«Persilschein für Behörden»: Anwalt zerpflückt Prügel-Gutachten

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Fabienne W.«Persilschein für Behörden»: Anwalt zerpflückt Prügel-Gutachten

Im Fall der Prügelattacke auf Fabienne W. wurden massive Vorwürfe gegen die Schaffhauser Polizei laut. Ein Gutachter attestiert dieser jedoch «kein relevantes Fehlverhalten». Ein Rechtsexperte widerspricht.

Die Prügelattacke auf Fabienne W. und die anschliessende Kritik an den Ermittlungsbehörden sorgten schweizweit für Aufsehen.
Fabienne W. wurde nach eigenen Angaben in der Nacht zum 29. Dezember 2021 in der Wohnung eines Anwalts spitalreif geprügelt und vergewaltigt.
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Die Prügelattacke auf Fabienne W. und die anschliessende Kritik an den Ermittlungsbehörden sorgten schweizweit für Aufsehen.

Darum gehts

  • Ein Gutachten stellt der Schaffhauser Polizei ein gutes Zeugnis im Fall der Prügelattacke gegen Fabienne W. aus.

  • Der Strafverteidiger Konrad Jeker kritisiert jedoch, dass das Gutachten nicht alle relevanten Fragen beantwortet und die Transparenz vermissen lässt.

  • Die Rechtsvertretung von Fabienne W. sieht weiterhin erhebliche Ermittlungsfehler der Schaffhauser Polizei und Staatsanwaltschaft.

Im Fall der Prügelattacke von vier Männern gegen Fabienne W. ist der Schaffhauser Polizei entgegen der Darstellung der «Rundschau» kein relevantes Fehlverhalten vorzuwerfen – so heisst es zumindest in einer Medienmitteilung des Kantons Schaffhausen von Freitag.

«Das Gutachten von Prof. em. Dr. Andreas Donatsch kommt zum Schluss, dass die Schaffhauser Polizei vielmehr sehr schnell und professionell ihre Arbeit aufgenommen und das Opfer ernst genommen hat», heisst es dort unter anderem.

Das sagt der Rechtsexperte

Aber wie ist dieses Gutachten überhaupt zu bewerten? Versucht sich die Polizei dadurch von den massiven Vorwürfen auf einfachem Wege herauszuwinden oder ist ihr wirklich kein Fehlverhalten vorzuwerfen?

Konrad Jeker bewertet das Vorgehen der Schaffhauser Polizei.

Konrad Jeker bewertet das Vorgehen der Schaffhauser Polizei.

Privat

Konrad Jeker, einer der renommiertesten Strafverteidiger der Schweiz, kommentierte damals in der Reportage der «Rundschau» zum Fall von Fabienne W. das Vorgehen der Polizei. Gegenüber 20 Minuten äussert er sich auch zum Gutachten der Schaffhauser Polizei.

«Die zuständige Regierungsrätin hat nur die von ihrem Departement verfasste Medienmitteilung veröffentlicht, nicht aber das Gutachten selbst. Das ist intransparent und lässt offen, welche konkreten Fragen der Gutachter überhaupt zu beantworten hatte.»

Laut Jeker ging es offenbar darum, die Rechtmässigkeit der polizeilichen Ermittlungen zu bestätigen. Gegenstand der Kritik war aber nicht die Rechtmässigkeit, sondern die Verletzung des Auftrags der Staatsanwaltschaft und von kriminalistischen Standards. Das wird nun offenbar auch vom Gutachter bestätigt. «Die Polizei hat zwar rechtmässig gehandelt, aber nicht alles Notwendige getan, um alle Beweise zu sichern.»

Das sagt Fabienne W.

Fabienne W. wollte sich auf Anfrage nicht näher äussern, ihr und ihrem Sohn sei schon zum jetzigen Zeitpunkt alles zu viel. Sie verwies wiederum auf ihren Anwalt Philip Stolkin, der sie in dieser Sache vertritt.

«Das Gutachten des Professors stellt den Schaffhauser Behörden zu Unrecht einen Persilschein aus. Die Rechtsvertretung von F.W. geht weiterhin von massiven Ermittlungsfehlern der Schaffhauser Polizei und Staatsanwaltschaft aus, stützt die Auffassung der ‹Rundschau›», teilt der Anwalt mit.

Die Polizei habe sich vom Anwalt gleichsam diktieren lassen, was zu beschlagnahmen sei und was nicht und welche Räume zu betreten gewesen seien, was absolut unüblich sei und der Gutachter übersehen habe.

«Persilschein in Wahlkampfzeiten»

«Offenbar hatte sich die Polizei auch gegenüber dem Anwalt negativ über F.W. geäussert und so möglicherweise das Amtsgeheimnis gebrochen», so Stolkin weiter. Die Opferrechte seien seiner Mandantin nicht sorgfältig erklärt worden. Es sei nicht berücksichtigt worden, «dass es weitere Kameras in der Bar des Anwaltes gegeben haben muss».

«Die Polizei hat unserem Aktenstand entsprechend nicht alle Verfahrenshandlungen protokolliert. Sie unterliess es im Zusammenhang mit der Aufklärung der Sexualdelikte, offensichtlichen Widersprüchen nachzugehen», teilt der Anwalt mit. Ohnehin sei die Auftragserteilung an den Gutachter unvollständig, hätten doch auch die Untersuchungshandlungen der Staatsanwaltschaft thematisiert werden müssen.

«Offensichtlich ging es beim Gutachten letztlich lediglich darum, einen Persilschein in Wahlkampfzeiten zu bekommen. Die Rechtsvertretung von F.W. teilt die Auffassung der ‹Rundschau› und ihres Experten Herrn Jeker, der soweit ersichtlich besser dokumentiert war als der Gutachter. Die Rechtsvertretung wird weiterhin die Beschwerde und Strafanzeigen verfolgen und wenn es sein muss, bis nach Strassburg gehen», heisst es von Anwalt Stolkin abschliessend.

Bist du oder ist jemand, den du kennst, von sexualisierter, häuslicher, psychischer oder anderer Gewalt betroffen?

Hier findest du Hilfe:

Polizei nach Kanton

Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz

Lilli.ch, Onlineberatung für Jugendliche

Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein

Zwüschehalt, Schutzhäuser für Männer

LGBT+ Helpline, Tel. 0800 133 133

Alter ohne Gewalt, Tel. 0848 00 13 13

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Beratungsstellen für gewaltausübende Personen

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