Einkaufstourismus«Der Bund kann Schweizer Konsumenten nicht einsperren»
Soll die Preisgrenze für das zollfreie Einkaufen im Ausland sinken oder nicht? Der Konsumentenschutz und die Swiss Retail Federation sind sich uneins.
Einkaufen in Deutschland: Darum gehts
Die Wertfreigrenze für Einkaufstouristen soll auf 150 Franken sinken.
Das würde das Einkaufen in Deutschland verteuern.
Der Bund könne die Konsumenten nicht einsperren, nervt sich der Konsumentenschutz.
Für die Swiss Retail Federation könnten die geplanten Massnahmen noch weiter gehen, sie fordert eine Wertfreigrenze von 50 Franken.
Finanzministerin Karin Keller Sutter plant, die Wertfreigrenze für den Einkaufstourismus zu halbieren. In Deutschland gekaufte Waren müssten bereits ab einem Betrag von 150 Franken verzollt werden, anstatt wie bisher ab 300 Franken, schreibt der «Tages-Anzeiger». Mit dieser Massnahme könnten Personen aus der Schweiz folglich weniger sparen beim Einkauf in Deutschland.
Die vom Bund geplante Massnahme soll das Einkaufen «ennet» der Grenze weniger attraktiv machen. Betrachtet man die Entwicklung der Preisunterschiede, scheint dies bereits jetzt Tatsache zu sein.
Grundsätzlich sind Lebensmittel in der Schweiz immer noch viel teurer, seit 2020 gab es aber bei fast allen Nahrungsmitteln einen Rückgang der Preisunterschiede.
«Die Massnahme ist ein Witz»
«Eine Flucht aus der Hochpreisinsel Schweiz ist immer noch möglich», sagt Sara Stalder vom Schweizer Konsumentenschutz. «Die Leute werden Möglichkeiten finden, die Massnahme zu umgehen.» Die Halbierung der Wertfreigrenze führe bloss dazu, dass Personen aus der Schweiz mehrmals nach Deutschland fahren oder mehr Personen mitnehmen würden, um den Betrag auf mehrere Schultern zu verteilen.
Durch die Anpassung der Wertfreigrenze entstehe für Bund und Zoll unverhältnismässig mehr administrativer Aufwand. Stalder ist sich sicher, dass die Zollverwaltung damit nicht glücklich ist: «Die Massnahme ist ein Witz, es wird einzig ein Bürokratie-Monster erzeugt.»
Riesige Preisunterschiede
Die Preisunterschiede im Lebensmittelbereich kann die Konsumentenschützerin ein Stück weit verstehen: «Wir haben höhere Produktionskosten in der Schweiz, deshalb ist es nachvollziehbar, dass die Produkte teurer sind. Aber nicht in diesem Ausmass.»
Bund will Einkäufe in Deutschland verteuern – findest du das gut?
Besonders die Preisunterschiede bei Importprodukten sind Stalder aber ein Dorn im Auge: «Als Beispiel: Bei Turnschuhen, produziert in einem Billigstlohnland, zahlt man in der Schweiz für das exakt gleiche Produkt mehr, nur weil es ein paar Kilometer weiter über die Grenze transportiert wird.»
Anbieter in der Schweiz hätten die Möglichkeit, gegen die höheren Importpreise vorzugehen: «Sie müssen diese nicht akzeptieren, da sie gegen das Kartellrecht verstossen.» Wenn sie aber nicht zu ähnlichen Preisen wie im grenznahen Ausland verkauften, seien sie selbst schuld, wenn die Leute auswichen.
«Schritt kommt zu Unzeit»
«Bei den Konsumentinnen und Konsumenten kommt es sicher nicht gut an, dass der Bund die Wertfreigrenze halbieren will», sagt Julian Zrotz, Geschäftsführer von der Firma Patoc, die hinter Blackfridaydeals.ch steht. Der starke Franken und die hohe Inflationsdifferenz zu Deutschland hätten das Einkaufen im Ausland noch attraktiver gemacht – dagegen wolle der Bund nun wohl ankämpfen.
Dass der Bund den Einkauf im Ausland weniger attraktiv machen wolle, sei zwar verständlich, viele Konsumentinnen und Konsumenten könnten das aber wohl nicht nachvollziehen, sagt Zrotz: «Für viele kommt dieser Schritt aufgrund der gestiegenen Lebenshaltungskosten zu einer Unzeit.» Er rät Schweizerinnen und Schweizern, die Einkäufe im Ausland gemeinsam zu tätigen, denn die Freigrenze gelte pro Kopf.
Auch Konsumentenschützerin Sara Stalder ist sich sicher, dass man weiterhin im Ausland einkaufen wird: «Der Bund kann Konsumenten nicht einsperren, er produziert einfach mehr Verkehr.» Es mache keinen Sinn, die Konsumenten an die Leine nehmen zu wollen: «Der Zeitpunkt für eine solche Massnahme könnte nicht unpassender sein. Krankenkassen, Energie, ÖV, Post – überall werden höhere Kosten auf die Konsumenten abgewälzt.»
Swiss Retail Federation fordert Wertfreigrenze von 50 Franken
Eine andere Sicht hat Dagmar Jenni, Direktorin der Swiss Retail Federation. Wer im Ausland shoppen gehe, sei aktuell doppelt bevorzugt: Für Einkäufe bis zu einem Wert von 300 Franken könne man die ausländische Mehrwertsteuer zurückfordern und müsse gleichzeitig die Schweizer Mehrwertsteuer nicht zahlen.
Das sei nicht fair gegenüber allen, die normal in der Schweiz einkauften. Denn von den hohen Löhnen, der guten Infrastruktur und der hohen Kaufkraft profitierten alle, und diese seien nur möglich, wenn die Menschen auch im Inland einkauften. «Zudem sind wir alle froh, wenn das Steuersubstrat für die künftigen Herausforderungen des Bundeshaushalts und der Infrastruktur herangezogen werden kann», so Jenni.
Die Swiss Retail Federation fordert darum schon länger eine Senkung der Wertfreigrenze auf 50 Franken. Eine HSG-Studie habe gezeigt, dass dann rund ein Drittel des Auslandeinkaufs zurück in die Schweiz käme. Die Kantone St. Gallen und Thurgau fordern gar eine Abschaffung der Wertfreigrenze per Standesinitiative.
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