Vor 24. WocheBezahlte Freitage nach Fehlgeburt: Vorstösse sorgen für Streit
Frauen haben in der Schweiz nach der 23. Schwangerschaftswoche Anspruch auf bezahlte Trauertage. Immer wieder sollten politische Vorstösse eine Veränderung bringen – Bundesbern ist jedoch gespalten.
Darum gehts
Frauen in der Schweiz haben erst nach der vollendeten 23. Schwangerschaftswoche Anspruch auf bezahlte Trauertage nach einer Fehl- oder Totgeburt.
Mehrere politische Vorstösse zur Änderung dieser Regelung sind bisher im Parlament gescheitert. Der Bundesrat arbeitet derzeit an einer Analyse zur Situation in der Schweiz.
EVP-Nationalrat Nik Gugger sowie SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer setzen sich für bezahlte Trauertage ein, um Familien Zeit zum Trauern zu geben.
Gegner argumentieren, dass zusätzliche Freitage zu hohen Kosten führen und bestehende Regelungen ausreichend sind.
In Grossbritannien haben Frauen und Männer neu Anspruch auf je zwei Wochen «Trauerurlaub», wenn sie ihr Kind während der Schwangerschaft verlieren. Bisher galt das erst nach der 24. Schwangerschaftswoche. In der Schweiz gibt es für Frauen 14 Wochen Urlaub – aber nur, wenn die Schwangerschaft mindestens 23 Wochen angedauert hat. Was Betroffene davon halten, liest du hier.

Einige Politikerinnen und Politiker wollten das Schweizer Gesetz ändern – bisher aber ohne Erfolg. Der Bundesrat erklärte 2019, dass die Schwelle bei 23 Wochen liege, weil die Lebenschancen eines Kindes dann realistisch seien. Später folgten mehrere Vorstösse, die versuchten, gesetzliche Trauertage unabhängig von der Schwangerschaftswoche einzuführen. Darunter eine Standesinitiative aus dem Kanton Tessin (siehe Box).
Standesinitiative Tessin
Der Kanton Tessin forderte, einen bezahlten Sonderurlaub von bis zu drei Tagen im Fall einer Fehl- oder Totgeburt einzuführen. Der Vorstoss scheiterte jedoch knapp im Nationalrat: Mit 92 zu 91 Stimmen bei neun Enthaltungen wurde er abgelehnt. Während sich die SVP und FDP mehrheitlich dagegen aussprachen, stimmten SP, Grüne und GLP überwiegend dafür.
EVP-Gugger: «Es kann nicht sein, dass man sich krankschreiben lassen muss»
Der letzte Vorstoss stammt von EVP-Nationalrat Nik Gugger. «Ein bezahlter Urlaub von wenigen Tagen wäre eine wichtige Geste, um Familien Zeit für ihre Trauer zu geben, das Tabu zu brechen und ihr Leid anzuerkennen», betont er gegenüber 20 Minuten.

«Es kann nicht sein, dass man sich krankschreiben lassen muss», betont EVP-Nationalrat Nik Gugger.
20min/Simon GlauserDer Bundesrat lehnte seine Motion ab – mit Verweis auf einen laufende Analyse. Diese soll unter anderem Auskunft geben über die betroffenen Fälle in der Schweiz sowie die finanziellen Auswirkungen bei Fehl- und Totgeburten. Auf Anfrage teilt das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) mit, dass der Bundesrat in der Regel zwei Jahre Zeit für die Ausarbeitung eines Berichts hat – wann dieser erscheinen wird, sei derzeit noch unklar.
Gugger ist optimistisch, dass der Bericht den Verlust eines Kindes anerkennen wird: «Es kann nicht sein, dass man sich krankschreiben lassen muss, um das Anrecht auf eine emotionale Erholung von einem solch schmerzvollen Ereignis zu erhalten.»
Gynäkologieverband: «Auch bei einem frühen Verlust kann betroffene Person stark leiden»
Auch SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer setzt sich für solche Trauertage ein. «Eine Fehl- oder Totgeburt ist auch in einem frühen Stadium der Schwangerschaft nicht nur körperlich, sondern auch psychisch eine starke Belastung für Frauen und Familien.» Bei diesem Thema stelle sie einen Stillstand im Thema Gleichstellung fest. «So ist die Schweiz eines der einzigen europäischen Länder, das keinen Elternurlaub kennt», erklärt Meyer.

Die Co-Präsidentin der SP Mattea Meyer betont: «Eine Fehl- oder Totgeburt ist auch in einem frühen Stadium der Schwangerschaft nicht nur körperlich, sondern auch psychisch eine starke Belastung für Frauen und Familien.»
Foto: Christian PfanderDer Schweizer Gynäkologieverband (SGGG) bestätigt die physische, aber auch psychischen Belastung nach einer Fehl- oder Totgeburt: «Je später in der Schwangerschaft, desto mehr nimmt es den Körper in Anspruch – die Auswirkungen auf die Psyche dürfen dabei aber nicht vergessen werden.» Diese seien auch weniger stark an die Schwangerschaftsdauer gekoppelt. «Auch bei einem frühen Verlust kann eine betroffene Person und die Familie stark leiden», so ein Sprecher des SGGG.
SVP-Gutjahr: «Gesetze müssen irgendwo Grenzen ziehen»
Gegen eine Gesetzesanpassung ist hingegen SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr. Sie ist selbst Mutter und könne gut nachvollziehen, wie einschneidend eine Fehl- oder Totgeburt für Frauen, aber auch Männer ist, sagt sie zu 20 Minuten. «Dennoch müssen Gesetze irgendwo eine Grenze ziehen.» Deshalb hat sie bisher jeden Vorstoss im Nationalrat abgelehnt.

Die SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr betont, dass mehr bezahlte Urlaubstage automatisch höhere Kosten verursachen würden.
20min/Matthias Spicher«Ich finde nicht, dass der Staat für alles aufkommen muss. Mehr bezahlte Urlaubstage würden automatisch höhere Kosten verursachen, die letztlich über die Prämien finanziert werden müssten.» Zudem, betont Gutjahr, bestehe bereits jetzt die Möglichkeit, sich bei Bedarf krankschreiben zu lassen, wenn eine Fehlgeburt vor der 23. Schwangerschaftswoche erfolgt. Trotzdem hält sie es für sinnvoll, dass der Bundesrat die aktuelle Situation analysiert und dazu einen Bericht verfasst.
Schweizerischer Arbeitgeberverband: «Gesetzlicher Urlaub würde Aufwand erhöhen ohne Mehrwert»
Ähnlich sieht das der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV). Bei aller Betroffenheit lehnt er die Einführung eines erweiterten Anspruchs auf Trauertage ab, sagt Barbara Zimmermann-Gerster, Ressortleiterin Sozialpolitik und Sozialversicherungen. Sie betont: «In der Schweiz bestehen bereits heute gesetzliche Regelungen sowie individuelle Lösungen auf betrieblicher Ebene, um betroffene Arbeitnehmende zu unterstützen.»

Barbara Zimmermann-Gerster des Schweizerischen Arbeitgeberverbands argumentiert, dass ein zusätzlicher gesetzlicher Urlaub mehr Aufwand als Mehrwert bringen würde.
20min/Matthias SpicherEine Änderung sei aus Sicht des SAV deshalb nicht notwendig. «Ein zusätzlicher gesetzlicher Urlaub würde den administrativen Aufwand für die Unternehmen erhöhen, ohne dass ein klarer Mehrwert erkennbar wäre», so Zimmermann-Gerster.
Sollten Frauen nach einer Fehlgeburt bezahlte Trauertage erhalten, unabhängig von der Schwangerschaftswoche?
Hast du oder hat jemand, den du kennst, ein Kind verloren?
Hier findest du Hilfe:
Kindsverlust.ch, Beratung bei Kindstod vor, während und nach Geburt
Himmelskind.ch, für Akuthilfe und Trauerbegleitung
SIDS, nach plötzlichem Kindstod
Verein Regenbogen Schweiz, Hilfe für trauernde Familien
Mein-Sternenkind.ch, für betroffene Väter, Familien, Angehörige
Lifewith.ch, für betroffene Geschwister
Appella, Telefon- und Onlineberatung bei früher Fehlgeburt
Pro Pallium, Trauergespräche und Trauertreffen
Seelsorge.net, Angebot der reformierten und katholischen Kirchen
Muslimische Seelsorge, Tel. 043 205 21 29
Jüdische Fürsorge, info@vsjf.ch
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