GewässerschutzFenaco-Bauern-Connection: Das ist die neue Pestizid-Lobby
Eine neue Pestizid-Lobby ist im Bundeshaus aktiv, wie eine Recherche der «NZZ am Sonntag» zeigt. Nach einem ersten Erfolg legen nun Winzerin Katja Riem (SVP) und Fenaco-Verwaltungsrätin Johanna Gapany nach.
Darum gehts
Eine neue Pestizid-Lobby will im Bundeshaus den Gewässerschutz lockern. Dies zeigte eine Recherche der «NZZ am Sonntag».
Bereits auf offene Ohren bei Bundesrat Albert Rösti (SVP) stiess ein Vorstoss von Leo Müller (Mitte), wonach die Zulassung eines Pestizids erst überprüft werden soll, wenn ein Giftstoff bei 20 Prozent (heute zehn Prozent) der Gewässer über dem Grenzwert liegt.
Vor wenigen Tagen reichten zudem SVP-Nationalrätin Katja Riem und FDP-Ständerätin Johanna Gapany je einen Vorstoss ein, um die Messmethode der Schweiz für Pestizide jener der EU anzugleichen.
Katja Riem ist SVP-Nationalrätin und Winzerin. Johanna Gapany ist FDP-Ständerätin, Bauerntochter und sitzt im Verwaltungsrat des Fenaco-Konzerns, einem der wichtigsten Importeure und Verkäufer von Pflanzenschutzmitteln. Eine Recherche der «NZZ am Sonntag» zeigt: Die beiden Frauen gehören zu einer informellen Gruppe von Parlamentariern rund um SVP-Nationalrat Hans Jörg Rüegsegger, die den Gewässerschutz aufweichen will.
Pestizide in Schweizer Gewässern
Pestizide belasten viele Bäche und Flüsse in der Schweiz. Vor allem im Mittelland, wo es viel Landwirtschaft gibt. Laut dem Monitoring der eidgenössischen Wasserforschungsanstalt (Eawag) von 2024 wurden die Grenzwerte in über der Hälfte der Messstellen überschritten.
Letzte Woche reichten die beiden Frauen einen Vorstoss ein, der die Messmethode der Schweiz für Pestizide jener der EU anpassen will. Dies würde eine Abschwächung des heutigen Regimes bedeuten. Während Riem auf Anfrage von 20 Minuten bestätigt, der Gruppe anzugehören, bestreitet Gapany dies: «Ich bin unabhängig und verteidige die sichere Produktion von Nahrungsmitteln, ohne jeglichen Druck von aussen», sagt sie.
Kehrtwende beim Gewässerschutz
Auch Nationalrat Leo Müller (Mitte) sagt auf Anfrage, er gehöre nicht zur Gruppe. Dabei hat diese ihm ihren ersten Erfolg zu verdanken. Ende Februar beschloss der Bundesrat, den Gewässerschutz zu lockern, statt die Grenzwerte durchzusetzen. Dies geht aus seiner Antwort auf Müllers Motion hervor.
Bisher musste die Zulassung eines Pestizids überprüft werden, wenn es an zehn Prozent der Messstellen über dem Grenzwert gemessen wurde. Künftig soll das erst passieren, wenn ein Giftstoff bei 20 Prozent der Gewässer über der Grenze liegt. Die Kehrtwende ist eine Überraschung. Erst vor zwei Jahren hat der Bundesrat strengere Regeln für Pestizide eingeführt.
Katja Riem: «Es geht nicht ohne Pflanzenschutz»
«Mit den neuen Regeln ging in den letzten Jahren der Praxisbezug verloren», sagt Riem. Die zwei «kleinen Anpassungen» durch die Vorstösse aus der Gruppe würden mehr Realitätsnähe bringen: «Es geht nicht ohne Pflanzenschutz», so Riem. Als Winzerin ist sie besonders betroffen, da der Einsatz von Pestiziden bei Reben hoch ist. Sie beteuert, man wolle nicht den Gewässerschutz lockern, sondern die Prüfmethoden.
Das steckt hinter der neuen Pestizid-Lobby
Laut der «NZZ am Sonntag» hat sich im Bundeshaus eine Gruppe formiert, deren Mitglieder der heutige Gewässerschutz in der Schweiz zu weit geht. Von den sechs genannten Personen, bestätigen Hans Jörg Rüeggsegger (SVP), Katja Riem (SVP), Martin Hübscher (SVP) und Martin Haab (SVP) auf Anfrage von 20 Minuten die Mitgliedschaft, Johanna Gapany (FDP) und Leo Müller (Mitte) bestreiten sie. Gapany ist die Nachfolgerin von Müller im Fenaco-Verwaltungsrat, die vier SVP-Nationalrätin sind allesamt Landwirte.
Rüeggsegger sagt, er habe die «informelle» Gruppe kurz nach seiner Wahl in den Nationalrat im Oktober 2023 ins Leben gerufen: «Wir sind nicht gegen Gewässerschutz per se, sondern für gleich lange Spiesse mit dem Ausland», sagt Rüegsegger, der bis vor zwei Jahren auch Präsident des Berner Bauernverbands war. Den meisten ist nicht bewusst, dass die Schweiz teils Gemüse und Fleisch aus Ländern importiert, die Wirkstoffe einsetzen, die hier verboten sind.
Auch der jüngste Vorstoss von Nationalrätin Katja Riem (SVP) und Ständerätin Johanna Gapary (FDP) sei in der Gruppe vorbesprochen worden: «Dann haben wir geschaut, wer das Anliegen am besten vertreten kann.» Da es sich um eine informelle Gruppe handle, könne er keine Mitgliederzahlen nennen. Aber die im NZZ-Artikel genannten Personen seien sicher einmal dabei gewesen.
Denn: «Wenn nur noch wenige Wirkstoffe zugelassen sind, führt das zu Resistenzen und im schlimmsten Fall können Kulturen nicht mehr geschützt werden», so Riem. Bereits jetzt hätten die Bauern mit schrumpfenden Ernten zu kämpfen. «In der Schweiz sind die Regeln sehr viel strenger als in der EU. Wir müssen schauen, dass wir trotzdem noch Lebensmittel produzieren können.»
Hasan Candan (SP): «Krasser Wortbruch»
Die Kehrtwende unter Umweltminister Albert Rösti (SVP) kommt bei Fachleuten nicht gut an. «Das ist der falsche Weg. Wir müssen die Einträge senken und nicht die Grenzwerte erhöhen», sagte Georg Odermatt von 4Aqua, eine Interessengruppe von Wasserfachleuten, gegenüber der «NZZ am Sonntag». «Diese Stoffe und vor allem ihre Abbauprodukte sind oftmals sehr langlebig, und man bemerkt erst Jahre später, wie giftig sie für Mensch und Tier sind.»
Braucht es strengere Regeln bezüglich Pestiziden?
Heftig fällt auch die Kritik der Linken aus. Als «unerhört» bezeichnet die grünliberale Nationalrätin Kathrin Bertschy das Vorgehen gegenüber dem Sonntagsblatt: «Wenn die Landwirtschaft ihre Umweltziele nicht erreicht, werden sie einfach angepasst.» Das Vorgehen findet sie zudem demokratiepolitisch fragwürdig; die Verschärfung sei Teil des indirekten Gegenvorschlags zur Trinkwasserinitiative gewesen.
Auch SP-Nationalrat Hasan Candan findet: «Die Verschärfung schon wieder rückgängig zu machen, ist ein krasser Wortbruch.» Dass Mitglieder des Parlaments für gemeinsame Interessen zusammenspannen, sei kein Problem. Stossend sei der starke Einfluss der Landwirtschaftslobby: «Hier werden Partikularinteressen über das Gesamtwohl, etwa sauberes Trinkwasser, gestellt.»
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