Exklusive UmfrageDie Hälfte der Schweizer hat die Nase voll vom Trinkgeld
Eine Umfrage von 20 Minuten und Tamedia zeigt: Fast die Hälfte der Bevölkerung würde das Trinkgeld zugunsten von höheren Löhnen im Gastgewerbe abschaffen. Die Sozialpartner wollen indes nicht an der «bewährten Praxis» rütteln. Und auch die Politik ist dagegen.
Darum gehts
Die Gäste zahlen Trinkgeld im Restaurant immer öfter mit Karte statt bar. Das hinterlässt eine digitale Spur in der Buchhaltung der Gastrofirmen. In der Schweiz muss Trinkgeld versteuert werden, wenn es einen «wesentlichen Teil des Lohnes» ausmacht.
Laut einer Umfrage von Leewas im Auftrag von 20 Minuten und Tamedia wäre eine knappe Mehrheit für eine Abschaffung des Trinkgeldes, wenn dafür die Löhne im Gastgewerbe steigen würden.
Die direkt betroffenen Sozialpartner, der Branchenverband Gastrosuisse sowie die Gewerkschaft Unia, halten aber nichts von dieser Idee, sondern wollen an der «bewährten Praxis» festhalten.
Im Café oder der Beiz sieht man kaum mehr Münz oder Nötli auf den Tischen. Die Gäste geben das Trinkgeld immer öfter bargeldlos. Diese digitalen Zahlungen, etwa per Kreditkarte oder Twint, tauchen in den Buchhaltungen der Gastrolokale auf – und werden damit sichtbar für die Steuerbehörden.
Das wirft neue Fragen auf. Denn Trinkgelder müssen als Einkommen versteuert werden, wenn sie einen «wesentlichen Teil des Lohnes» ausmachen. In der Praxis heisst das mehr als zehn Prozent.
Zur Umfrage
13’215 Personen aus der ganzen Schweiz haben vom 21. bis 24. November an der Nachbefragung von 20 Minuten und Tamedia zu den eidgenössischen Abstimmungen vom 24. November 2024 teilgenommen. Die Umfrage wurde in Zusammenarbeit mit LeeWas durchgeführt. LeeWas modelliert die Umfragedaten nach demografischen, geografischen und politischen Variablen. Der Fehlerbereich liegt bei 2,2 Prozentpunkten.
In einer repräsentativen Umfrage von Leewas im Auftrag von 20 Minuten und Tamedia lehnen 69 Prozent der Befragten eine Besteuerung des Trinkgeldes ab.
Deutlich gespaltener ist die Schweizer Bevölkerung in der Frage, ob das Trinkgeld zugunsten von höheren Löhnen im Gastgewerbe abgeschafft werden soll. Eine knappe Mehrheit von 48 Prozent spricht sich dafür aus, wobei Frauen und Linke in der Tendenz eher einverstanden sind mit der Forderung. 46 Prozent sagen Nein oder eher Nein.
Sozialpartner halten an Trinkgeld fest
Der Branchenverband Gastrosuisse lehnt sowohl die Besteuerung als auch die Abschaffung ab: «Trinkgelder sind ein Geschenk des Gastes für den besonders geschätzten Service», sagt Gastrosuisse-Sprecherin Iris Wettstein auf Anfrage. Die «bewährte Praxis» werde von allen Sozialpartnern mitgetragen.
Bei «einer nicht optimalen Handhabung» würden Mitarbeitende am Ende des Monats netto weniger Lohn erhalten, weil sie höhere Abgaben und zusätzliche Steuern bezahlen müssten. Höhere Lohnabzüge würden zu höheren Lohnkosten führen, was den Spielraum für wettbewerbsfähige Nettolöhne reduziere.
Nationalrat will Trinkgelder komplett von Steuern befreien
Der Genfer Nationalrat Vincent Maitre (EVP) fordert in einem Vorstoss, dass Trinkgelder ganz von Steuern befreit werden sollen. Diese seien kleine Zeichen der Wertschätzung, würden aber vermehrt mit Karte bezahlt und seien darum besser nachverfolgbar. Maitre befürchtet eine starke Zunahme der Bürokratie. Der Bundesrat beantragte vor kurzem die Ablehnung der Motion. Er argumentierte unter anderem, dass eine generelle Befreiung von der Beitrags- und Steuerpflicht einen finanziellen Anreiz schaffen würde, die Bedienung vermehrt über Trinkgelder zu entschädigen. Dies könne sich negativ auf die Lohnentwicklung auswirken.
Auch die für das Gastgewerbe zuständige Gewerkschaft Unia sieht keinen Grund, die bisherige Praxis zu ändern. Eine systematische Besteuerung bezeichnet Unia-Sprecherin Natalie Imboden als «unverhältnismässig» und «bürokratisch»: Den Angestellten würde es eher schaden, weil die Betriebe aufgrund des Aufwands weniger digitales Trinkgeld annehmen würden.

Laut Unia-Sprecherin Natalie Imboden ist das Trinkgeld nur selten ein wesentlicher Bestandteil des Lohnes: «Die Rechnungen werden meist aufgerundet. Eine systematische Besteuerung wäre unverhältnismässig, bürokratisch und würde mehr Kosten verursachen als es an Erträge bringen würde», sagt sie.
Raphael Moser/TamediaVon einer Abschaffung des Trinkgeldes will Imboden angesichts der «sehr tiefen» und sinkenden Reallöhne nichts wissen. Zuletzt sind die Verhandlungen gescheitert: «Die Arbeitgeberverbände sind nicht bereit, die Mindestlöhne auf ein faires Niveau anzuheben», sagt Imboden.
SVP: «Service inbegriffen geht nicht zweimal»
«Das Trinkgeld gehört dem Servicepersonal», sagt SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi. Es sei ein Geschenk. Eine Besteuerung, die über den Status Quo hinausgeht, lehne die SVP entschieden ab. Ebenso die Abschaffung des Trinkgeldes zugunsten von höheren Löhnen im Gastgewerbe. Seit 1974 gilt in der Schweiz «Service inbegriffen»: «Man kann das Trinkgeld nicht zweimal in den Lohn einschliessen», so Aeschi.
Gibst du Trinkgeld in der Schweiz?
FDP-Nationalrat Marcel Dobler bezeichnet die Besteuerung von Trinkgeld als «administrativen Nonsens». Auch von einer Abschaffung hält Dobler nichts: «Es hat sich in unserer Kultur eingebürgert, bei gutem Service ein Trinkgeld zu geben.»

Die SP setze sich für gute und geregelte Einkommen im Gastgewerbe ein, sagt Nationalrätin Celine Widmer. Die Angestellten sollen nicht von der Willkür oder Sympathie von Kunden abhängig sein.
TamediaAuch die SP-Nationalrätin Celine Widmer hält nichts von den Vorschlägen: «Ich bin der Ansicht, dass Trinkgelder kein Lohnbestandteil sein und nicht grundsätzlich besteuert werden sollen», sagt sie. Die SP setze sich dafür ein, dass die Leute im Gastgewerbe ein gutes und geregeltes Einkommen hätten und nicht von der Willkür oder der Sympathie von Kunden abhängig seien.
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