Die Geschichte des Stinkefingers: Von Aristophanes bis Johnny Cash

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Gewusst?So wurde der Mittelfinger zum Stinkefinger

Der Mittelfinger gilt in vielen Kulturen als Beleidigung. Doch warum ist ausgerechnet dieser Finger der «Stinkefinger»? Und seit wann hat er diesen Ruf?

Dieser heute nicht mehr so kleine Junge wurde als <strong>«Middle finger kid»</strong>-Meme weltbekannt. Entstanden ist das Foto 2002 beim Uefa-Cup-Finale im niederländischen Rotterdam.
Der ehemalige US-Tennisprofi <strong>Jimmy Connors</strong> machte 1977 in Wimbledon seinen Unmut mit einem Stinkefinger hinter dem Rücken deutlich.
Auch von US-Sängerin <strong>Pink</strong> kennt man den Mittelfinger. (Im Bild: Pink bei einem Auftritt in Halle/Westfalen, 2007)
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Dieser heute nicht mehr so kleine Junge wurde als «Middle finger kid»-Meme weltbekannt. Entstanden ist das Foto 2002 beim Uefa-Cup-Finale im niederländischen Rotterdam.

Imago

Darum gehts

  • Während das Victory-Zeichen eine positive Bedeutung hat, ist der ausgestreckte Mittelfinger eine Beleidigung.

  • Der Stinkefinger hat eine lange Geschichte: Diese reicht zurück ins antike Griechenland.

  • Erstmals mit einer Kamera festgehalten wurde die Geste im Jahr 1886 in New York.

Sport- und Popstars zeigen ihn, auch Politikerinnen und Politiker wurden schon dabei gesehen und auch du hast ihn sicher schon einmal gezeigt: den Stinkefinger.

Der Mittelfinger lässt sich schnell ausstrecken, ist aber eine handfeste Beleidigung, die sogar ahndbar ist. Weil sie einem Arbeitskollegen den Finger zeigte, wurde eine Frau vergangenes Jahr zur Zahlung von 1100 Franken verdonnert. Doch wo hat die berühmt-berüchtigte Geste eigentlich ihren Ursprung?

Auch in der Kunst taucht der Stinkefinger immer wieder auf: Etwa in der Foto-Serie «Study of Perspective» von Ai Weiwei. Die dazugehörigen Bilder sind alle gleich aufgebaut: Der Künstler fotografierte seinen Stinkefinger dafür jeweils an Orten und Symbolen, die für politische und nationale Macht stehen, darunter das Weisse Haus und der Eiffelturm. Das erste Bild wurde 1995 auf dem Tian'anmen-Platz in Peking aufgenommen. (Im Bild: Das Sujet auf Skateboards, eine Limited Edition)

Auch in der Kunst taucht der Stinkefinger immer wieder auf: Etwa in der Foto-Serie «Study of Perspective» von Ai Weiwei. Die dazugehörigen Bilder sind alle gleich aufgebaut: Der Künstler fotografierte seinen Stinkefinger dafür jeweils an Orten und Symbolen, die für politische und nationale Macht stehen, darunter das Weisse Haus und der Eiffelturm. Das erste Bild wurde 1995 auf dem Tian'anmen-Platz in Peking aufgenommen. (Im Bild: Das Sujet auf Skateboards, eine Limited Edition)

20min/Fee Anabelle Riebeling

Stinkefinger: Geste ist fast 2500 Jahre alt

Bereits im antiken Griechenland wurde der Mittelfinger zur Beleidigung genutzt. Erste Überlieferungen stammen aus dem vierten Jahrhundert vor Christus. Einer, der den «langen Finger» mehrfach in seinen Werken erwähnte, war der griechische Komödiendichter Aristophanes. Sein Zeitgenosse, der Philosoph Diogenes von Sinope, soll Besuchern Athens, die nach dem Redner und Staatsmann Demosthenes fragten, den ausgestreckten Mittelfinger präsentiert und dabei gerufen haben: «Hier, da habt ihr euren Demagogen.»

Fingerstellung symbolisierte einst Penis und Hoden

Nett gemeint war die Geste schon damals nicht, so der Anthropologe Desmond Morris 2012 zur BBC: «Es ist eine der ältesten bekannten Beleidigungen.» Der ausgestreckte Finger «symbolisiert den Penis und die gekrümmten Finger daneben die Hoden». Durch diese Geste zeige man jemandem ein phallisches Symbol an. Das stelle «eine sehr primitive Art der Provokation dar».

Hand aufs Herz: Wie oft zeigst du den Stinkefinger?

Von den Griechen zu den Römern

Die Mittelfinger-Geste war auch im alten Rom bekannt. Ihr Name dort: Digitus impudicus, was so viel wie schamloser oder unverschämter Finger bedeutet. Der Dichter Martial (40–103/104 n. Chr.) erwähnte ihn gleich mehrfach in seinen Spottgedichten. Etwa im Epigramm 6.70, das von einem alten, aber kerngesunden Mann handelt. Darin heisst es: «Er zeigt den Finger, aber den unanständigen» («Ostendit digitum sed inpudicum»). Und zwar in Richtung seiner Ärzte.

In einem anderen (2.28) taucht der Stinkefinger auch in sexuellem Kontext auf: «Du sollst denjenigen herzhaft auslachen, Sextillus, der dich einen Lustmolch genannt hat, und (ihm) den Mittelfinger zeigen» («Rideto multum, qui te, Sextille, cinaedum dixerit et digitum porrigito medium»). Eine sexuelle und zudem erniedrigende Komponente hat laut dem Anthropologen Morris auch das Handeln von Kaiser Caligula (12–41 n. Chr.) gehabt. Dem römischen Schriftsteller Sueton zufolge soll er seine Untertanen gezwungen haben, stellvertretend für seinen Penis seinen Mittelfinger zu küssen.

Manchen Quellen zufolge sollen sich römische Strichjungen auf den Strassen zu erkennen gegeben haben, indem sie den Mittelfinger in ihr Kopfhaar schoben. Eindeutig belegen lässt sich das jedoch nicht.

Wie wurde der Stinkefinger einst gehalten?

Unbestritten ist, dass die alten Griechen und Römer den Mittelfinger zeigten. Unklar ist dagegen, ob sie ihn – wie heute üblich – mit dem Handrücken auf die angesprochene Person gerichtet hochstreckten, wie Max Nelson, Spezialist für klassische Zivilisation an der kanadischen Windsor University, 2017 in einem Artikel schrieb. Möglicherweise streckten sie den unverschämten Finger auch in andere Richtungen aus.

Im Mittelalter war der Stinkefinger kein Thema

Im Mittelalter wurde der ausgestreckte Mittelfinger deutlich weniger gezeigt. Laut Forschenden dürfte dies auf den wachsenden Einfluss der katholischen Kirche und ihre Missbilligung sexueller Gesten zurückzuführen sein. Ganz weg war er jedoch nie. Ein richtiges Comeback feierte er aber Mitte des 20. Jahrhunderts. Warum, ist nicht gänzlich geklärt. Eine These besagt: «In diesem Jahrhundert sind die Schicklichkeitsgrenzen enorm gesunken, in diesem Zusammenhang muss die Geste wieder ihren Platz im Alltag der Menschen gefunden haben», zitiert Aerzteblatt.de den Berliner Kulturanthropologen Reinhard Krüger.

Im Jahr 2013 sorgte der tschechische Künstler David Černý für einen Eklat, als er einen überdimensionierten Stinkefinger auf der Moldau gegenüber der Prager Burg – dem Amtssitz des tschechischen Präsidenten Miloš Zeman – positionierte.

Im Jahr 2013 sorgte der tschechische Künstler David Černý für einen Eklat, als er einen überdimensionierten Stinkefinger auf der Moldau gegenüber der Prager Burg – dem Amtssitz des tschechischen Präsidenten Miloš Zeman – positionierte.

imago stock&people

Erster Fotobeweis stammt aus dem Jahr 1886

Das erste Foto vom Stinkefinger entstand am 29. April 1886 im Polo Grounds Stadium in Manhattan. Es war der Eröffnungstag der Major-League-Baseball-Saison und die Spieler der Boston Beaneaters und der New York Giants posierten gemeinsam für ein Foto. Dem Pitcher der Beaneaters, Charles Radbourn, schien das nicht zu passen. Mit grimmiger Miene streckte er dem Fotografen seinen linken Mittelfinger entgegen:

Voilà, der erste auf Foto gebannte Stinkefinger.
Er ist hier links im Bild zu sehen, auf dem Spieler der Boston Beaneaters und New York Giants zu sehen sind.
In die Kamera hält sie Charles «Old Hoss» Radbourn von den Boston Beaneaters.
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Voilà, der erste auf Foto gebannte Stinkefinger.

Getty Images

Laut Morris kam der Mittelfinger wahrscheinlich mit italienischen Einwanderern in die USA. Von dort aus dürfte er – wie so vieles – um die ganze Welt gegangen sein. So wurde etwa der Stinkefinger, den der Sänger Johnny Cash bei einem Auftritt im San Quentin State Prison 1969 in die Kamera hielt, weltberühmt.

Dieses Bild schrieb Musikgeschichte: Sänger Johnny Cash zeigte mit seinem ausgestreckten Mittelfinger, was er vom Fotografen Jim Marshall hielt, der ihm zu aufdringlich war.

Dieses Bild schrieb Musikgeschichte: Sänger Johnny Cash zeigte mit seinem ausgestreckten Mittelfinger, was er vom Fotografen Jim Marshall hielt, der ihm zu aufdringlich war.

Screenshot Youtube/tightbastard

Stinkefinger als «hawaiianisches Glückszeichen»

Auch die Stinkefinger, die die US-Geiseln der von Nordkorea gekaperten USS Pueblo (siehe Box) in die Kamera hielten, fanden weite Verbreitung.

Die Geschichte hinter dem «hawaiianischen Glückszeichen»

Im Januar 1968 kaperten die Nordkoreaner das amerikanische Aufklärungsschiff USS Pueblo und nahmen Teile der Besatzung als Geiseln. Die 82 Männer wurden über elf Monate gefangen gehalten. Nordkorea behauptete, das Schiff habe seine Hoheitsgewässer verletzt, was die USA bestritten. Der Vorfall führte zu erheblichen Spannungen zwischen den USA und Nordkorea. Die Besatzung wurde nach langen Verhandlungen am 23. Dezember 1968 freigelassen, das Schiff selbst blieb jedoch bis heute in nordkoreanischer Hand und wird in Pjöngjang als Trophäe ausgestellt.

Die Schiffsbesatzung hatte während ihrer Gefangenschaft mitbekommen, dass die Nordkoreaner die Bedeutung des ausgestreckten Mittelfingers nicht kannten, verkauften ihnen diese als hawaiianisches Zeichen für Glück und zeigten ihn auf Fotos. So drückten sie aus, was sie von der nordkoreanischen Propaganda hielten, die die Männer als geständige und reuige Spione darstellte.

Die 1968 von den Nordkoreanern monatelang festgehaltenen US-Geiseln nutzten den Stinkefinger als Waffe.
Die Soldaten zeigten den Mittelfinger, um verdeckt gegen ihre Gefangenschaft in Nordkorea und die Propaganda über ihre Behandlung und Schuld zu protestieren. (Screenshot aus dem «Time Magazine», 1968)
Die Nordkoreaner fotografierten sie monatelang, ohne die wahre Bedeutung des Mittelfingerzeichens zu kennen, während die Soldaten erklärten, dass das Zeichen auf Hawaii Glück bedeutet.
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Die 1968 von den Nordkoreanern monatelang festgehaltenen US-Geiseln nutzten den Stinkefinger als Waffe.

Wikimedia Commons/PD

Weitere berühmte Stinkefinger findest du in der Bildstrecke ganz oben.

Warum Lauren Wagner aus Kanada ausnahmslos allen Menschen den Mittelfinger zeigt, erfährst du hier.

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