«Es droht eine Welle von Studienabbrüchen»

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Coronakrise«Es droht eine Welle von Studienabbrüchen»

Weil viele Studierende keinen Nebenjob mehr haben, droht die Schere zwischen Studenten aus armen und reichen Familien grösser zu werden. Die Politik will einen bundesweiten Nothilfefonds prüfen.

Müssen wegen Corona massenweise Studierende ihr Studium abbrechen?
SP-Nationalrätin Franziska Roth warnt: «Wer sein Studium abbricht, fehlt in Zukunft als Fachkraft.»
Die Stiftung Educa Swiss bietet zinslose Bildungsdarlehen an. Die Darlehensanfragen haben sich verdreifacht.
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Müssen wegen Corona massenweise Studierende ihr Studium abbrechen?

Tamedia AG / Raisa Durandi

Darum gehts

  • Flyer verteilen, an der Bar arbeiten, bei Events aushelfen - Viele Studierende haben wegen Corona ihren Nebenjob verloren

  • Studierenden geraten so in eine finanzielle Notlage, vor allem wenn sie keine Unterstützung von den Eltern erhalten

  • Die Stiftung Educa Swiss bietet zinslose Bildungsdarlehen an. Die Darlehensanfragen haben sich verdreifacht

  • Die SP-Nationalrätin Franziska Roth sagt, es drohe eine Welle von Studienabbrüchen.

Lukas* (22) studiert Vollzeit Betriebsökonomie. Sein Studium hat er durch Ferienjobs in der Gastronomie mitfinanziert. Wegen Corona gab es für ihn diese Möglichkeit nicht mehr. Da auch seine Familie in eine finanzielle Notlage geriet, spielte er mit dem Gedanken sein Studium abzubrechen.

Dahrlehensanfragen von Studenten verdreifacht

Lukas ist nicht der einzige Student, der wegen Corona in eine finanzielle Notlage geraten ist. Die Stiftung Educa Swiss, die Bildungsdarlehen vergibt, bestätigt eine Verdreifachung der Anmeldungen seit März 2020. Die Stiftung hat vor einem Jahr den Notfonds Covid-19 lanciert und vergibt daraus zinslose Bildungsdarlehen bis zu 5000 Franken, die rasch ausgezahlt werden. Im Januar und Februar dieses Jahres hätten die Anmeldungen wegen den fehlenden Nebenjobs nochmals zugenommen, bestätigt Geschäftsführer Simon Merki. «Bei uns melden sich Studierende, die ihre Miete und Krankenkasse nicht mehr zahlen können», sagt Merki. Die meisten von ihnen bekommen wohl nicht ausreichend Unterstützung von ihren Eltern. Rund 10’000 Menschen fehlten in der Schweiz die Mittel um eine Aus- und Weiterbildung zu finanzieren. Merki: «Mit Corona hat sich das vervielfacht.» Die Stiftung habe bereits im März 2020 bemerkt, dass Nebenjobs für Studierende verloren gingen.

«Es droht eine Welle von Studienabbrüchen»

Nun schlägt die SP-Nationalrätin Franziska Roth Alarm: «Es droht eine Welle von Studienabbrüchen». Drei von vier Studenten würden einen Teil ihres Studiums mit einem Nebenjob finanzieren. Nun aber drohe die Schere zwischen Studierenden aus armen und wohlhabenden Elternhäusern stark auseinanderzudriften: «Betroffen sind jetzt vor allem junge Menschen aus armen Familien, für die es sowieso schon schwieriger ist, überhaupt zu studieren.» Nun würden sie gleich noch einmal abgestraft, weil sie sich trotz guter schulischer Leistung wegen Corona kein Studium mehr leisten könnten. Für das Bildungsland Schweiz sei das die Note Ungenügend. Es würde bedeuten, dass nur noch wer reiche Eltern hat, in Krisenzeiten ein Studium leisten kann.

Franziska Roth betont, dass es hier nicht nur um die Studierenden selbst geht: «Damit die Wirtschaft nach Covid funktionieren kann, sind wir auf Fachkräfte angewiesen. Studierende, die ihr Studium abbrechen, fehlen uns in Zukunft.» Und wer sein Studium abbreche, könne nicht einfach anfangen zu arbeiten. «Wo landen die Studienabbrecher? Sie belasten Sozialversicherungen. Denn ohne eine Ausbildung einen Job zu finden, ist enorm schwierig.» Es sei ein Rattenschwanz, der soziale und wirtschaftliche Konsequenzen haben werde, wenn jetzt nicht eingegriffen werde.

Nationalrätin Roth sieht eine Lösung in einem bundesweiten Nothilfefond für Auszubildende und Studierende: «Der Bund muss jetzt gemeinnützige Stiftungen unterstützen. Ausserdem braucht es eine kantonsübergreifende Härtefallunterstützung.» Es sei eine besondere Lage und es brauche jetzt einen besonderen Effort. Ihr Anliegen wird nächste Woche vom Bundesrat beantwortet.

Verband fordert Notfallfonds

Auch der Verband der Schweizer Studierendenschaft sieht Handlungsbedarf. Auf Twitter kritisiert der Verband: «Dass Anfragen bei Privaten für Darlehen in die Höhe gegangen sind, zeigt doch, dass die Notfallfonds (wenn sie existieren) bei Kantonen und Hochschulen entweder nicht genügend sind oder die Gewährung der finanziellen Unterstützung mit grossen bürokratischen Hürden verbunden ist.»

Sie würden einen bundesweiten Nothilfefond begrüssen, bestätigt Elischa Link Vorstandsmitglied VSS. Nach einem Jahr sei nun bei den Studierenden auch das letzte Ersparte aufgebraucht. Die Situation werde von Monat zu Monat schwieriger. Bleibt die Situation wie sie ist, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass es zu vermehrten Studienabbrüchen kommt. Die Unterstützung für Studierende solle sogar nach der Krise noch verfügbar sein. Elischa Link warnt: «Das Loch, welches wegen Corona entstanden ist, wird noch lange vorhanden sein.»

«Keine Zunahme feststellbar»

Anders sieht das das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI: «Die ersten Auswertungen der Schweizer Hochschulen deuten auf keine Zunahme der Studienabbrüche gegenüber den Vorjahren hin», teilt Sprecher Martin Fischer auf Anfrage mit. Er betont, dass mehr als die Hälfte der Hochschulen aufgrund der Covid-19-Situation zusätzliche Massnahmen ergriffen haben, um Studierende zu unterstützen. «Ob und wie sich die finanzielle Lage der Studierenden tatsächlich auf nationaler Ebene verändert hat, werden die Auswertungen zur Umfrage 2021 im Rahmen der Absolventenstudie zeigen.»

Eine bundesweite Härtefallregelung bedarf es nicht, so Fischer. «Die finanzielle Unterstützung für Studierende in Notsituationen obliegt in der Verantwortung der Hochschulen und Kantone. Sie verfügen über zahlreiche Instrumente um benachteiligte Studierende zu unterstützen.»

Universitäten reagieren

Pandemie-Nothilfen

Diverse Universitäten haben seit Ausbruch der Corona-Pandemie auf den Umstand reagiert, dass zum Beispiel typische Studentenjobs wegfallen oder Eltern sie weniger unterstützen können. So zum Beispiel die Uni Zürich. Sie teilt auf Anfrage mit: «Zusätzlich zu den bestehenden Möglichkeiten lancierte die Universität Zürich im Frühlingssemester 2020 eine Pandemie-Nothilfe für regulär immatrikulierte Studierende, die wegen der Coronavirus-Pandemie in eine akute finanzielle Notsituation geraten sind. Der Zusammenhang von Notlage und Pandemie musste dabei klar gegeben sein.»

Weiter heisst es: «Betroffene Studierende erhielten auf Antrag einen auf das Semester beschränkten Betrag von 1000 bis 6000 Franken, wobei Beiträge bis zu 3000 Franken nicht zurückbezahlt werden müssen. Was diesen Betrag überstieg, gilt als zinsloses Darlehen, das die Studierenden innert zweier Jahre nach Studienabschluss zurückbezahlen müssen. Im Frühlingssemester 2020 sind insgesamt 243 Gesuche eingegangen. Während von den Stipendiengesuchen 55 Prozent bewilligt werden konnten, waren bei den Darlehen nur 33 Prozent bewilligungsfähig. Im Herbstsemester 2020 sind noch 92 Gesuche eingegangen. Davon konnten 55 bewilligt werden. Darlehen wurden keine mehr zugesprochen. Insgesamt wurden rund 680`000 Franken ausgeschüttet, davon 50`000 Franken als Darlehen. Es handelte sich dabei um Gelder von privaten Stiftungen und Spenden.»

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