Experte alarmiert«Verbieten Demokratien Medien, leben wir in einer düsteren Zeit»
Compact Magazine, Russia Today (RT), Al Jazeera: Verschiedene Medien wurden jüngst in Demokratien verboten. Jetzt plant die Schweiz eine Verordnung zur Regulierung von Social Media.
Darum gehts
Verschiedene westliche Demokratien haben jüngst Medienverbote verhängt oder erwägt.
Gleichzeitig regulieren die Schweiz und die EU grosse Social-Media-Plattformen – einige Experten sehen darin eine Gefahr für die Meinungsfreiheit.
Erik Schönenberger von der Digitalen Gesellschaft Schweiz sagt: Regulierung ist nötig, aber Verbote sollten das letzte Mittel sein.
Der «Digital Services Act» der Europäischen Union soll helfen, Fakenews und Propaganda sowie illegale Inhalte von grossen Social-Media-Plattformen zu verbannen. In Deutschland regt sich Kritik an dieser Form der Zensur – auch vor dem Hintergrund, dass mit dem «Compact Magazine» in Deutschland, «Russia Today» in der EU und «Al Jazeera» in Israel jüngst gleich drei Medien in demokratischen Staaten verboten wurden.
Auch die Schweiz arbeitet derzeit eine Vorlage zur Regulierung grosser Plattformen aus. Erik Schönenberger ist Informatiker und Geschäftsleiter der «Digitalen Gesellschaft». Im Interview erklärt er, was er von Medienverboten hält und welche zentralen Voraussetzungen eine solche Regulierung erfüllen muss, um nicht zum Zensurinstrument zu verkommen.
Serie Meinungsfreiheit oder Zensur?
Die EU hat mit dem «Digital Services Act» ein Gesetz verabschiedet, um grosse Social-Media-Plattformen zu regulieren. Die Schweiz will nachziehen und arbeitet derzeit eine Vorlage aus. Befürworter betonen, die Macht der profitorientierten Konzerne müsse beschränkt werden, um online eine faire Debatte und Meinungsbildung zu ermöglichen. Gegner fürchten, das Gesetz diene Regierungen, um unliebsame Meinungen zu zensieren. 20 Minuten hat für diese Serie mit allen Seiten gesprochen. Bereits erschienen sind:
Was halten Sie davon, dass demokratische Staaten Medien verbieten?
Erik Schönenberger: Es ist eine düstere Zeit, wenn in Demokratien Medien verboten werden. Dasselbe gilt für die Regulierung grosser Plattformen: Sobald die Löschungen Inhalte betreffen, die nicht per se strafrechtlich relevant sind, wird es gefährlich. Das heisst aber nicht, dass Staaten sich nicht gegen Portale wehren dürfen, die offensichtlich darauf ausgelegt sind, demokratische Strukturen und den demokratischen Diskurs zu unterwandern.
Wie kann verhindert werden, dass aus dem Kampf gegen Desinformation Zensur wird?
Es braucht einerseits möglichst klare Kriterien, was gelöscht werden kann, und was nicht. Und es braucht Verfahren, mit denen man sich gegen Löschungen wehren kann – notfalls bis vor Gericht.
In der EU kann im Krisenfall die Kommission Plattformen verpflichten, Massnahmen gegen Desinformation oder illegale Inhalte zu ergreifen.
Das ist gefährlich. Da hat man einer Exekutivbehörde zu viel Macht gegeben. Solche Entscheide müssten breiter demokratisch abgestützt sein.
Wie?
Indem beispielsweise das Parlament in den Entscheid einbezogen würde. In der Schweiz könnte auch eine Kommission angehört werden.
Der Experte
Erik Schönenberger ist Informatiker und Geschäftsleiter der Digitalen Gesellschaft, die er mit initiiert hat. Die zehn Jahre davor hat er sich mit IT-Security beschäftigt. Sein Interesse gilt dem Spannungsfeld aus Technologie, Gesellschaft und Recht.

Erik Schönenberger, Geschäftsleiter der Digitalen Gesellschaft Schweiz.
privatDauert das in einer Krisensituation nicht zu lange?
Schauen wir die Diskussion um das Verbot von Russia Today im Bundesrat an. Unsere Demokratie wäre und ist nicht gleich untergegangen. Muss es wirklich einmal schnell gehen, kann der Bundesrat aber immer noch eine Sofortmassnahme erlassen, die dann nachträglich breiter abgestützt wird.
Zurück zu den Plattformen: Wie kann man Meta oder X in die Pflicht nehmen, ohne vorzuschreiben, was sie löschen müssen?
Die Plattformen können gezwungen werden, Meldemechanismen einzuführen. Wird etwas gemeldet, entscheidet die Plattform, ob sie es löschen will oder nicht. Der Enscheid muss begründet werden. Dann sollen beide Parteien – derjenige, der es gemeldet hat, und derjenige, dessen Post oder Account gelöscht worden ist – sich dagegen wehren können. Notfalls bis vor Gericht.
Läuft es nicht komplett aus dem Ruder, wenn Gerichte über X-Postings entscheiden müssen?
Es wird Mehraufwand geben und mehr Personal brauchen, das ist klar. Die Alternative ist, dass willkürlich die Meinungsfreiheit beschnitten wird. Es wird aber auch bei den Plattformen selber mehr Personal brauchen, damit möglichst viele Fälle entlang der gesetzlichen Vorgaben beurteilt werden und nicht vor Gericht landen. Musk hat bei der Übernahme von X das Gegenteil getan und sehr viel Personal, das Postings geprüft hat, entlassen. Hier kann staatliche Regulierung eingreifen. Und die Plattformen müssen zu mehr Transparenz verpflichtet werden.
Wie?
Indem sie gezwungen werden, Einblick in ihre Algorithmen zu geben. Die Plattformen sollen eine Aufsichtspflicht haben und Rechenschaft darüber ablegen müssen, was wann aus welchen Gründen hochgespült wird und welche Meinungen eher unterdrückt werden. Kurzum: Anstatt dass der Staat entscheidet, welche Meinungen zulässig sind, müssen wir die Rechte der Nutzer stärken und die Plattformen in die Pflicht nehmen, ihren Kontrollauftrag wahrzunehmen. Denn das ist nötig: Die freie Meinungsäusserung ist ein extrem hohes Gut, doch im Moment droht sie aus dem Ruder zu laufen und zu einer Propagandaschlacht zu verkommen.
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