«Ritualmord der Vaterfigur»Ehe-für-alle-Gegner schüren mit Zombie Angst vor Samenspende
Eine düstere Gestalt prangt am Hauptbahnhof Zürich auf einem Plakat, das gegen die Ehe für alle wirbt. Nicht zum ersten Mal sorgen die Initiantinnen und Initianten mit Schock-Bildern für rote Köpfe.
Darum gehts
Am Hauptbahnhof in Zürich hängt ein neues Plakat der Ehe-für-alle-Gegnerinnen und -Gegner.
Verantwortlich dafür ist das Westschweizer Nein-Komitee; das Ja-Abstimmungskomitee ist geschockt.
Laut einem Gynäkologen im Kinderwunsch-Zentrum ist es verboten, Spermien und Eizellen nach dem Ableben des Spenders beziehungsweise der Spenderin zu verwenden.
«Kinder mit einem Toten»: So steht es in Grossbuchstaben auf einem Plakat am Hauptbahnhof in Zürich. Darunter lässt sich auf einem roten Balken die Nein-Parole zur Abstimmung über die Ehe für alle erkennen. «Wir und die Community sind entsetzt und schockiert über den Ton der Ehe-für-alle-Gegnerinnen und -Gegner», sagt Jan Müller, Vorstandsmitglied beim Komitee für die Ehe für alle. Die Plakat-Aktion könne er nicht nachvollziehen: «Es ist besorgniserregend, wie weit man nun geht, um gegen gleiche Rechte für Lesben und Schwule vorzugehen.»
Was das Plakat mit der Abstimmung vom 26. September zu tun habe, entziehe sich seiner Kenntnis: «In unseren Augen gibt es absolut keinen Zusammenhang mit der Ehe für alle. Es zeigt nur einmal mehr auf, dass Minderheiten angegriffen werden. Es wird versucht, einen Keil in die Gesellschaft zu treiben.»
Verwirrung um Botschaft
Gerätselt wird nicht nur über den Zusammenhang mit der kommenden Abstimmung, auch die eigentliche Botschaft des Plakats scheint nicht klar zu sein. Auf Anfrage bei den «Gegnerinnen und Gegnern der Ehe für alle» sagt Anian Liebrand, Koordinator des Abstimmungskomitees «Nein zur Ehe für alle»: «Ich weiss nicht, wer hinter dem Plakat steckt. Ausserdem stellt sich die Frage, was hier genau die Botschaft ist.»
Wie sich herausstellt, ist auch dieses Plakat auf das Westschweizer Nein-Komitee «Das Kind ist keine Ware» zurückzuführen. Vergangene Woche sorgte ein ähnlich provokantes Plakat mit der Aufschrift «Sklavinnen» für Aufsehen. «Einerseits möchten wir mit diesem Plakat den Ritualmord der Vaterfigur thematisieren, der momentan stattfindet. Die Vaterfigur würde mit einem Ja zur Ehe für alle aus dem Zivilrecht verschwinden», sagt der ehemalige SVP-Nationalrat Oskar Freysinger, Mediensprecher des Komitees.
Freysinger warnt vor einem «Mangel an Samenspendern» und der steigenden Gefahr, dass Sperma von toten Spendern verwendet werde. Er wolle künftigen, weitergehenden Gesetzesänderungen vorbeugen und glaube nicht daran, dass die Samenspende unter «gründlicher staatlicher Kontrolle» sei.
Lange Warteliste von potenziellen Spendern
Die auf dem Plakat vermittelte Botschaft sei «völlig aus der Luft gegriffen», sagt Peter Fehr, Facharzt für Gynäkologie am Kinderwunschzentrum OVA IVF. «Ich bin sehr erschrocken, als ich das Bild gesehen habe. Dass erfahrene Leute in solche Register greifen müssen, finde ich schon bedenklich. Ein Zusammenhang mit der Ehe für alle ist nicht zu erkennen, es ist ein reiner Verzweiflungsakt.»
Gesetzlich sei diese Sachlage zwar seit 2017 nicht mehr verboten, bei der OVA IVF gelte trotzdem, dass der Vertrag zwischen Samenbank und Spender mit dem Ableben des Spenders endet. Fehr glaube nicht, dass man auf Spermien von Verstorbenen zurückgreifen müsse: «Wir haben eine lange Warteliste von potenziellen Spendern, das wird sich auch bei einem Ja für die Ehe für alle nicht ändern.» Im Durchschnitt entstünden pro Spender fünf Kinder, nicht die gesetzliche Maximalanzahl von acht. «Das zeigt, dass wir genügend Kapazitäten haben und sogar auswählen können.»
«Üble politische Propaganda»

Marko Ković ist Politik- und Kommunikationswissenschaftler.
PrivatHerr Ković, was sagen Sie zu so einem Plakat?
«Dieses Plakat ist offensichtlich nur auf Emotionen gemünzt, ohne jegliche Logik. Es ist einfach nur noch peinlich. Ich spüre Verzweiflung heraus, wenn man den Menschen nun schon mit Zombie-Bildern Angst machen muss. Normalerweise kursieren solche Bilder auf den Sozialen Medien, jetzt haben wir Fake News auf Plakaten.»
Was soll damit erreicht werden?
«Die Menschen sehen so ein Plakat und wissen, dass es ein Blödsinn ist. Trotzdem bleibt es hängen, dadurch entsteht eine Konnotation zwischen dem Zombie und der Ehe für alle. Das ist wirklich ganz üble politische Propaganda, die wir in der Schweizer Demokratie eigentlich nicht kennen, sondern eher aus den USA.»
Verliert man mit solchen Aktionen nicht eher die Wählerschaft?
«Es ist definitiv über das Ziel hinausgeschossen. Die meisten wissen aber nicht, dass das ein Plakat aus SVP-nahen, rechtskonservativen Kreisen ist. Es ist taktisch sehr schlau gemacht, das Plakat ist ziemlich anonym. Auch das ist typisch amerikanisch. Man bedient sich des FUD-Modells: fear, uncertainty and doubt - man sät Angst, Unsicherheit und Zweifel.»
Hat dieses Plakat überhaupt etwas mit der Abstimmung zur Ehe für alle zu tun?
«Es ist an den Haaren herbeigezogen, dass man auf Samen von Verstorbenen zurückgreifen müsste. Das ist ein Fantasiegebilde, es gibt hierfür keine Belege. Diese Aktion finde ich völlig verantwortungslos.»
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