WahlkampfGlättli exklusiv – Grüne erzwingen Volksabstimmung zur Solarpflicht
Bei Umfragen sind die Grünen die grossen Wahlverlierer. Ein Minus von 2,5 Prozent prophezeit die jüngste Umfrage. Präsident Balthasar Glättli geht nun in die Offensive.
Du bist gerade im Zug, am Wandern oder am Bügeln? Dann sieh dir hier das ausführliche Interview mit Balthasar Glättli an.
20min/Michael ScherrerDarum gehts
Die Grünen wollen eine Solarpflicht via Volksinitiative, sagt der Grünen-Präsident.
Es brauche Verbote, um die Klimakrise zu meistern.
Glättli wehrt sich aber gegen das Image der Grünen als Verbotspartei.
Herr Glättli, wird früher oder später jeder zum Grünen?
Alle Menschen, die wollen, dass wir eine lebenswerte Erde haben, werden zumindest einen Schritt in Richtung der Grünen machen müssen.
Ich frage Sie darum, weil dieser Schritt zu den Grünen momentan scheinbar nicht passiert. In den aktuellen Umfragen verlieren Sie bis zu 2,5 Prozent.
Ich habe das Gefühl, dass es bei vielen Menschen derzeit eine gewisse Frustration oder gar Depression gibt. Viele sehen zwar, dass die Klimakrise das grösste Problem der Menschheit ist, aber gleichzeitig erlebt man, dass sich die Politik viel zu langsam vorwärts bewegt. Aber diesen Menschen sage ich: Die Lösungen sind da. Das Einzige, was fehlt, um die Klimakrise zu lösen, ist der politische Wille der aktuellen Mehrheiten. Die Grünen zu stärken, hilft hier ganz entscheidend.
Wie hoch müssten die Verluste der Grünen sein, damit Sie als Präsident zurücktreten würden?
Wenn man gewinnt, war es eine Teamleistung und wenn man verliert, war es allein die Schuld des Präsidenten, respektive des Trainers, wie man im Fussball sagt (lacht). Das gehört dazu.

«Wenn man verliert, war es allein die Schuld des Präsidenten», sagt Grünen-Präsident Balthasar Glättli.
20min/Michael ScherrerWas bedeutet ein allfälliger Wahlverlust für die Bundesrats-Ambitionen der Grünen?
Erst einmal möchte ich betonen, dass selbst nach den aktuellen Umfragen die Grünen immer noch das zweitbeste Ergebnis ihrer Geschichte machen würden. Zum Thema Bundesrat kann ich sagen: «We take it one at a time», also eins nach dem anderen.
Braucht es Verbote, um die Klimakrise zu lösen?
Es braucht klare Regeln und Regeln können natürlich auch Verbote sein, ja.
Sind die Grünen eine Verbotspartei?
Nein. Das ist eine böse Kampagne unserer Gegner. Es ist falsch, so zu tun, als ob nur die Grünen für Verbote wären und alle anderen nicht. Denn jede Partei ist für gewisse Verbote. Die SVP will zum Beispiel den Genderstern verbieten! Ich finde hingegen, es sollen doch alle schreiben, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Ich brauche keine staatlichen Schreib-Vorschriften.
Letzte Woche wurde verkündet, dass es die Reserve-Gaskraftwerke für den Winterstrom noch lange brauche.
Das ist ein Skandal! Wir haben klimafreundliche Alternativen zu diesen Gaskraftwerken. Zum Beispiel könnten wir mit mehr Effizienz allein 40 Prozent des Stromes einsparen. Dazu kommt der dringend notwendige Solarausbau.
Was ist Ihr Ansatz für den Solarausbau?
Wir fordern klipp und klar eine Solarpflicht auf allen Gebäuden. Ich beantrage an unserer Delegiertenversammlung Ende August, dass wir die Solar-Initiative definitiv lancieren. Aufgrund des bisherigen Feedbacks gehe ich von einer ziemlich einstimmigen Unterstützung aus.
Es braucht eine Solarpflicht auf Dächern und Fassaden.
Wie sieht denn Ihre «Solar-Initiative» aus?
Das Volk muss durchsetzen, woran das Parlament aktuell scheitert. Auf jeden Neubau gehört eine Solaranlage. Und bei jeder grösseren Sanierung eines Hauses muss ebenfalls eine Solaranlage mitgebaut werden. Das gilt nicht nur für Dächer, sondern auch für Fassaden.
Ist diese Idee nicht aktuell schon im Parlament hängig?
Ja, eine Solarpflicht fand im «Mantelerlass Strom» zwischenzeitlich eine Mehrheit. Sie wird im September aber wohl am Widerstand des Ständerats scheitern. Um diesen Fehlentscheid zu korrigieren, braucht es unsere Volksinitiative.
Kommen wir noch zu ein paar anderen Themen. Klimakleber: Fluch oder Segen?
Weder noch. Die meisten, die im Stau stehen, fluchen zwar. Handkehrum standen diese eigentlich meist schon vorher im Stau. Unsere Aufgabe als Grüne ist nicht, uns irgendwo festzukleben, sondern im Parlament Mehrheiten für Lösungen zu finden. Darum müssten nicht nur Sympathisanten der Klimakleber die Grünen stärken, sondern auch die Kritiker: Weil wir die Lösungen voranbringen.
Es gibt aber gemäss Umfragen nur sehr wenige Menschen, die mit den Klimaklebern sympathisieren.
Das stimmt nur für die Methoden. Mit dem Anliegen an sich, nämlich der Lösung der Klimakrise, sympathisieren sehr viele.
Braucht es die Grünen wirklich? Zum einen hat die GLP auch Grün im Namen und mit der SP sind die Grünen praktisch deckungsgleich in allen Positionen.
Gerade die letzten vier Jahre zeigen, dass mehr Grüne auch mehr Umwelt- und Klimaschutz bedeuten. Wenn die Grünen Erfolg haben, führt das dazu, dass andere Parteien für Umweltanliegen offener werden. Dank dem Druck der Grünen konnten hier neue Allianzen geschmiedet und Erfolge erzielt werden. Denn wer hat den Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative, also das Klimaschutzgesetz, entwickelt? Wer hat im Nationalrat eine Mehrheit für eine Kreislaufwirtschaft gezimmert? Das waren wir, das Grüne Original.
Campax, eine Kampagnen-Organisation in deren Vorstand Sie sitzen Herr Glättli, hat in den letzten Tagen einen Kleber herausgebracht, in dem SVP und FDP als Nazis dargestellt werden. FDP-Exponenten haben daraufhin Ihren Rücktritt gefordert. Ist die FDP eine Nazi-Partei?
Nein, die FDP ist definitiv keine Nazipartei! Ich war in den Ferien, als dieser Kleber lanciert wurden, und habe nichts von dieser Aktion gewusst. Und als ich davon erfuhr, war das Sujet bereits zurückgezogen, respektive abgeändert. Ich wäre froh, wenn jede Organisation bei einem Fehler so schnell und richtig reagieren würde, wie es Campax hier getan hat.

Balthasar Glättli: «Die FDP ist definitiv keine Nazipartei!»
20min/Michael ScherrerThemenwechsel: Wann werden Sie so richtig wütend?
Zum Beispiel, wenn ich die falschen Unterlagen an einen Termin mitnehme, dann rege ich mich fürchterlich auf – über mich selbst.
Ihre Tochter ist derzeit fünf Jahre alt. Würden Sie wütend, wenn sie mit 18 SVP wählen würde?
Ich wäre nicht wütend auf meine Tochter, aber ich würde mich selbst schon ziemlich fragen, was ich falsch gemacht habe.
Was erzählen Sie Ihrer Tochter über die Zukunft?
Momentan ist sie noch zu klein für politische Zusammenhänge, aber ich versuche, in ihr die Neugier für die Zusammenhänge in der Natur zu wecken. Wenn man die Schönheit der Natur erkennt, kämpft man eher für eine lebenswerte Zukunft.
20 Minuten trifft alle Parteichefs
Damit du den perfekten Überblick über die nationalen Wahlen hast, trifft das Politik-Team von 20 Minuten im August alle Präsidentinnen und Präsidenten der namhaften Parteien, die im Bundeshaus vertreten sind. Wir sprechen mit Ihnen über Politik, ihre Ziele am 22. Oktober und Persönliches.
Ihre Partnerin, Min Li Marti (SP), ist ebenfalls Nationalrätin. Was sagt Ihre Tochter dazu, dass ihre Eltern in der Politik sind?
Sie realisiert, dass ihr Papi und ihre Mami etwas prominenter sind als die Eltern ihrer Gspänli und sie realisiert auch, dass wir oft in Bern sind, was sie nicht so toll findet.

Mit seiner Ehefrau, SP-Nationalrätin Min Li Marti, hat Glättli eine fünfjährige Tochter.
PrivatWas ist ihre grösste Zukunftsangst – und Hoffnung – neben dem Klimawandel?
Die Digitalisierung. Wir haben die Kontrolle über unsere Daten praktisch verloren, es braucht digitale Grundrechte, Datenschutz und Schutz vor Diskriminierung und Hass gerade auch im digitalen Raum. Handkehrum bietet die Digitalisierung ein riesiges Potenzial! Smartgrids für Stromnetze, die neuen Kommunikationsmöglichkeiten und so weiter, das sind grosse Fortschritte!
Letztes Thema: Es gelten dieses Jahr zum ersten Mal neue Regeln zur Transparenz bei der Wahlkampf-Finanzierung. Wie hoch ist das Budget der Grünen?
Das Ziel sind 1,6 Millionen Franken, da ist die Spende von einer Million, die wir kürzlich kommunizieren durften, schon eingerechnet.
Wie hoch ist ihr persönliches Budget?
15’000 Franken, von denen ich 5000 aus dem eigenen Sack beisteuere. Mein Wahlkampf ist günstiger als andere, da ich als Präsident schon eine gewisse Bekanntheit habe.
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