Schwere VorwürfeFall Blausee wird zum Krimi – Besitzer wurde bei Nachforschungen gedroht
In einer ausführlichen Reportage erhebt Blausee-Mitbesitzer Stefan Linder Vorwürfe gegen Bund und Kanton für ihren Umgang mit dem Fall.
Darum gehts
Im Mai 2020 ist für die Besitzer des Blausees im Berner Oberland die Schmerzgrenze überschritten. Bereits seit 2018 sterben ihnen regelmässig Forellen weg, insgesamt 40 Tonnen. Aber jetzt findet ein Mitarbeiter der Zucht eines Morgens gleich Tausende Fische tot vor. Der Grund: Gifte im Wasser. Die Besitzer – Ex-Nationalbankpräsident Philippe Hildebrand, Globetrotter-CEO André Lüthi und Stefan Linder, Gründer des Swiss Economic Forums – reichen im Juli 2020 Anzeige ein. Im September 2020 machen Tamedia und SRF den Fall publik.
Nun bringt eine gemeinsame Recherche von «Reportagen» und «Heidi-News» weiteres Licht ins Dunkel. In einem 30-seitigen Bericht und unter Berufung auf zahlreiche Quellen rollen sie den Fall erneut auf und berichten über weitere Gewässerverschmutzungen und Warnungen eines Berner Regierungsrates und eines eidgenössischen Amtsvorstehers an Linder – und eine Drohung.
«Pass auf, wo du deine Nase hineinsteckst»
Der amtierende Berner Regierungsrat und Baudirektor Christoph Neuhaus soll demnach Blausee-Mitbesitzer Linder – nach dessen eigener Darstellung – im Juni 2020, zu Beginn der Nachforschungen, per Telefon folgendermassen gewarnt haben: «Stefan, pass auf, wo du deine Nase hineinsteckst. Es sind schon andere in einem Steinbruch verschwunden und nicht mehr aufgetaucht.»
Linders Frau Susanne habe per Lautsprecher mitgehört. Linder selbst war irritiert und informierte danach unmittelbar mehrere Personen über die Warnung. Dies bestätigen laut «Reportagen» und «Heidi News» mehrere Quellen. Neuhaus streitet laut Bericht ab, diesen Anruf getätigt zu haben, das sei eine «infame Unterstellung».
Auf Anfrage von 20 Minuten schreibt Patrick Helfer von der Medienstelle der Bau- und Verkehrsdirektion: «Herr Regierungsrat Neuhaus weist die haltlosen Unterstellungen von Herrn Linder auch weiterhin in aller Deutlichkeit zurück und erwägt rechtliche Schritte, um gegen diese Verleumdung vorzugehen.»
Gibt es in der Schweiz eine Abfallmafia?
Warnungen soll Linder auch von Peter Füglistaler, dem Vorsteher des Bundesamtes für Verkehr (BAV), erhalten haben. «Sie legen sich mit der Abfallmafia der Schweiz an», soll Füglistaler Linder bei einem Treffen Anfang Juli 2020 gesagt haben. Linder fragte nach. Gibt es in der Schweiz wirklich eine Abfallmafia? «Ja, ihre Fäden führen bis ganz oben hinauf – die ist perfekt organisiert», soll Füglistaler geantwortet haben.
Linder bekräftigt auf Nachfrage von 20 Minuten, dass sich beide Vorfälle so zugetragen haben. Über einen Mediensprecher liess Füglistaler gegenüber «Reportagen» und «Heidi News» später verlauten, dass er lediglich von einem «Anschein» gesprochen habe. BAV-Mediensprecher Michael Müller schreibt auf Anfrage von 20 Minuten: «BAV-Direktor Peter Füglistaler hat gegenüber Herrn Linder lediglich erklärt, dass es den Anschein einer ‹Abfallmafia› erweckt, wenn alle in den Medien dargestellten Sachverhalte zur Entsorgung im Steinbruch Mitholz zutreffen.» Die anderen Aussagen habe Füglistaler nicht gemacht.
Direkter ist Linder laut Bericht jedoch vom Verwaltungsratspräsident von Vigier Berner Oberland, Marcel Rychen, gedroht worden. «Du hast keine Ahnung, mit wem du dich anlegst und wie mächtig wir sind», soll Rychen Linder beim Kaffee gesagt haben. «Ich habe das als Einschüchterungsversuch der Gegenseite aufgefasst», sagt Linder zu 20 Minuten. «Es ist natürlich schon eine Drohung, aber ich habe mich auf jeden Fall nicht an Leib und Leben bedroht gefühlt. Er wollte mir klar aufzeigen: Wir sind extrem mächtig.»
«Ich habe das zur Kenntnis genommen», so Linder weiter. «Ich habe gesagt: ‹Das mag schon sein›. Aber akzeptiert habe ich das natürlich nicht.» Auf Anfrage von 20 Minuten nimmt Rychen schriftlich Stellung: «Wir sind in einem laufenden Verfahren und äussern uns nicht gegenüber Medien. Vor allem zu Anfragen, wo Aussagen im Raum stehen, die nicht stimmen!»
Polizei bricht Observation ab
Auch das Amt für Wasser und Abfall, das Neuhaus untersteht, habe suboptimal reagiert, berichten «Reportagen» und «Heidi News» weiter. Man habe Linder zuerst gesagt, das Fischsterben könne gar nicht mit den Giftstoffen in Zusammenhang stehen, weil die Stoffe gar nicht wasserlöslich seien.
Fragen wirft auch das Vorgehen der Polizei auf. Nachdem Linder in der Nacht beobachtet hatte, wie Arbeiter weiter illegal Abfall im Steinbruch ablagern, sei eine Observation angeordnet worden. Während die Kameras installiert wurden, habe einer der Polizisten laut Bericht einen Anruf erhalten. Die Observation sei abgebrochen, wegen «übergeordneter Interessen» und «zu wenig hohem Anfangsverdacht». Stattdessen habe der Polizist Linder gesagt, dass er drei Verfahren gegen ihn eröffnen müsse: wegen Hausfriedensbruchs, wegen Drohnenflügen in einem militärischen Sperrgebiet und wegen illegaler Foto- und Videoaufnahmen.
Wie Linder zu 20 Minuten sagt, wundert ihn daran vor allem, dass das Antragsdelikte seien, die Polizei also nicht von sich aus tätig geworden sein kann. «Ich habe die Welt nicht mehr verstanden», sagt Linder. «Die Polizei verbot mir, eigene Nachforschungen anzustellen, machte dann aber selbst nichts mehr. Das ist schon mal eigenartig.» Und bislang sei Linder aufgrund einer Strafanzeige von Vigier einmal einvernommen worden, dann sei – untypischerweise – seit knapp zwei Jahren nichts mehr passiert.
Wurde bereits beim Neat-Bau gepfuscht?
Wie «Reportagen» und «Heidi News» ebenfalls berichten, wurde nicht erst ab 2018 bei der Sanierung des alten Lötschberg-Scheiteltunnels (gebaut 1913) gepfuscht, sondern bereits beim Bau des neuen Neat-Lötschberg-Basistunnels zwischen 1999 und 2007. Beim Bau des Tunnels anfallendes Schmutzwasser wurde in ein sogenanntes Absatzbecken geleitet, um das Wasser vom giftigen Schlamm zu trennen.
Laut einem nicht namentlich genannten Mitarbeiter sei dabei aber die Kapazität des Beckens überschritten, das toxische Wasser direkt in die Kander weitergeleitet worden. «Wenn man sich immer an alle Vorschriften gehalten hätte, wäre der Bau des Neat-Tunnels gar nicht möglich gewesen», sagt der Mitarbeiter. Man habe unter Zeitdruck handeln müssen, damit der Tunnel wie geplant 2007 eröffnet werden konnte. Ausschlaggebend waren dafür erhoffte Einnahmen aus der Erhöhung der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA).
Untermauert werden die Vorwürfe mit dem Fakt, dass im Juli 2001 bei Felchen im Thunersee merkwürdige Missbildungen aufgetreten waren. Die ganze Schweiz rätselte über die Ursachen, geklärt wurden sie nie. Ein Umweltchemiker sagt laut Bericht: «Ich gehe davon aus, dass sich in den Betonchemikalien jener Stoff befindet, der die Felchen im Thunersee schädigte.»
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