StudieGefährden intolerante Linke die Demokratie?
Linke sind anderen Meinungen gegenüber intoleranter als Rechte, zeigt eine Studie. Laut Politologe Michael Hermann ist diese Haltung Gift für die Stimmung im Land.
Darum gehts
Linke rühmen sich oft mit Toleranz. Geht es um andere Meinungen, sind Rechte laut einer neuen Studie aber oft toleranter als Linke.
Juso-Präsident Nicola Siegrist verteidigt die Haltung der Linken: «Gewisse Ansichten der Rechten sind inakzeptabel und mit allen Mitteln zu bekämpfen.»
Bestätigt sieht sich JSVP-Präsident David Trachsel: «Die Linken meinen, die Wahrheit gepachtet zu haben, und schaden so der Demokratie.»
Auch Politologe Michael Hermann glaubt, dass unter der Intoleranz gegenüber anderen Meinungen der politische Diskurs leidet.
Geht es um andere Meinungen, sind Linke intoleranter als Rechte. Dieses Fazit zieht eine grosse Studie in zehn europäischen Ländern. Die Schweiz ist zwar nicht dabei, Politologe Michael Hermann sagt aber, die Erkenntnisse würden in der Schweiz wohl ähnlich ausfallen.
Nicola Siegrist, Präsident der Juso, wehrt sich gegen den Vorwurf der Intoleranz. Aus zwei Gründen: «Erstens ist nicht klar, inwieweit sich die Erkenntnisse aus der Studie überhaupt auf die Schweiz anwenden lassen. Und zweitens sind wir sehr tolerant gegenüber anderen Lebensentwürfen. Intolerant sind wir nur, wenn eine ‹Meinung› Menschen ihre Existenzberechtigung abspricht oder klare Fakten verneint.»
«Werde gewisse Ansichten der Rechten mit allen Mitteln bekämpfen»
Siegrist nennt Beispiele: «Wenn die Rechten den Klimawandel verneinen oder herunterspielen, ist das keine Meinung, die ich akzeptieren kann. Auch wenn sie Abtreibungsrechte angreifen oder gegen trans oder non-binäre Menschen, werde ich diese Meinung nie akzeptieren und mit harten Bandagen bekämpfen.» Anders formuliert: «Man kann und darf Meinungen nicht verbieten. Trotzdem werde ich gewisse Ansichten der Rechten mit allen Mitteln bekämpfen.»
Dass eine Polarisierung stattfindet, ist für Siegrist eine logische Folge, weil sich Krisen zuspitzten. «Die Meinungen der Pol-Parteien werden deswegen auch extremer.» Siegrist räumt aber ein: «Mit so verhärteten Fronten wird es im Alltag schwieriger, nuancierte Diskussionen zu führen. Dafür fehlt oft der Rahmen.»
«Linke schaden der Demokratie»
Bestätigt sieht sich JSVP-Präsident David Trachsel: «Die Erkenntnisse kann ich aus persönlichen Erfahrungen bestätigen. Bei vielen Themen verhalten die Linken sich so, als hätten sie die Wahrheit gepachtet.» Gerade beim Thema Wokeness: «Mit Shitstorms und Klagen versuchen die Linken, Andersdenkende auszugrenzen und zu diffamieren.»
Das schadet laut Trachsel der politischen Debattenkultur und letztlich der Demokratie: «Es findet eine Zensur statt, Meinungen werden einfach ‹gecancelt›. Viele fühlen sich von der Politik nicht mehr verstanden und abgeholt.» Trachsel plädiert dafür, das Meinungsspektrum zu öffnen. «Eine freie Gesellschaft muss radikal andere Meinungen aushalten. Das würde dazu beitragen, dass Kompromisse gefunden werden, die von einem grösseren Teil der Gesellschaft mitgetragen werden.»
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Gift für die Stimmung im Land
Politologe Michael Hermann glaubt, dass unter der linken Intoleranz gegenüber anderen Meinungen der politische Diskurs in der Gesellschaft leidet: «Viele Linke sind überzeugt, auf der richtigen Seite zu stehen, was die Gefahr birgt, Gegner pauschal als Feinde zu betrachten und deren Meinung gar nicht mehr als solche zu akzeptieren. Die Gegner gilt es möglichst aggressiv zu attackieren.»
Ursprung seien zwar oft Attacken auf Minderheiten von rechts etwa von Andreas Glarner. Bei Kulturkampf-Themen akzeptieren linke Wortführer in den sozialen Netzen aber oft auch gemässigtere Positionen nicht mehr. «Politische Diskussionen werden schrill und aufgeladen geführt». Nur wer Teil eines klaren Lagers ist, äusserst sich, andere verstummen. Dieses Aufschaukeln sei Gift für die Stimmung im Land.
Mitte-Parteien schlagen Brücken
Für die Linken sei das überdies oft kontraproduktiv: «Anstatt Menschen, die irgendwo dazwischenstehen, zu überzeugen, drängen sie sie mit ihrer Intoleranz weiter nach rechts.»
Dass die Demokratie in der Schweiz nach wie vor gut funktioniert, hat laut Hermann mit den Parteien zwischen den Polen zu tun: «Sie schaffen es, in Bundesbern zwischen extremen Meinungen Brücken zu schlagen.» Hermann warnt aber: «Wenn die Linke den politischen Gegnern nicht mehr zusteht, eine eigene Meinung und eigene Perspektiven zu haben, dann beschädigt das die offen Gesellschaft.» Am Schluss helfe das wiederum der Rechten, die wie in den USA oder Ungarn den Kulturkampf dazu nütze, Rechte von Minderheiten einzuschränken.
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