Ecstasy in Schoppen: Behindertes Baby getötet – mildernde Umstände für die Eltern?

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Ecstasy in SchoppenBehindertes Baby getötet – mildernde Umstände für die Eltern?

Ein Vater und eine Mutter haben ihre dreijährige Tochter, die an Cerebralparese litt, getötet. Die Beweggründe zur Tat könnten juristisch und ethisch eine Rolle spielen. Fachleute ordnen ein.

Die Eltern wollten die dreijährige Tochter nach eigenen Angaben von ihrem Leiden erlösen.
Ruth Baumann-Hölzle ist Gesundheitsethikerin der Stiftung Dialog Ethik: «Es ist nicht an den Eltern, mit einer Tötung über das Schicksal der Tochter zu entscheiden», sagt sie. 
«Die Würde jedes Menschen ist unantastbar, unabhängig vom Gesundheitszustand», sagt der ehemalige Dozent für Ethik, Thomas Gröbly.
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Die Eltern wollten die dreijährige Tochter nach eigenen Angaben von ihrem Leiden erlösen.

Darum gehts

  • Die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten hat gegen die Eltern eines dreijährigen Mädchens Anklage wegen Mordes erhoben.

  • Für Ethiker ist klar, dass die Würde unantastbar ist, unabhängig davon, ob es sich um einen Menschen mit Beeinträchtigung handelt.

  • Rechtsanwälte hingegen ziehen mildernde Umstände in Betracht, weil die Eltern ihrer Tochter das Leiden ersparen wollten.

Ein Tötungsdelikt im Kanton Aargau löst Emotionen aus: «Um es zu befreien», bringen ein Vater und eine Mutter ihr dreijähriges Kind um, das an Cerebralparese litt. Sie mischten Ecstasy in den Schoppen ihrer Tochter und töteten sie anschliessend. Nun werden sie des Mordes angeklagt. Wie ist dieser Fall ethisch und rechtlich einzuschätzen? 20 Minuten hat bei Experten nachgefragt.

Wie ist dieser Fall aus ethischer Perspektive zu beurteilen?

«Die Würde jedes Menschen ist unantastbar, unabhängig vom Gesundheitszustand», sagt der ehemalige Dozent für Ethik, Thomas Gröbly. «Es gibt kein unwürdiges Leben, auch das grösste Leiden kann die Würde nicht beeinträchtigen.» Dem pflichtet Ruth Baumann-Hölzle von der Stiftung Dialog Ethik bei: «Es gibt viele Menschen mit einer Cerebralparese, die ein erfülltes Leben führen. Meist sind sie auch urteilsfähig.» Unabhängig davon sei es aber nicht an den Eltern, mit einer Tötung über das Schicksal der Tochter zu entscheiden. «Das ist aktive Sterbehilfe und das ist in der Schweiz verboten.» Daher sei es auch nachzuvollziehen, dass die Eltern wegen aktiver Tötung angeklagt würden. Gröbly ergänzt: «Die Eltern waren der Überzeugung, dass ihr Kind unter diesen Umständen nicht leben möchte. Das ist eine Anmassung, denn nie kann jemand einen solchen Entscheid für einen anderen Menschen fällen.»

Welche ethischen Fragen stellen sich?

«Wenn wir das Lebensrecht von Menschen mit Beeinträchtigung in Frage stellen, wird es heikel», sagt Baumann-Hölzle. Das Tötungsverbot sei gerade unter anderem auch dazu da, solche Menschen zu schützen. «Wenn das Handeln der Eltern im vorliegenden Fall nicht strafrechtlich untersucht würde, würde man Menschen mit Behinderungen für Mitleidstötungen freigeben.» 

Ist das Verhalten der Eltern verwerflich oder menschlich?

«Menschlich ist vieles. Der Mensch ist sowohl zu Liebe als auch zu Hass fähig», sagt Ethikerin Baumann-Hölzle. Inwiefern es sich um eine verwerfliche Tat handle, müsse jeder Mensch selbst beurteilen: «Die Moralvorstellungen der Menschen sind bei solchen Fragen ganz unterschiedlich.» Emotional könne man vielleicht die Handlung der Eltern als Verzweiflungstat nachvollziehen, trotzdem dürfe die Gesellschaft eine solche Tötung aber nicht akzeptieren.

Wie sollen Eltern mit einer solchen Situation umgehen?

«Unbedingt Hilfe holen», sagt Gröbly. Und zwar praktisch wie auch psychologisch. Baumann-Hölzle nimmt auch die Gesellschaft in die Pflicht: «Wenn wir sehen, dass Menschen so stark am Anschlag sind, dann brauchen sie Hilfe von aussen. Solch ein Schicksal bewältigt niemand alleine!»

Könnte der Handlungsgrund strafmildernd sein?

Die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten fordert je 18 Jahre Freiheitsstrafe und 15 Jahre Landesverweis wegen Mordes und mehrfachen versuchten Mordes für die Mutter und den Kindsvater. Für Rechtsanwalt Matthias Michlig seien diese Strafen nicht verhältnismässig. Man müsse den Handlungsgrund mit einbeziehen: «Sie wollten ihrer Tochter das Leiden ersparen. Als Anwalt würde ich auf Totschlag plädieren und so versuchen, die Freiheitsstrafe zu mildern.»

Auch Rechtsanwältin Claudia Zumtaugwald habe in ihrer 40-jährigen Karriere noch nie einen solchen Fall erlebt. Trotzdem würde sie sich für eine Minderung der Strafe aussprechen: «Menschlich und strafrechtlich gesehen darf man das Leid der Eltern in so einer Situation nicht ausser Acht lassen. Aus ihrer Sicht haben sie ihrem Kind etwas Gutes getan, auch wenn wir das nicht nachvollziehen können.» 

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