir noch nicht am Ziel angekommen sind.» In der Armee habe es keinen Platz für jegliche Formen von Diskriminierung und sexualisierter Gewalt, so Süssli.
Die Studie
Besonders gross ist der Graben bei Diskriminierungserfahrungen zwischen Soldatinnen und Soldaten: Knapp 90 Prozent der betroffenen Frauen gaben an, aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert worden zu sein, bei den Männern sind es etwas über zwölf Prozent. Als häufigste Ursache wird eine Kultur genannt, die Diskriminierung zulasse.
Verbale Gewalt am häufigsten
Am häufigsten erlebten die befragten Frauen sexualisierte verbale Gewalt, Ungleichbehandlung und sexuelle Belästigung. Verbreitet sind laut der Studie auch frauenfeindliche Sprüche. Aber auch körperliche Gewalt wie Übergriffe beim Duschen oder Schlafen, ungewollte Berührungen und Küssen kommen vor – in seltenen Fällen gar versuchte und ausgeführte Vergewaltigungen.
Hinzu komme eine Kultur, die solche Vorfälle begünstige. Eine Offizierin schreibt beispielsweise: «Ich wurde mehrfach belästigt, habe die Fälle auch gemeldet, diese wurden bewusst unter den Teppich gekehrt.»

Die häufigsten Formen der sexualisierten Gewalt sind verbale Übergriffe, Ungleichbehandlungen und sexuelle Belästigungen. (Symbolbild)
20min/Stefan LanzEine Gefahr ist laut der Studie, dass viele Formen von Diskriminierung und sexualisierter Gewalt im Militär normalisiert seien: Dies öffne den Raum für schwerwiegendere Übergriffe. Im Bericht wird dazu eine Soldatin zitiert: «Mit blöden Witzen, Äusserungen und gewissen Bemerkungen fängt es an. Man bekommt via Natel Nachrichten, sexuelle Anfragen, Sexvideos und Ähnliches. Sexuelle, körperliche Belästigung folgt als Nächstes.»
Auch Männer betroffen
Männer werden zwar selten wegen ihres Geschlechts, dafür häufiger wegen ihrer sexuellen Orientierung, Migrationshintergrund, Rassismus, Sprache oder Körper diskriminiert. Für sie sei es zudem schwerer, Opfererfahrungen als solche zu erkennen. Von den betroffenen Männern gaben fast 38 Prozent an, sexualisierte Gewalt durch Männer erlebt zu haben. Über 13 Prozent gaben an, sexualisierte Gewalt durch Frauen erlebt zu haben.
Sexualisierte Gewalt gegenüber Männern wird in den offenen Nennungen selten thematisiert. Ein Soldat schildert allerdings, wie ihm ein Fourier «in der Achtung-Stellung die Pyjamahose vor anderen Kollegen heruntergezogen» habe, womit sein Penis entblösst wurde. Ein weiterer Soldat berichtet von sexualisierter Gewalt gegenüber Männern und verurteilt vor allem «demütigende und gefährliche Initiationsrituale».

Zwölf Prozent der männlichen Armeeangehörigen erleben Diskriminierung: Seltener aufgrund des Geschlechts, dafür häufiger wegen ihrer sexuellen Orientierung, Migrationshintergrund, Rassismus, Sprache oder Körper. (Symbolbild)
Tamedia/Raphael MoserQueere Personen machten mit 15 Prozent einen grossen Anteil der Stichprobe aus – sie sind stärker betroffen von Diskriminierung und sexualisierter Gewalt als der Durchschnitt: «Derjenige, der die Rekrutenschule abgeschlossen hat, ohne mindestens einmal als ‹Schwuchtel›, ‹Tunte› oder dergleichen bezeichnet worden zu sein, hebe die Hand», wird ein Offizier im Bericht zitiert.
«Ein Weckruf» – und jetzt?
Die Armeeführung, die seit 2023 eine Nulltoleranz- sowie eine Diversity-Strategie hat, gibt sich selbstkritisch: Die Studie sei ein «Weckruf», das Ausmass beträchtlich und der Handlungsbedarf gross. Mit zusätzlichen Massnahmen will sie deshalb künftig den Schutz der Armeeangehörigen stärken.
Glaubst du, dass sexualisierte Gewalt und Diskriminierung bei der Armee ein Problem ist?
Viele dieser Massnahmen setzen bei der Prävention und Sensibilisierung an: So soll ein anonymes Meldetool eingeführt werden und der Opferschutz soll beispielsweise mit einem sogenannten «Bystander-Training» verbessert werden. Dabei werden Dritte in die Pflicht genommen, zu intervenieren, wenn sie etwa einen Übergriff beobachten. Schliesslich soll ein Reporting aufgebaut und die Zusammenarbeit mit der Militärjustiz verstärkt werden.
Bist du oder ist jemand, den du kennst, von sexualisierter, häuslicher, psychischer oder anderer Gewalt betroffen?
Hier findest du Hilfe:
Polizei nach Kanton
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Lilli.ch, Onlineberatung für Jugendliche
Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein
Zwüschehalt, Schutzhäuser für Männer
LGBT+ Helpline, Tel. 0800 133 133
Alter ohne Gewalt, Tel. 0848 00 13 13
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Beratungsstellen für gewaltausübende Personen
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