Sekundenschlaf bei Piloten: Zahlen veröffentlicht

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EuropaSchock-Studie zeigt, wie viele Piloten in Sekundenschlaf fallen

Weil Personal fehlt, müssen sich Pilotinnen und Piloten regelmässig zu wenig ausgeruht ins Cockpit setzen. Das führt zu einem Sicherheitsrisiko über den Wolken.

Weltweit fehlen rund 19’000 Pilotinnen und Piloten. Das hat negative Auswirkungen auf die Menschen, die bereits im Cockpit sitzen.
Drei von vier Piloten und Pilotinnen erlebten in den letzten vier Wochen mindestens einmal einen Sekundenschlaf während des Betriebs eines Flugzeugs – und ein Viertel berichtete von fünf oder mehr Sekundenschlafsituationen.
Darüber hinaus gaben 72,9 Prozent der Pilotinnen und Piloten an, dass sie sich zwischen den Einsätzen nicht ausreichend von der Müdigkeit erholen konnten. In der Aviatik-Sprache spricht man dabei von Pilot fatigue (Ermüdung des Piloten).
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Weltweit fehlen rund 19’000 Pilotinnen und Piloten. Das hat negative Auswirkungen auf die Menschen, die bereits im Cockpit sitzen.

IMAGO/Pond5 Images

Darum gehts

  • Eine repräsentative Umfrage der European Cockpit Association ECA löst Sicherheitsbedenken aus.

  • Drei von vier Piloten erlebten in den letzten vier Wochen mindestens einmal einen Sekundenschlaf während des Betriebs eines Flugzeugs – und ein Viertel berichtete von fünf oder mehr Sekundenschlafsituationen.

  • In der Schweiz, Deutschland und Österreich gaben zwischen 25 und 30 Prozent der Piloten und Pilotinnen an, immer oder regelmässig nicht genügend erholt ein Flugzeug fliegen zu müssen.

Die Aviatik-Branche leidet seit längerer Zeit unter Personalmangel. Neben Kabinenpersonal fehlen weltweit auch rund 19’000 Pilotinnen und Piloten. Das hat eine Studie des Beratungsunternehmens Oliver Wyman berechnet, wie der «Aerotelegraph» berichtet.

Der Personalmangel macht den Pilotinnen und Piloten zu schaffen, die deshalb schlechtere Arbeitsbedingungen vorfinden. Die Folgen davon sind ein Sicherheitsrisiko. In einer repräsentativen Umfrage der European Cockpit Association ECA wurden die Antworten von rund 6900 europäischen Pilotinnen und Piloten aus 31 Ländern analysiert. 

Unausgeruht im Cockpit

Auf der Grundlage der im Juli erhobenen Daten zeigt der nun veröffentlichte Bericht, dass die Müdigkeit in den Cockpits bereits vor der sommerlichen Hochsaison zunahm. Drei von vier Piloten erlebten in den letzten vier Wochen mindestens einmal einen Sekundenschlaf während des Betriebs eines Flugzeugs – und ein Viertel berichtete von fünf oder mehr Sekundenschlafsituationen. Darüber hinaus gaben 72,9 Prozent der Pilotinnen und Piloten an, dass sie sich zwischen den Einsätzen nicht ausreichend von der Müdigkeit erholen konnten. In der Aviatik-Sprache spricht man dabei von Pilot fatigue (Ermüdung des Piloten).

Der Bericht deckt einen besorgniserregenden Trend bei der Verlängerung von Flugdienstzeiten auf: Fast jeder fünfte Pilot oder Pilotin nutzte das Ermessen des Kommandanten (Commander’s Discretion, CD), um seine Flugdienstzeiten innerhalb der letzten vier Wochen zweimal oder öfter zu verlängern. Ausserdem äusserten mehr als 60 Prozent der Pilotinnen und Piloten in unterschiedlichem Masse Bedenken hinsichtlich möglicher negativer Konsequenzen, wenn sie sich weigern würden, einen Flugdienst im Rahmen der CD zu verlängern.

Problem auch in der Schweiz

Der Bericht zeigt auch strukturelle Mängel im Umgang der europäischen Fluggesellschaften mit dem Müdigkeitsrisiko auf. Fluggesellschaften, die unter der Sicherheitsaufsicht mehrerer Länder stehen – insbesondere Irland, Malta, Spanien und das Vereinigte Königreich – schneiden bei vielen der im Bericht behandelten Aspekte am schlechtesten ab.

Das Vereinigte Königreich befindet sich auf dem letzten Platz. 45 Prozent der dortigen Pilotinnen und Piloten gaben an, immer oder regelmässig nicht genügend erholt ein Flugzeug fliegen zu müssen.

In der Schweiz, Deutschland und Österreich liegt diese Zahl zwischen 25 und 30 Prozent. Laut «Aerotelegraph» ist aber auch das immer noch viel. Einen kleinen Lichtblick für die Schweiz gibt es dennoch: Hierzulande gaben 32,8 Prozent der Befragten an, dass das Müdigkeitsrisiko (Fatigue Risk Management System) bei ihrer Fluggesellschaft meistens nicht oder nicht gut gehandhabt wird. Das klingt zwar nach viel, ist aber der beste Wert unter allen europäischen Ländern – im Vereinigten Königreich sind es 72 Prozent. 

Die ganze Studie findest du hier als PDF.

Gründe für Pilot fatigue

Neben medizinischen Gründen und der hohen Arbeitsbelastung können unter anderem folgende Punkte zu Müdigkeit im Cockpit führen:

  • Unzureichender Schlaf aufgrund von Störungen der zirkadianen oder «biologischen Uhr» in Verbindung mit wechselnden Arbeits- und Ruhezeiten und Zeitzonenwechseln (shift lag und jet lag). Zum Beispiel kann ein Pilot während einer Zwischenlandung versuchen zu schlafen, obwohl sein Verstand ihm sagt, dass er wach und aktiv sein sollte und umgekehrt.

  • Nachtflüge und frühmorgendliche Flüge, die während «normaler Schlafperioden» absolviert werden. Das menschliche Gehirn ist so verdrahtet, dass es während der dunklen Stunden schläft und während der Tagesstunden wach und aktiv ist, was auch als Schlaf-Wach-Zyklus bekannt ist. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass die Wachsamkeit von Piloten am geringsten und die zirkadian bedingte Müdigkeit zwischen drei und fünf Uhr am stärksten ausgeprägt ist.

  • Das Erfordernis, bei Tageslicht zu schlafen. Der Schlaf, den Nachtschichtpiloten bei Tageslicht einnehmen, ist schwieriger zu initiieren und tendenziell von kürzerer Dauer als der Nachtschlaf.

  • Schlafbeschränkungen im Zusammenhang mit kurzen Zwischenstopps auf der Flugroute.

  • Anstrengende geistige Arbeit (besonders relevant für Kurzstreckenpiloten, die eine grössere Anzahl von Starts und Landungen durchführen müssen als Langstreckenpiloten).

  • Langeweile, z. B. bei Langstreckenflügen, wenn der Autopilot eingeschaltet ist.

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