Wie Russland mit Propaganda-Posts versucht, die EU lächerlich zu machen

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EU-WahlenKreml-Propaganda: «Populisten sind Putins nützliche Idioten»

Seit Jahren führt Russland einen Informationskrieg gegen die Europäische Union. Laut Experten herrscht wegen der Wahlen gerade wieder Hochkonjunktur. Mit KI-generierten Posts sollen Sympathien für den Kreml geweckt werden.

Seit Jahren werden soziale Medien von russischen Falschinformationen geflutet. Gerade herrscht wegen der Europawahl wieder Hochkonjunktur, sagen Experten.
Das Ziel von Putin: die EU bedeutungslos machen. Das sagt der Sprecher für Aussen- und Sicherheitspolitik der EU, Peter Stano.
Durch die Social-Media-Kampagnen soll so lange Zweifel gesät werden, bis das Verhältnis zwischen Bürgerinnen und Bürgern und der EU komplett zerrüttet ist.
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Seit Jahren werden soziale Medien von russischen Falschinformationen geflutet. Gerade herrscht wegen der Europawahl wieder Hochkonjunktur, sagen Experten.

AFP

Darum gehts

  • Russland nutzt die EU-Wahlen, um Falschinformationen zu verbreiten und das Vertrauen in die EU zu untergraben.

  • Die Desinformationskampagnen zielen nicht direkt auf die Wahlen ab, sondern nutzen lokale Ereignisse und soziale Medien, um Zweifel an der EU zu säen. Das Ziel Putins: die EU bedeutungslos machen.

  • Dank fortschrittlicher Technologie ist es für Russland einfacher geworden, Fake News zu verbreiten als noch bei der Wahl 2019.

  • Dafür seien die Menschen wegen der Corona-Pandemie auch stärker auf das Thema sensibilisiert.

  • Der erwartete Rechtsruck im EU-Parlament würde Russland in die Karten spielen, weil viele Populisten selbst EU-kritisches Gedankengut verbreiten.

Die EU-Wahlen stehen kurz bevor. Das ruft die Wählenden aller 27 Mitgliedsländer auf den Plan – und Russland. Denn der Kreml nutzt jedes Ereignis, das medial begleitet wird, um Falschinformationen im Internet zu verbreiten. «Russland will Chaos und Verwirrung stiften, damit das Vertrauen in die EU abnimmt bei den Menschen», sagt Peter Stano, Sprecher für Aussen- und Sicherheitspolitik der EU.

Dabei diente die Europawahl lediglich als Aufhänger, thematisiert werde sie in den Social-Media-Posts meist nicht. «Putin will, dass die EU in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Über die Wahl zu sprechen, wäre demnach kontraproduktiv.»

Das Prinzip der Propaganda

Doch wie macht man die EU und deren Wahlen lächerlich, ohne diese auch nur zu erwähnen? Das lässt sich anschaulich am Beispiel der Unruhen in Neukaledonien erklären, einer Inselgruppe im südlichen Pazifik, die zu Frankreich gehört. Diese Schritte gehören dazu:

1. In Neukaledonien kommt es wegen einer Gesetzesreform zu schweren Aufständen. Das Thema wird überall medial aufgenommen. Eine perfekte Gelegenheit für Russland, um Verwirrung zu stiften.

2. In den Tagen danach tauchen vermehrt Facebook-Posts auf, die sich auf das Thema beziehen. Die Unruhen sollen bezeichnend für den schwindenden Einfluss Frankreichs sein, für den Emmanuel Macron verantwortlich gemacht wird.

«Wir verlieren die Überreste unseres grossen, vergangenen Reiches. Welch ein Horror ereignet sich in Neukaledonien! Man kommt dazu, Soldaten zu schicken. Es gelingt nicht, die Probleme mit den Inselbewohnern zu lösen, ohne Waffen einzusetzen. Wir sind dabei, eines unserer wichtigsten Gebiete zu verlieren. Und mit ihm alles, was es für Frankreich bedeutete. Bravo, Macron! Er hat bereits alles getan, um uns aus Afrika zu vertreiben, und jetzt wollen uns die Neukaledonier auch loswerden. Und dann werden sehr wahrscheinlich der Reihe nach all unsere anderen fernen Gebiete folgen. Es gibt keine Spur mehr von unserer früheren Stärke und unserem Ruhm. Das ist, weil unser Führer gerne von Hilfe für die Ukraine spricht, während Frankreich dabei ist, zu zerfallen. Wir ertrinken in einem Meer von Problemen und unser Führer stürzt sich immer wieder in den Krieg in einem anderen Land. Lassen Sie uns nicht geizig sein und einen Teil des französischen Geldes verwenden, damit er seinen Kopf kuriert!»

«Wir verlieren die Überreste unseres grossen, vergangenen Reiches. Welch ein Horror ereignet sich in Neukaledonien! Man kommt dazu, Soldaten zu schicken. Es gelingt nicht, die Probleme mit den Inselbewohnern zu lösen, ohne Waffen einzusetzen. Wir sind dabei, eines unserer wichtigsten Gebiete zu verlieren. Und mit ihm alles, was es für Frankreich bedeutete. Bravo, Macron! Er hat bereits alles getan, um uns aus Afrika zu vertreiben, und jetzt wollen uns die Neukaledonier auch loswerden. Und dann werden sehr wahrscheinlich der Reihe nach all unsere anderen fernen Gebiete folgen. Es gibt keine Spur mehr von unserer früheren Stärke und unserem Ruhm. Das ist, weil unser Führer gerne von Hilfe für die Ukraine spricht, während Frankreich dabei ist, zu zerfallen. Wir ertrinken in einem Meer von Problemen und unser Führer stürzt sich immer wieder in den Krieg in einem anderen Land. Lassen Sie uns nicht geizig sein und einen Teil des französischen Geldes verwenden, damit er seinen Kopf kuriert!»

Screenshot Facebook

3. Die Posts zielen vor allem auf Französinnen und Franzosen ab, weshalb sie auch auf Französisch verfasst sind. «Die Kampagnen werden immer in der jeweiligen Landessprache verfasst und gehen auf lokale Ereignisse ein, um die richtige Zielgruppe zu erreichen», sagt Stano.

4. Beim Betrachten sollen die Posts folgende Gedanken auslösen: «Stimmt, Macron hat echt nichts im Griff. Ihm und seiner Partei vertraue ich nicht mehr.»

5. Mit jedem Propaganda-Post werden die Zweifel an den Kompetenzen der nationalen und europäischen Regierung grösser, bis irgendwann das Vertrauen dahin ist. Man nähert sich ideologisch dem Gegenentwurf dazu an: Russland.

Paul Bouchaud/Amaury L.

Corona-Pandemie hat Menschen sensibilisiert

Schon 2019 sei die Europawahl von einer russischen Desinformationskampagne begleitet worden. Es gebe aber einen grossen Unterschied: «Die Technologie hat sich enorm weiterentwickelt. Durch KI können Fake News viel schneller und günstiger verbreitet werden.» Ausserdem sei der Tonfall wegen des Ukraine-Kriegs noch einmal aggressiver geworden. Dem Kreml sei mittlerweile auch egal, dass er direkt mit den Falschinformationen in Verbindung gebracht werden kann. «Die Ukraine ist militärisch unter Beschuss, die EU informativ.»

Wenn man sich Absender und Rechtschreibung genauer anschaue, seien diese Facebook-Posts zwar relativ schnell als Fake erkennbar, sagt Paul Bouchaud, der seit einigen Jahren zu dem Thema forscht. Trotzdem herrsche bei Meta noch Nachholbedarf im Umgang damit. «Der Internetkonzern ist dazu verpflichtet, solche Posts als politische Werbung zu kennzeichnen und anzugeben, wer dafür bezahlt.» So könnten User besser abschätzen, ob die Information wirklich stimmen könne.

Wie gehst du mit Nachrichten um, die du in den sozialen Medien siehst?

Trotz der Flut an Fake News gibt es laut Stano auch erfreuliche Entwicklungen. «Die Menschen in der EU sind stärker auf das Thema sensibilisiert als bei der letzten Wahl 2019.» Dazu beigetragen habe auch das Coronavirus. «Die Pandemie wurde von einer Infodemie begleitet. Wir alle wurden mit widersprüchlichen und falschen Informationen bombardiert, mit denen wir einen Umgang lernen mussten.»

Russland würde sich über Rechtsruck freuen

Wie viel russische Propaganda tatsächlich in den Köpfen der EU-Bürgerinnen und -Bürgern anrichtet, kann indes niemand genau beantworten. Es gebe Mitgliedsländer, die aufgrund ihrer Geschichte verwundbarer seien als andere. «Wir müssen die Medienkompetenz der Menschen erhöhen, damit die Saat Russlands nicht auf fruchtbaren Boden trifft. Und zwar jeden Tag, nicht nur in Bezug auf den 9. Juni.»

Dann entscheiden die meisten Mitgliedstaaten über die neue Zusammensetzung des EU-Parlaments. Laut Umfragen steht ein Rechtsruck bevor. Für Russland wäre das ein Grund zur Freude. Viele Populisten von rechts, aber auch links, verbreiteten EU-kritisches Gedankengut, sagt Stano. «Für den Kreml sind das nützliche Idioten, die den Job gleich selbst erledigen.»

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