Fehlgeburt: Kein bezahlter Urlaub für betroffene Frauen

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FehlgeburtKind in 23. Woche verloren: «Habe in den Wehen noch gearbeitet»

Frauen, die während der Schwangerschaft ein Kind verlieren, haben in der Schweiz ab der 24. Woche Anspruch auf einen sogenannten «Trauerurlaub». Vorher müssen sie gleich zurück zur Arbeit – ausser, sie sind krankgeschrieben. Betroffene erzählen.

Viele Schwangerschaften enden in einer Fehlgeburt. (Symbolbild)
In der Schweiz gibt es jedoch keine bezahlten freien Tage für Frauen, die ihr Kind vor der 24. Schwangerschaftswoche verlieren. (Symbolbild)
Einigen fällt das schwer. (Symbolbild)
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Viele Schwangerschaften enden in einer Fehlgeburt. (Symbolbild)

Getty Images

Darum gehts

  • Jede sechste Schwangerschaft in der Schweiz endet mit einer Fehlgeburt.

  • Frauen haben nach der 23. Woche Anspruch auf 14 Wochen Ferien, Männer auf zwei Wochen.

  • Betroffene Frauen berichten von psychischen und physischen Belastungen.

  • Eine gesetzliche Anpassung für Trauertage wurde im Parlament mehrmals diskutiert – bisher aber ohne Erfolg.

In der Schweiz endet rund jede sechste Schwangerschaft in einer Fehlgeburt. In England haben Eltern neu Anspruch auf zwei Wochen «Trauerurlaub», wenn sie bis zum Ende des sechsten Schwangerschaftsmonats ein Kind verlieren. Hierzulande können Frauen, die nach der 23. Schwangerschaftswoche eine Totgeburt erleben, 14 Wochen Urlaub beanspruchen. Männer erhalten zwei Wochen. Vorher haben sie hingegen keinen Anspruch auf bezahlte Freitage.

Im Parlament wird eine Gesetzesanpassung immer wieder diskutiert (mehr dazu hier). Doch was denken die betroffenen Frauen selbst? 20 Minuten hat mit einigen von ihnen gesprochen.

20min/Taddeo Cerletti

Dina* (32): «Wollte nicht detailliert mit meinem Chef darüber sprechen»

«Ich musste in der 23. Schwangerschaftswoche die Geburt einleiten. Während 48 Stunden lag ich in den Wehen – während der ersten Hälfte davon habe ich sogar noch von zu Hause aus gearbeitet. Mein Chef wusste zwar, dass ich das Kind verliere, Details wollte ich mit ihm aber keine besprechen. Eine Woche nach der Totgeburt wurde ich wieder bei der Arbeit erwartet. Ich hatte Schmerzen wie nach einer ‹normalen› Geburt. Mein Körper musste heilen – und auch meine Psyche. Mein Ehemann war zwar mit mir im Spital, musste dann aber gleich wieder arbeiten gehen.

«Das Thema ist tabu.»

Dina* (32)

Einen gesetzlichen Anspruch auf Trauertage für Frauen und Männer fände ich sehr sinnvoll. Hätte es damals so eine Regelung gegeben, hätte ich mir diese Zeit auf jeden Fall genommen. Einfordern wollte ich sie aber nicht. Das Thema ist tabu. Dazu kommt, dass mein Chef ein Mann ist. Es wäre mir unangenehm gewesen, mit ihm darüber zu sprechen.»

Totgeburt: Einleitung und Ursachen

C.P. (37): «Ich hatte schlechtes Gewissen, zu Hause zu bleiben»

«Insgesamt hatte ich vier Fehlgeburten, alle jeweils vor der zwölften Schwangerschaftswoche. Nach der ersten liess ich mich drei Tage krankschreiben. Danach ging ich wieder zur Arbeit. Einerseits dachte ich, es wäre eine gute Ablenkung, andererseits hatte ich ein schlechtes Gewissen, zu Hause zu bleiben, da ich nicht ‹krank› war. Mein Arbeitgeber sagte zwar, ich könne mir die benötigte Zeit nehmen, dafür hätte ich aber ein Arztzeugnis einholen müssen.

Darum finde ich, dass Trauertage unbedingt gesetzlich festgelegt werden müssten. Wäre mir das zugestanden, hätte ich sie auch ohne schlechtes Gewissen bezogen. Gebraucht hätte ich sie allemal. Plus: Wer sie nicht beziehen will, müsste das ja auch nicht tun. Auch sollte betroffenen Frauen automatisch psychologische Betreuung zustehen.»

«Ich hatte ein schlechtes Gewissen, zu Hause zu bleiben, da ich nicht ‹krank› war.»

C.P. (37)

R.B. (33): «Trauertage nach einer Fehlgeburt im ersten Trimester unterstützte ich nicht»

«2021 hatte ich in der elften Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt. Es war eine emotionale Belastung, dennoch war ich froh, dass ich gleich wieder zur Arbeit gehen konnte. Meine Frauenärztin hatte mir angeboten, mich krankzuschreiben. Das wollte ich aber nicht. Der Job war eine gute Ablenkung. Mein Chef und meine Arbeitskollegen wussten, dass ich schwanger war, und auch vom Abort. Es hat mir geholfen, offen über meine Erfahrung zu sprechen.

«Es kann nicht sein, dass der Arbeitgeber für alles hinhalten muss.»

R.B. (33)

Die Idee von Trauertagen nach einer Fehlgeburt im ersten Trimester unterstützte ich nicht. Es gibt Frauen, die haben mehrere Aborte innert weniger Monate. Es kann nicht sein, dass der Arbeitgeber für alles hinhalten muss. Nach der zwölften Woche ist das etwas anderes. Dann kommt zur emotionalen auch eine körperliche Belastung hinzu.»

A.P. (28): «Allen Frauen sollten 14 Wochen zustehen»

«Ich hatte eine Fehlgeburt in der 18. Schwangerschaftswoche. Sie wurde normal eingeleitet, ich hatte Wehen und gebar meine Tochter. Die Ärzte schrieben mich für einen Monat krank. Zu diesem Zeitpunkt war ich temporär angestellt. Am Tag, als mein Zeugnis und damit auch der Kündigungsschutz auslief, wurde ich entlassen. Es hiess, ich koste der Firma zu viel. Mir ging es physisch und psychisch schlecht. Das Letzte, das ich in diesem Moment tun wollte, war Bewerbungen zu schreiben und zu Vorstellungsgesprächen zu gehen.

«Das Letzte, das ich in diesem Moment tun wollte, war Bewerbungen zu schreiben und zu Vorstellungsgesprächen zu gehen.»

A.P. (28)

Dass Frauen in der Schweiz nach einer Fehl- oder Totgeburt keine Freitage zustehen, finde ich eine Sauerei. Wenn sich Mütter über eine erfolgreiche Geburt freuen können, erhalten sie 14 Wochen Urlaub. Wenn sie hingegen trauern müssen, weil sie das Kind verloren haben, müssen sie zurück zur Arbeit. Das kann doch nicht sein. Ich finde, dass Müttern, egal, ob sie das Kind lebendig oder tot gebären, diese 14 Wochen zustehen sollten.»

Hast du oder hat jemand, den du kennst, ein Kind verloren?

Hier findest du Hilfe:

Kindsverlust.ch, Beratung bei Kindstod vor, während und nach Geburt

Himmelskind.ch, für Akuthilfe und Trauerbegleitung

SIDS, nach plötzlichem Kindstod

Verein Regenbogen Schweiz, Hilfe für trauernde Familien

Mein-Sternenkind.ch, für betroffene Väter, Familien, Angehörige

Lifewith.ch, für betroffene Geschwister

Appella, Telefon- und Onlineberatung bei früher Fehlgeburt

Pro Pallium, Trauergespräche und Trauertreffen

Seelsorge.net, Angebot der reformierten und katholischen Kirchen

Muslimische Seelsorge, Tel. 043 205 21 29

Jüdische Fürsorge, info@vsjf.ch

*Name geändert

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