«Ein Ende des Konflikts mit Serbien? Kosovo müsste in die Nato»

Publiziert

Interview«Ein Ende des Konflikts mit Serbien? Kosovo müsste in die Nato»

Wegen Bürgermeisterwahlen ist es im Nordkosovo zu schwerer Gewalt auch gegen Soldaten der internationalen Schutztruppe KFOR gekommen. Was ist der Hintergrund – und was die Lösung? 

Schwere Unruhen im Nordkosovo. 

AP

Darum gehts

  • Die kosovarischen Behörden hielten in vier mehrheitlich von Serben bewohnten Orten Kommunalwahlen ab, was die Serben boykottierten.

  • So übernahm die albanische Minderheit die Kontrolle über die Gemeinderäte.

  • Dagegen protestiert die serbische Mehrheit gewaltsam.

  • Auch KFOR-Soldaten wurden heftig angegriffen. Die Nato verstärkt die Schutztruppe in Kosovo. 

  • Im Interview erklärt Balkan-Experte Konrad Clewing, wieso die Gewalt lokal so schnell nicht abklingen dürfte, was das Problem im aktuellen Streit ist, und wie dieser Konflikt wirklich beendet werden könnte. 

Im Nordkosovo brodelt es wieder: Bei Protesten hatten sich am Montag italienische und ungarische KFOR-Soldaten serbischen Demonstranten entgegengestellt, welche die Stadtverwaltung stürmen wollten. Dass die Gewalt lokal so schnell abbricht, bezweifelt Balkan-Experte Konrad Clewing* im Interview. 

Herr Clewing*, was halten Sie von Äusserungen des Tennisspielers Novak Djokovic, wonach der Kosovo das Herz Serbiens ist? 

Vor dem Hintergrund der aktuellen Gewalt im Kosovo ist das natürlich nicht förderlich – auch wenn es der Mehrheit in Serbien aus dem Herzen spricht. Djokovics propagandistische Äusserung ist in ihrem Kern revisionistisch, sie will also den serbischen Verlust des Kosovo rückgängig machen. Derlei hat sich stark verschärft. Vor zehn Jahren blickte die serbische Öffentlichkeit realistischer auf den Kosovo und merkte, dass er «im Krieg verloren» gegangen war. 

Im Norden des Kosovo wurde gewählt, die Serben dort gehen deswegen auf die Barrikaden. Was ist das Problem?

Es treffen grundlegende Rechtsauffassungen aufeinander. Die serbische Seite geht davon aus, dass es die kosovarischen Institutionen in den Gemeinden im Nordkosovo gar nicht gibt. Und dass die serbische Minderheit dort gar keine Minderheit ist, sondern als Teil von Serbien agiert und ihre legitimen Forderungen hat. Gleichzeitig stellt die serbische Regierung – und das ist ein bisschen paradox – im Rahmen des von der EU geführten Dialogs dennoch Forderungen an die Seite der kosovarischen Institutionen. Tatsächlich haben sich 2013 beide Regierungen darauf geeinigt, dass es einen Gemeindeverband geben sollte, dessen Zuständigkeiten noch zu vereinbaren gewesen wären. Die serbische Seite stellte sich auf jeden Fall eine Territorial-Autonomie des Nordens vor. Auf der kosovarischen Seite hatte die Regierung damals zwar die Zustimmung für diesen Gemeindeverband gegeben, doch dann machte das kosovarische Verfassungsgericht 2015 geltend, dass das Konzept dieses Gemeindeverbandes als Träger von territorialer Autonomie und mit Exekutivkompetenzen ausgestattet, verfassungswidrig sei.

«Die kosovarischen Regierungen, auch unter Kurti, schoben es auf die lange Bank.»

Balkan-Experte Konrad Clewing
Ein Angehöriger der kosovarischen Spezialpolizei bewacht das Gemeindebüro in Zvecan. Zuvor hatten serbische Demonstranten versucht, den neu gewählten albanischen Bürgermeister am Betreten des Büros zu hindern. Kosovo, 27. Mai 2023.

Ein Angehöriger der kosovarischen Spezialpolizei bewacht das Gemeindebüro in Zvecan. Zuvor hatten serbische Demonstranten versucht, den neu gewählten albanischen Bürgermeister am Betreten des Büros zu hindern. Kosovo, 27. Mai 2023.

REUTERS

Was war der Alternativ-Vorschlag aus dem Kosovo?

Das ist es ja: Die verschiedenen kosovarischen Regierungen, auch die unter Albin Kurti, haben nichts getan, um ein Konzept für diesen Gemeindeverband aufzustellen. Sie schoben es auf die lange Bank. Die serbische Seite dagegen hat – mit erheblicher Rückendeckung der EU – in den vergangenen Wochen ein solches Konzept erarbeitet. Es würde sehr starke territoriale Zuständigkeiten und weitreichende Autonomien vorsehen. Nicht nur für die betroffenen vier nordkosovarischen Gemeinden, sondern potenziell für alle Gemeinden, wo die Serben im Kosovo die Mehrheit haben. Insofern sind die kosovarischen Bedenken nicht unberechtigt, dass so ein Gemeindeverbund zu einer faktischen Herauslösung aus dem kosovarischen Staatsverband führen würde. 

Letztlich geht es also um die Frage: Kann man im Nordkosovo Wahlen abhalten, solange es den Gemeindeverband nicht gibt? 

Genau. Die serbische Seite verneint das, aber die kosovarische Seite und die internationale westliche Gemeinschaft stützen die Auffassung, dass die Wahlen vom April ganz legitim waren, auch wenn sie bedauerlicherweise von den Serben boykottiert wurden. 

«Die Repräsentanz der Serben ist im Verfassungsrahmen des Kosovo eine sehr gute.»

Balkan-Experte Konrad Clewing
Kosovo-serbische Demonstranten attackierten NATO-Soldaten der Kosovo Force (KFOR) in der Stadt Zvecan, Kosovo. 29. Mai 2023.

Kosovo-serbische Demonstranten attackierten NATO-Soldaten der Kosovo Force (KFOR) in der Stadt Zvecan, Kosovo. 29. Mai 2023.

REUTERS

Wieso sollte in Gebieten mit einer serbischen Mehrheit diese nicht entsprechend beteiligt werden?

Die Minderheiten im Kosovo, insbesondere die serbische, haben im kosovarischen Verfassungssystem ungewöhnlich weitreichende Minderheitsrechte. Das geht auf die Phase der internationalen Überwachung der kosovarischen Unabhängigkeit zwischen 2008 und 2013 zurück. Es gab zum Beispiel bei der Polizei im Nordkosovo fast nur serbische Polizisten, bevor sie sich dann letzten Herbst zurückgezogen haben. Die Repräsentanz der Serben ist im Verfassungsrahmen des Kosovo also eigentlich eine sehr gute. Nur: Wenn man, wie die Serben, Kosovos Verfassungsrahmen ablehnt, ist niemandem geholfen. 

Hat der lange schwelende Konflikt mit der schweren Gewalt gegen KFOR-Soldaten eine neue Dimension erreicht?

Ja und Nein. Es gab im Norden immer wieder Aktionen gegen KFOR-Patrouillen. Aber dass die Gewalt sich massiv gegen die Truppen auf der KFOR-Seite wendet, ist ungewöhnlich. Die serbische Regierung jedenfalls sagt, dass die serbischen Vertreter im Kosovo jeden Konflikt mit der KFOR vermeiden sollten, zumal solche Konflikte eben das seien, was die Regierung in Pristina angeblich will. 

Werden die internationalen Appelle zur Zurückhaltung fruchten? 

In den nächsten Tagen wird es lokal vermutlich zu weiteren Eskalationen kommen, aber bestimmt nicht zu einem Angriff der serbischen Armee auf die KFOR-Truppen. 

«Serbien muss seinen Standpunkt ändern, damit sich die kosovo-serbische Minderheit integrieren kann.»

Balkan-Experte Konrad Clewing
Nato-Soldaten der KFOR gegen kosovo-serbische Demonstranten am Eingang des Gemeindeamts von Zvecan, Kosovo. 29. Mai 2023.

Nato-Soldaten der KFOR gegen kosovo-serbische Demonstranten am Eingang des Gemeindeamts von Zvecan, Kosovo. 29. Mai 2023. 

REUTERS

Demonstranten besprühten Autos mit dem Buchstaben «Z». Zündelt Russland im Hintergrund?

Ja. Russland ermuntert Serbien zu konfrontativem Verhalten und es dürfte in Belgrad viele russische «Verbindungsoffiziere» geben, die mit den serbischen Geheimdiensten zusammenarbeiten. Sprich: Russland ist an der Destabilisierung des Westens interessiert und entsprechend auch an der Destabilisierung derjenigen Bereiche des Westbalkans, die direkt oder indirekt in eine westliche Ordnung eingebunden sind. Dabei ist Serbien am wenigsten eingebunden, es hat etwa einen Geheimdienstchef ernannt, der ein Vertrauter des Kremls ist. 

Was müsste geschehen, dass langfristig Ruhe einkehrt? 

Ich denke, dass die Westintegration des Kosovo gefördert werden und das KFOR-Mandat mit dem Schutzmechanismus für den Kosovo anders formuliert werden müssten – mit einem Auftrag zur Gewährung der äusseren Souveränität des Kosovo. Denn ihr militärpolitischer Auftrag aus dem Jahr 1999 passt für die aktuelle Situation nicht mehr. Der Kosovo sollte den Status eines Nato-Kandidaten erhalten, um den es ja letztes Jahr ersuchte. Serbien muss verstehen, dass sein angestrebter Revisionismus der Verhältnisse, die seit 1999 geschaffen wurden, aussichtslos ist. Serbien muss seinen Standpunkt ändern, damit sich die kosovo-serbische Minderheit integrieren kann. Solange der Kosovo keine wirksame Garantie hat, dass sein Territorium faktisch von Serbien anerkannt wird, ist kein grundsätzlicher Durchbruch in dem Konflikt möglich. 

* Konrad Clewing ist Balkan-Experte des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg. 

Kosovo in die Nato und Ruhe ist?

KFOR soll verstärkt werden

Keine News mehr verpassen

Mit dem täglichen Update bleibst du über deine Lieblingsthemen informiert und verpasst keine News über das aktuelle Weltgeschehen mehr.
Erhalte das Wichtigste kurz und knapp täglich direkt in dein Postfach.

Deine Meinung zählt