Antisemitismus«Geht nach Auschwitz» – das erleben jüdische Kinder beim Fussball
Fälle von Antisemitismus haben 2022 weiter zugenommen. Das spüren selbst Kinder beim Fussballspielen.
Darum gehts
Antisemitismus-Fälle haben 2022 zugenommen.
Auch Kinder, die Fussball spielen, bekommen das zu spüren. So berichtet der jüdische FC Hakoah von Vorfällen im letzten Herbst.
Nicht nur handfeste Fälle von Antisemitismus gebe es, sagt der Junioren-Obmann, sondern immer wieder auch halbversteckte Andeutungen.
Feindseligkeiten gegenüber Juden nehmen zu. 2022 hat der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) eine Zunahme der antisemitischen Vorfälle in der Schweiz registriert (siehe Box), nachdem die Zahl der Fälle schon 2021 drastisch gestiegen ist. Die teils offen demonstrierte Judenfeindlichkeit bekommen auch Kinder und Jugendliche zu spüren, etwa die Junioren-Spieler des jüdischen Zürcher Fussballclubs FC Hakoah.
Im Herbst 2022 gab es zwei Vorfälle, die ihn und den Club nachdenklich gestimmt hätten, berichtet Junioren-Obmann Martin Frenkel gegenüber 20 Minuten. In einem Fall warteten die neun- bis zehnjährigen Hakoah-Spieler nach einem Match und nach dem Umziehen auf die Eltern, als ein Spieler der gegnerischen Mannschaft gesagt habe: «Hitler hätte euch alle vergasen sollen.»
Bericht
Antisemitische Vorfälle haben zugenommen
Auch 2022 haben die Vorfälle von Antisemitismus zugenommen - nach einer massiven Steigerung im Jahr 2021. Das zeigt der Antisemitismus-Bericht des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG) und der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA). Die realen Vorfälle haben von 53 auf 57 zugenommen. Die Vorfälle im Online-Bereich stiegen von 806 auf 853, was eine Zunahme von sechs Prozent bedeutet. Erstmals seit 2018 wurde dem SIG eine Tätlichkeit vermeldet. Verantwortlich für die Zunahme sei eine verschwörungsaffine Subkultur, die mit Corona entstanden sei, schreibt der SIG in seiner Medienmitteilung. 75 Prozent der Online-Vorfälle seien dieser Subkultur zuzuordnen. Der SIG und die GRA fordern von der Politik, dass sie auf Social-Media-Kanäle, insbesondere Telegram, einwirke, damit solche Hassbotschaften unterbunden werden.
Eine ähnliche Situation, ein paar Wochen später, bei einem anderen Team. Die elf- bis zwölfjährigen Fussballer versammelten sich nach einem Spiel, als einer rief: «Auschwitz, Auschwitz, gönd zrugg nach Auschwitz!»
Als die Eltern der betroffenen Kinder sich bei ihm meldeten, war Martin Frenkel zunächst fassungslos. «Dass Kinder mit solchen Begriffen um sich werfen, ist absurd. Irgendwoher haben sie das.» Im ersten Fall zeigte sich der gegnerische Fussball-Club sehr kooperativ und versprach, der Sache auf den Grund zu gehen. «Ich weiss nicht, was sie dann schliesslich gemacht haben. Doch ich hatte den Eindruck, dass sie die Sache ernst nehmen», sagt Frenkel. Anders beim zweiten Fall, bei dem die Verantwortlichen des anderen Clubs die Sache herunterspielten. Der «Auschwitz»-Spruch sei nicht so gemeint, auf dem Fussballplatz gehe es manchmal eben grob zu und her, wurde Frenkel beschieden. Daraufhin erstattete er Meldung an den SIG sowie an den Fussballverband Region Zürich. Beide Fussballclubs sind im Grossraum Zürich beheimatet, 20 Minuten sind die Namen bekannt.
Halbversteckter Antisemitismus
Der Antisemitismus sei heute anders, salonfähiger - auch auf dem Fussballplatz, sagt Frenkel. Zu seiner Jugendzeit in den Achtzigerjahren hätten ab und zu Väter von gegnerischen Spielern am Rande des Fussballplatzes «Saujude» gerufen. So etwas gebe es heute kaum mehr. Dafür eben Antisemitismus unter Jugendlichen. Nicht nur handfeste Vorfälle wie im vergangenen Herbst, sondern immer wieder auch halbversteckte Feindseligkeiten während oder nach dem Spiel, wie beispielsweise «Ihr könnt euch sowieso nicht anpassen» oder «Ihr seid ja immer in der Opferrolle».
Der FC Hakoah empfehle den Trainern, vor einem Match mit dem Trainer des anderen Clubs das Gespräch zu suchen, sich und den Club vorzustellen und klarzumachen, dass Antisemitismus eine rote Linie sei. «Fällt das Wort ‹Saujude›, brechen wir das Spiel ab und gehen heim.» Das sei aber noch nie vorgekommen, sagt Frenkel.
Hast du schon Antisemitismus beobachtet?
Willi Scramoncini vom Fussballverband Region Zürich, der die Meldung zum «Auschwitz»-Vorfall im letzten Herbst entgegengenommen hat, sagt: «Wir haben eine gute Zusammenarbeit mit dem FC Hakoah, wir sind im Austausch, ich war kürzlich auch zu Gast beim 100-Jahr-Jubiläum des Fussballclubs.» Er bestätigt den Vorfall vom letzten Herbst, bei dem jugendliche Spieler eines anderen Zürcher Clubs «Gönd zrugg nach Auschwitz» gerufen haben. Man habe diesen Fall geklärt. «Die Clubs konnten das untereinander bereinigen und es gab eine Entschuldigung.»
Faires Verhalten werde bei den Mitgliedern des Fussballverbands Region Zürich gross geschrieben. Allgemeine Regeln gebe es jedoch nicht, jeder Fall müsse individuell angeschaut und gelöst werden, sagt Willi Scramoncini.
Zeichen gegen Rassismus: Match mit Teams aus FC Kosova und FC Hakoah im November 2021.
Alina Müller/20minKeine News mehr verpassen
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