Experten vermuten: Hohe Dunkelziffer bei illegalen Sterilisierungen von Urteilsunfähigen 

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Behörden SchätzenDunkelziffer bei illegalen Sterilisierungen in der Schweiz hoch

In der Schweiz ist es legal, Urteilsunfähige ab 16 Jahren ohne ihre Zustimmung zu sterilisieren. Experten und Behörden schätzen, dass diese jedoch oft illegal durchgeführt werden. 

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Wie Experten und Behörden schätzen, liegt die Dunkelziffer bei illegalen Sterilisierungen in der Schweiz hoch. (Symbolbild)
Immer wieder kommt es zu Anfragen von Angehörigen von Beeinträchtigten, die sich aus Überforderung an Organisationen wenden, um eine Schwangerschaft zu verhindern. (Symbolbild) 
Zahlen zu illegalen Sterilisierungen gibt es nicht, Experten und Behörden schätzen die Dunkelziffer hoch ein. 
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Wie Experten und Behörden schätzen, liegt die Dunkelziffer bei illegalen Sterilisierungen in der Schweiz hoch. (Symbolbild)

IMAGO/Wavebreak Media LTD

Darum gehts

  • Wie Experten und Behörden schätzen, gibt es in der Schweiz eine hohe Dunkelziffer von illegalen Sterilisierungen. 

  • Per Gesetz ist es nach wie vor erlaubt, Urteilsunfähige ab 16 Jahren gegen ihren Willen zu sterilisieren. 

  • Das Gesetz sieht vor, gut zu prüfen, ob es keine anderen Lösungen gibt, laut UNO trotzdem ein Verstoss gegen die Behindertenrechtskonvention. 

In der Schweiz ist es per Gesetz möglich, eine urteilsunfähige Person ab 16 zu sterilisieren. Dazu muss sie als «dauerhaft urteilsunfähig» gelten. Dabei handelt es sich oftmals um schwer Beeinträchtigte. Laut UNO ein Verstoss gegen die Behindertenrechtskonvention.

Eine solche Sterilisation ist zulässig, wenn sie unter anderem «im Interesse der betroffenen Person vorgenommen wird», «wenn mit der Zeugung und Geburt eines Kindes zu rechnen ist» oder «wenn nach der Geburt die Trennung vom Kind unvermeidlich wäre, weil die Elternverantwortung nicht wahrgenommen werden kann». Die kantonale Erwachsenenschutzbehörde Kesb muss dem Eingriff zustimmen. 

Das Bundesgesetz vom 2004, ein Verstoss gegen die Behindertenrechtskonvention.

Das Bundesgesetz vom 2004, ein Verstoss gegen die Behindertenrechtskonvention.

Screenshot Fedlex

«Das Gesetz sieht vor, gut zu prüfen, ob es keine anderen Lösungen gibt», zitiert das «Schweizer Radio und Fernsehen» den Präsidenten des Schweizerischen Verbands der Berufsbeistandspersonen, Dominic Frei. Eine Sterilisation sei «die allerletzte Option». 

Laut «10 vor 10» wurden in zehn Jahren in Bern, Zürich, St. Gallen, Luzern und Basel-Land sowie Graubünden rund 16 Personen sterilisiert. Von den Kantonen Aargau, Tessin und Wallis kriegte SRF keine Zahlen. 

Illegale Sterilisationen in der Schweiz kein Einzelfall

Bei der Behindertenorganisation Insieme wisse man aber auch von illegalen Sterilisationen, so der stellvertretende Geschäftsführer Jan Habegger. Das seien zwar Fälle von vor 30 bis 50 Jahren, komme aber heute bestimmt noch vor: So wurde beispielsweise bei einer notwendigen Blinddarmoperation zusätzlich eine Sterilisation durchgeführt, eine andere Person sei im Nachhinein darüber informiert worden, dass sie keine Kinder mehr bekommen kann. 

Auch die Co-Geschäftsleiterin bei Avanti Donne für Frauen und Mädchen mit Behinderung, Suna Kircali, vermutet eine Dunkelziffer illegaler Sterilisationen. Immer wieder erhalte sie Anfragen von Angehörigen von Beeinträchtigten, die sich aus Überforderung an die Organisation wenden, um eine Schwangerschaft zu verhindern, weil das Familienmitglied sexuell aktiv ist.

Behörden bestätigen illegale Sterilisationen 

Wie SRF schreibt, haben mehrere Präsidentinnen und Präsidenten der Kesb die Vermutung von illegal durchgeführten Sterilisationen bestätigt.

In der Region Gossau in St. Gallen soll sich ein Arzt an die Kesb gewandt haben, um die Zustimmung für eine Sterilisation zu erhalten. «Wir sollten ihm doch rasch das Formular schicken, damit er die Kreuzchen am richtigen Ort machen könne und die bereits geplante Operation vornehmen kann», so der Präsident, Andreas Hildebrand. Nachdem er dem Arzt aber erklärt habe, dass dies nicht so einfach gehe, hat er nie mehr vom Arzt gehört. Vor diesem Hintergrund frage man sich schon, wie es weitergegangen sei. «Vielleicht sogar illegal?»

An der ersten Behindertensession im Bundeshaus kam das Gesetz zur Sprache. Im Nationalrat ist ein Vorstoss hängig, der eine Sterilisation ohne Zustimmung der Betroffenen generell verbieten soll.

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