Potsdam: Preisgekrönte «Correctiv»-Recherche wird kritisiert

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Geheimtreffen in PotsdamPreisgekrönte «Correctiv»-Recherche wird scharf kritisiert

Ein Bericht des Medienportals «Übermedien» hinterfragt die Correctiv-Recherche über ein Treffen von Konservativen und Rechtsextremen in Potsdam, das zu grossen Protesten führte. Kritisiert werden fragwürdige Schlussfolgerungen und fehlende Beweise.

In diesem Haus in Potsdam haben sich vergangenes Jahr Politiker und Vertreter der rechtsextremen Szene getroffen.
Eine Recherche von «Correctiv» hatte Hunderte Demos gegen Rechts zur Folge.
Nun wird der Bericht kritisiert. Übermedien bemängelt verschiedenste Punkte der Recherche.
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In diesem Haus in Potsdam haben sich vergangenes Jahr Politiker und Vertreter der rechtsextremen Szene getroffen.

DPA

Darum gehts

  • Die «Correctiv»-Recherche über ein geheimes Treffen von Konservativen und Rechtsextremen in Potsdam führte deutschlandweit zu Protesten. Nun kritisiert das Medienportal «Übermedien» den Bericht.

  • Er präsentiert Untersuchungen statt Fakten und Interpretationen statt Dokumentationen.

  • Zum Beispiel wird bemängelt, dass der Bericht unzulässige Schlüsse zieht, wie etwa die Behauptung, es gäbe einen Masterplan zur Ausweisung von deutschen Staatsbürgern ohne ausreichende Belege.

  • Ebenfalls wird die mangelnde kritische Auseinandersetzung anderer Medien mit der «Correctiv»-Recherche kritisiert.

«Geheimplan gegen Deutschland» ist der Titel eines Textes, der Anfang dieses Jahres in Deutschland Hunderttausende zu «Demos gegen Rechts» auf die Strasse getrieben hatte. Die Correctiv-Recherche berichtete über ein Treffen von Konservativen und Rechtsextremen in Potsdam und wurde erst kürzlich mit dem «Leuchtturm»-Preis des «Netzwerk Recherche» ausgezeichnet.

Ein Bericht im medienkritischen Magazin «Übermedien» zeichnet jetzt aber ein anderes Bild: «Der Correctiv-Bericht verdient nicht Preise, sondern Kritik – und endlich eine echte Debatte», lautete die Überschrift. Im Wesentlichen werden folgende Punkte kritisiert:

Unterstellungen statt Belege

Die Correctiv-Recherche «unterstellt, statt zu belegen, verärgert, statt zu erklären, interpretiert, statt zu dokumentieren». Die Recherche habe zwar klar gezeigt, dass rechte Ideen von Bürgerlichen diskutiert werden. Doch zum Beispiel beim zentralen Begriff «Remigration» und bei Martin Sellners Vortrag darüber habe Correctiv kaum zitiert, aber viel interpretiert. Den Gedanken einer Deportation deutscher Staatsbürger habe man «über eine Spekulationskaskade» in den Bericht geschmuggelt. Es wurde unterstellt, dass es verfassungsfeindliche Deportationspläne gäbe. Die Belege dafür hätten jedoch gefehlt.

Martin Sellner gilt als Schlüsselfigur beim Geheimtreffen in Potsdam. Dieses Bild zeigt ihn in der Schweiz.

Martin Sellner gilt als Schlüsselfigur beim Geheimtreffen in Potsdam. Dieses Bild zeigt ihn in der Schweiz.

Screenshot Telegram

Mangelhafte Zitierungen

Weiter wird kritisiert, dass die Verfasser des Berichts zwar versprächen, das Treffen von Potsdam «genau zu rekonstruieren», das aber nicht einhielt: «Viele Passagen wirken, als habe ein Reporter vor dem Tagungsraum gesessen und notiert, was hinauswehte, wann immer die Tür aufging. Sellner, die Hauptfigur des Treffens, wird nur ein einziges Mal mit einem vollständigen Satz zitiert.»

Gross deuten, was nicht belegt ist

Ungenauigkeiten finden sich laut Übermedien bereits im Lead des Textes. Dieser lautete: «Hochrangige AfD-Politiker, Neonazis und finanzstarke Unternehmer kamen im November in einem Hotel bei Potsdam zusammen. Sie planten nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland.» Auf Nachfrage räumte Correctiv ein, dass der Organisator Gernot Mörig und Martin Sellner einen Plan verfolgten. «Das Werben von zwei Personen für einen ‹Plan› wird zur Planung aller Teilnehmer», so Übermedien.

Zu Übermedien

Das Medienportal Übermedien, gegründet vom Journalisten Stefan Niggemeier, berichtet kritisch über die Arbeit der Medien. Den Beitrag zur Correctiv-Recherche hat der Gründer zusammen mit Christoph Kucklick, dem ehemaligen Chefredaktor der Zeitschrift «Geo», und Felix W. Zimmermann, dem Chefredaktor von «Legal Tribune Online» (LTO) und ehemaligem Rechtsexperten von ZDF, geschrieben.

Unzulässige Schlüsse

Der Correctiv-Bericht soll Schlüsse ziehen, die durch die Recherche nicht belegt werden. Im Tatsachenteil heisse es zum Beispiel, dass Sellner behauptete, er wolle Menschen «nicht gesetzeswidrig ausweisen», sondern «nicht assimilierte» Deutsche durch Druck zum Auswandern bringen. Das ist laut Übermedien eine rechtsradikale Idee, aber ein «völlig anderer Sachverhalt». Dennoch endete «Correctiv» den Bericht mit der Aussage: «Es bleiben zurück: (…) ein ‹Masterplan› zur Ausweisung von deutschen Staatsbürgern, also ein Plan, um die Artikel 3, Artikel 16 und Artikel 21 des Grundgesetzes zu unterlaufen.» Die Recherche fasse also etwas zusammen, das von den offiziellen Ausführungen nicht getragen sei.

Ein weiteres Beispiel: Correctiv schrieb: «Im Grunde laufen die Gedankenspiele an diesem Tag alle auf eines hinaus: Menschen sollen aus Deutschland verdrängt werden können, wenn sie die vermeintlich falsche Hautfarbe oder Herkunft haben – und aus Sicht von Menschen wie Sellner nicht ausreichend ‹assimiliert› sind.» Im Tatsachenteil gebe es aber keine entsprechenden Sellner-Zitate, die diese rassistischen Faktoren ausdrücklich nennen. Correctiv habe auf Anfrage von Übermedien gesagt, dass dieser Schluss eine eigene Wertung sei. Sellner sei darin geübt, rassistische Ideen durch wohlklingende Begriffe zu verdecken. Obwohl diese Interpretation, so Übermedien, wohl korrekt sei, fehle es dem Bericht an hinreichenden Belegen, um seine wahren Absichten zu untermauern.

Nur wenige Medien hätten den Correctiv-Bericht kritisch beleuchtet, was laut Übermedien auf eine mangelnde Distanz zurückführen sei. Ein Grund: Die Wirkung der Recherche, die Demos gegen Rechts, würde von vielen begrüsst, und man möchte diese nicht gefährden, indem man den Bericht kritisiert.

Nur wenige Medien hätten den Correctiv-Bericht kritisch beleuchtet, was laut Übermedien auf eine mangelnde Distanz zurückführen sei. Ein Grund: Die Wirkung der Recherche, die Demos gegen Rechts, würde von vielen begrüsst, und man möchte diese nicht gefährden, indem man den Bericht kritisiert.

IMAGO/Markus Matzel

Interpretation wird für andere Medien zur Gefahr

Viele Medien zitierten die Correctiv-Recherche. Doch: Das Hanseatische Oberlandesgericht habe dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) untersagt, auf Tagesschau.de zu schreiben, dass in Potsdam auch über die Ausweisung von deutschen Staatsbürgern diskutiert worden sei. Der Sender habe diesen Umstand nicht beweisen können, sondern «lediglich auf Zeitungsartikel und Mitteilung von Correctiv verwiesen.» Festgehalten werden muss aber, dass die gerichtliche Feststellung der Interpretation des Correctiv-Berichts durch die «Tagesschau» gilt. Das Gericht liess offen, ob Correctiv selbst unwahr berichtete.

Fehlende Distanz linksliberaler Medien

Nur wenige Medien hätten den Correctiv-Bericht kritisch beleuchtet, was Übermedien auf eine mangelnde Distanz zurückführt. Da viele Redaktionen eng mit Correctiv zusammenarbeiten, entstünden «Abhängigkeiten und Beisshemmungen». Zudem glauben die Autoren, dass die Recherche nur selten hinterfragt wurde, um nicht «den falschen Leuten in die Hände zu spielen». Die Demos gegen Rechts würden von vielen begrüsst, und man möchte diese nicht gefährden, indem man den Bericht kritisiert. Das führe aber dazu, dass rechtspopulistische Medien die entstandene Lücke nutzen, um verzerrte Berichte zu verbreiten und das Schweigen der anderen Medien auszuschlachten.

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