Trotz Schäden - «Hochwasserschutz in der Schweiz hat sich bewährt»

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Trotz Schäden«Hochwasserschutz in der Schweiz hat sich bewährt»

Vollgelaufene Keller, überflutete Strassen, schwimmende Autos – zahlreiche intensive Starkregen in der Schweiz sorgten mancherorts für heftige Schäden. Versagt hat der Hochwasserschutz aber nicht – im Gegenteil.

Die heftigen Starkregenfälle in den vergangenen Wochen haben vielerorts in der Schweiz für Hochwasser gesorgt. (Im Bild: Hochwasser in der Stadt Luzern, 15. Juli 2021)
Es kam zu zahlreichen Schäden. (Im Bild: ein Porsche in einer überfluteten Tiefgarage in Rotkreuz SZ)
Auch die Landwirtschaft war von den Unwetterschäden betroffen. (Im Bild:  ein überflutetes Feld im Kanton Luzern, 14. Juli 2021)
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Die heftigen Starkregenfälle in den vergangenen Wochen haben vielerorts in der Schweiz für Hochwasser gesorgt. (Im Bild: Hochwasser in der Stadt Luzern, 15. Juli 2021)

20min/Taddeo Cerletti

Darum gehts

  • In vielen Regionen sorgten die Unwetter der letzten Wochen für Hochwasser und Überschwemmungen.

  • Diese sorgten für Schäden – trotz des seit dem Jahr 2005 verbesserten Hochwasserschutzes.

  • Versagt habe dieser aber nicht, sagen Experten.

  • Trotzdem soll nachgebessert werden – wie, das ist von den Bedingungen vor Ort abhängig.

  • Entsprechend vielfältig sind die Massnahmen.

Die heftigen Regenfälle in den vergangenen Wochen haben nicht nur im Ausland für Hochwasser und Überschwemmungen gesorgt, sondern auch hierzulande. Die gewaltigen Mengen Wasser, die gebietsweise auf die Erde prasselten, sorgten dafür, dass Flüsse und Seen über die Ufer traten. Felder standen unter Wasser. Mancherorts liefen Keller, Tiefgaragen und sogar Bahnhöfe voll. Autos schwammen davon. Im Kanton Glarus war die Talstation Sattel von Wassermassen umgeben.

Versagt hat der Hochwasserschutz der Schweiz aber nicht, sagt Adrian Schertenleib, Leiter der Sektion Hochwasserschutz beim Bundesamt für Umwelt Bafu. «Er hat sich vielmehr bewährt.» Zwar habe es insgesamt so viel Regen gegeben, dass nicht alle Schäden verhindert, aber bestmöglich reduziert werden konnten: «Nach den Starkniederschlägen ab dem 20. Juni hat die Alarmierung der Bevölkerung bestens geklappt. Ab dem 7. Juli, als der Regen so langanhaltend war, hat die Regulierung der Seen – etwa beim Thuner See oder den drei Juraseen – sehr gut funktioniert. Und ganz wichtig: Es gab keine Verletzten.» Der seit 2005 verbesserte Hochwasserschutz habe den Stresstest bestanden.

Keine Patentlösung möglich

An welchen Stellen noch Nachbesserungsbedarf besteht und wie dieser aussehen muss, werden die Ereignisanalysen zeigen. Dabei werden die Geschehnisse der letzten Wochen bewertet und Verbesserungen für mögliche künftige Extremwetterereignisse geprüft. Daraus werden der Handlungsbedarf und die Prioritäten abgeleitet. «Wir werden sicher wieder unsere Lehren daraus ziehen», so Schertenleib. Ziel sei es, bestehende Risiken zu vermindern und neue Risiken zu vermeiden – «durch die optimale Kombination von Massnahmen: baulich-technische, raumplanerische, organisatorische, aber auch biologische.»

Wie die perfekte Kombination aussieht, variiert von Ort zu Ort: «Eine Patentlösung gibt es nicht, denn jedes Gewässer und jede Örtlichkeit hat andere Rahmenbedingungen, die es zu berücksichtigen gilt.» Zum Beispiel brauchen etwa Rückhaltebecken, Poldersysteme und Dämme (siehe Bildstrecke) viel Platz. Der ist aber nicht überall gegeben (siehe Box).

Andere Orte, andere Lösungen

Die Begebenheiten vor Ort und die Art der Gefährdung bestimmen, wie reagiert werden muss. Drei Beispiele:

  • Im Berner Matte-Quartier begegnet man steigenden Wasserpegeln deshalb mit mobilen Hochwassersperren, sogenannten Beaver-Schläuchen (siehe Bildstrecke). Solange bis die baulichen Hochwasserschutzmassnahmen umgesetzt werden können.

  • In der Gemeinde Lenk, wo in der Vergangenheit Schmelzwasser aus einem Gletschersee auf der Plaine Morte für Überschwemmungen im Tal sorgte, führt seit zwei Jahren ein 1300 Meter langer Entlastungskanal das Wasser kontrolliert ab.

  • An manchen Orten stellt vor allem Schwemmholz eine Gefahr dar. In Langnau am Albis ist deshalb ein Schwemmholzrechen im Einsatz. Er besteht aus 68 bis zu 4,5 Meter hohen Metallpfosten, die am linken Flussufer aufgereiht stehen. Hier verfängt sich das Schwemmholz bei Hochwasser und beugt so Schäden vor.

Mit der Natur bauen, nicht gegen sie

Für alle Beteiligten – je nach Begebenheit Fachleute wie Hydrologen, Raumplaner und Architekten, aber auch Landwirte, Privatleute sowie Gemeindevertreter – gilt: «Sie müssen mit der Natur bauen und nicht gegen sie», sagt Eawag-Sprecher Andri Bryner, selbst ausgebildeter Hydrologe.

Wie das aussehen kann, zeige etwa das Beispiel der Suhre, die sich beim letzten Hochwasser Land genommen hat. Statt sie, wie es früher noch üblich war (siehe Box), zurückzudrängen und in von Menschen bestimmte Bahnen zu lenken, habe man ihr den Platz gelassen und ihren neuen Rand gesichert, so Bryner. Der Gedanke dahinter: «Wenn Wasser durch ein schmales Gerinne gelenkt wird, dann fliesst es schneller, hat mehr Kraft und steigt höher an. Wenn das Gerinne breiter ist, fliesst das Wasser langsamer und steigt weniger. Das heisst: Dämme oder Wände müssen weniger hoch und weniger stark sein und es funktioniert trotzdem.»

Ähnlich erfolgreich ist aus Sicht des Hydrologen auch das, was der Kanton Aargau im Bereich des Wasserschlosses, wo Aare, Reuss und Limmat zusammenkommen, unternommen hat: Dort wurden Flächen früher landwirtschaftlich genutzt und regelmässig überschwemmt, was zu Ernteausfällen führte. «Daher hat man das Gebiet zum Auenpark erklärt. Heute grasen dort Hochlandrinder.»

Erste Hochwasserschutz-Versuche

Der Schutz vor Hochwasser ist schon seit vielen Jahrzehnten ein Thema, doch die ersten Anstrengungen gingen – das weiss man heute – in die falsche Richtung: Sie bestanden darin, «an Ort und Stelle Ablenkmauern zu errichten oder Wasser und Geschiebe durch gepflasterte Schalen abzuleiten», wie es in einer Schrift aus dem Jahr 2002 zum 125-jährigen Bestehen des Bundesgesetzes über die Wasserbaupolizei heisst. Doch schon bald habe sich gezeigt, dass diese Massnahmen nur von beschränkter Wirkung waren: «Die Wassermassen und Murgänge wälzten sich links und rechts der Ablenkmauer vorbei.»

Zum Paradigmenwechsel kam es endgültig nach den grossen Hochwassern 1987, erklärt Bafu-Hochwasser-Experte Adrian Schertenleib: «Seitdem ist allen Beteiligten klar, dass man Gewässer nicht bändigen kann. Vielmehr müssen Konzepte entwickelt werden, wie wir mit dem Hochwasserrisiko leben können.»

Nicht mehr nur rote Bereiche gefährdet

Doch nicht nur entlang von Flüssen kann es zu Hochwasser kommen, sondern auch ausserhalb der auf den Hochwasser-Gefahrenkarten als rot markierten Bereiche. Das haben die letzten Wochen gezeigt. «Wenn beispielsweise intensiver Regen auf Hanglagen trifft, kann es passieren, dass plötzlich alles abgeschwemmt wird und ein ganzer Bach entsteht, wo sonst nie Wasser ist.»

Auch in urbanen Gebieten kann ansteigendes Wasser schnell zu Problemen führen. Dicht bebaute Wohn- und Gewerbegebiete, aber auch Parkplätze und Strassen sorgen für weitläufig versiegelte Flächen. Durch diese kann das Regenwasser nicht mehr ausreichend in den Boden versickern und fliesst stattdessen an der Oberfläche in Kanäle und Flüsse ab. Fachleute sprechen von Oberflächenablauf. Kommen dann noch intensive und langanhaltende Regenfälle dazu, ist die Kanalisation schnell überlastet und das Wasser steigt. «Selbst der kleinste Bach kann dann zu einem Ungeheuer werden», so Bryner. «Und mitunter wird einfach die nächste Strasse zum Bach.»

Weil sich aufgrund der immer dichter werdenden Bebauung und des voranschreitenden Klimawandels derartige Vorkommnisse häufen werden, soll die Gefahr des Oberflächenablaufs nun im Rahmen der Revision noch konkreter ins Wasserbaugesetz aufgenommen werden.

Städte wie Schwämme

Eine Möglichkeit, einem solchen Szenario vorzubeugen, stellen sogenannte Schwammstädte dar, wo die Oberflächen Regenwasser aufnehmen können. Möglich machen das grüne Elemente wie Mulden, Grünstreifen mit Bäumen, Gründächer und -fassaden, über die ein Grossteil des Wassers verdunstet und vor Ort versickern kann, was wiederum den Abfluss stark reduziert. Auch sind Laubbäume besser als ihre Pendants mit Nadeln. Sie können mehr Wasser speichern. Auf das Konzept der Schwammstadt setzt etwa die Stadt Winterthur. Dort ist auch zu sehen, welche positiven Auswirkungen die Begrünung auch auf andere Bereiche hat: So wird etwa die Hitze in der Stadt reduziert.

Positive Erfahrungen werden auch aus der dänischen Hauptstadt Kopenhagen berichtet, die in den letzten Jahren besonders von Überflutungen betroffen war. Dort wird mittlerweile voll auf die Schwamm-Strategie gesetzt, sagt Hochwasser-Spezialist Andreas Zischg von der Universität Bern und dem Mobiliar Lab für Naturrisiken, einer gemeinsamen Forschungsinitiative der Mobiliar und des Oeschger-Zentrums. Das heisst: Wo möglich, wird versiegelte Fläche wieder entsiegelt und es werden Flächen für das schadlose Abfliessen von Wasser, zum Versickern und für den Wasserrückhalt geschaffen. Parks und Brachen werden noch grüner gemacht. «Bei bereits bestehenden Blockbauten mussten asphaltierte Innenhöfe grünen Wiesen weichen», so Zischg. «Dort wo früher Autos parkierten, treffen sich heute Menschen.» Von diesem Wandel profitiert auch das Klima.

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