Stockende ImpfkampagneWegen Ängsten vor «Gentech» – Experten fordern Impfstoffe ohne mRNA
Einige Menschen zögern vor der Impfung, weil sie der mRNA-Impfung nicht vertrauen. Nun fordern Experten und Politiker, dass klassische Impfstoffe verfügbar gemacht werden.
Darum gehts
Unter den Ungeimpften sind oft auch solche, denen der mRNA-Impfstoff nicht geheuer ist.
«Das BAG sollte so schnell wie möglich zusätzlich einen klassischen Impfstoff gegen Corona auf den Markt bringen», sagt ein Anwalt für Gesundheitsrecht.
Mitte-Nationalrat Lorenz Hess findet, jetzt sei nicht der Zeitpunkt für Experimente.
1,4 Millionen Dosen des vektorbasierten Impfstoffs von AstraZeneca bleiben laut BAG für den voraussichtlichen Einsatz in der Schweiz reserviert.
Die tiefe Impfbereitschaft in der Schweiz droht die Erfolge im Kampf gegen die Pandemie aufs Spiel zu setzen. Bis im Herbst wird in kaum einem Kanton eine Impfquote von deutlich über 60 Prozent erwartet, wie die «Sonntagszeitung» berichtete. Für eine Herdenimmunität erachtet die Taskforce hingegen eine Durchimpfung von 80 Prozent als notwendig.
«Ich kann es allen extrem empfehlen, sich jetzt impfen zu lassen», sagte Taskforce-Chef Martin Ackermann. Zu spät sei es dafür nie. «Es ist viel besser, sich erst in einem oder zwei Monaten impfen zu lassen, als sich gar nicht impfen zu lassen.»
«Stoff wurde so schnell entwickelt»
Unter den Ungeimpften sind oft auch solche, denen der mRNA-Impfstoff (siehe Box) nicht geheuer ist. Einschlägige Flyer und Posts auf Social Media heizten die Skepsis an. Sie verteufeln den Impfstoff als «experimentell» und «neue Gentech-Impfung» – Impfschäden inklusive.
Auch Michael (30) traut dem Vakzin nicht über den Weg. «Dieser Impfstoff wurde so schnell entwickelt, dass man gar nicht wissen kann, welche Auswirkungen dieser hat», sagt der Maschinenbauer. Eher bereit für eine Impfung wäre er, wenn Alternativen verfügbar wären. «Bestünde die Möglichkeit zwischen einem mRNA-Impfstoff zu wählen und einem, bei dem harmlose Viren gespritzt werden, würde die Corona-Impfung für mich interessant.»
Gesundheitspsychologin Michèle Bowley kommen solche Bedenken bekannt vor. «Ich kenne Leute, die sich gut über die mRNA-Impfung informiert haben und trotzdem zu viele Vorbehalte haben, sich impfen zu lassen.» Durch ein Angebot von alternativen Impfstoffen könnten gewisse ungeimpfte Menschen erreicht werden, vermutet Bowley.
«Klassischen Corona-Impfstoff auf Markt bringen»
Gesundheitsexpertinnen und Politiker machen nun beim BAG Druck. Um die Impfstoffe AstraZeneca, Johnson & Johnson und Curevac sei es erstaunlich ruhig geworden, sagt Andreas Faller, Anwalt für Gesundheitsrecht und ehemaliger Vizedirektor des BAG. «Das BAG sollte so schnell wie möglich zusätzlich einen klassischen Impfstoff gegen Corona auf den Markt bringen.»
Faller rechnet damit, dass sich dann auch Menschen zu einer Impfung entscheiden, die lediglich ein Problem mit dem mRNA-Impfstoff haben. «Die Impfquote könnte dadurch deutlich erhöht werden, weil ein wichtiges Gegenargument der Kritiker wegfallen würde.»
Ungeimpfte zögerten aus anderen Gründen
Auch FDP-Nationalrat Andri Silbderschmidt würde eine vielfältigeres Impfstoffangebot begrüssen. «Je mehr Optionen geboten werden, desto mehr Leute werden sich impfen lassen.» Das erweiterte Angebot dürfe jedoch kein politischer Entscheid sein. «Welche Impfstoffe zugelassen werden, entscheidet Swissmedic und nicht die Höhe der Impfquote.»
Gesundheitsexperte Erwin Carigiet geht ebenfalls davon aus, dass ein erweitertes Impfangebot einige Menschen zum Impfen motivieren könnte. Ob klassische Impfstoffe die Impfquote dann auch wirklich massgeblich steigerten, sei jedoch schwierig abzuschätzen. «Viele zögern wohl noch mit einer Impfung, weil sie in die Ferien gehen wollen oder weil sie das Gefühl haben, die Pandemie sei jetzt vorbei.» Etwa die Bilder von vollen EM-Stadien sendeten ein falsches Signal aus.
«Niemand wird sich impfen lassen»
Massnahmen-skeptische Kreise geben mehr Impfstoff-Optionen keine Chance. «Solange unsere Freiheitsrechte am Injizieren von pharmazeutischen Produkten hängen, werden sich viele Menschen der Bürgerrechtsbewegung nicht impfen lassen», sagt Mediensprecher Michael Bubendorf. Die Art des angebotenen Impfstoffs spiele dabei keine Rolle.
Auch Mitte-Nationalrat Lorenz Hess rechnet nicht damit, dass ein breiteres Angebot die Impfquote entscheidend beeinflussen könnte. «Entweder ist man Impfgegner oder nicht.» Zudem sei jetzt nicht der Zeitpunkt für Experimente. «Wir müssen mit dem arbeiten, was wir haben und sich als gut erwiesen hat.»
AstraZeneca als Option
Dennoch könnte das Angebot bald erweitert werden. 1,4 Millionen Dosen des vektorbasierten Impfstoffs von AstraZeneca blieben für den voraussichtlichen Einsatz in der Schweiz reserviert, sagt BAG-Mediensprecherin Danièle Bersier.
Im Vordergrund steht der Einsatz laut Bersier bei Personen, die eine Unverträglichkeit gegen mRNA-Impfstoffe aufweisen, im Ausland eine erste Dosis AstraZeneca erhalten haben oder Personen, die eine alternative Impfung als den mRNA-Impfstoff wünschen. Der Impfstoff werde zur Verfügung stehen, sobald Swissmedic diesen zugelassen und das BAG und die Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF) die Impfempfehlung verabschiedet hätten.
So funktionieren die Impfstoffe
mRNA-Impfstoff
Das Coronavirus zeichnet sich durch die Spike-Proteine an seiner Hülle aus. Nachdem die messenger-Ribonukleinsäure (mRNA) in den Muskel gespritzt wurde, nehmen die Körperzellen die mRNA auf und lesen den Bauplan für die Spike-Proteine ab. Danach werden die Spike-Proteine produziert, die der Körper bisher noch nicht kennt. Da der Körper jetzt weiss, wie die Spike-Proteine aussehen, erkennt er das Coronavirus und kann es direkt unschädlich machen. Die mRNAs können im Labor schnell und effizient hergestellt werden. Auch lässt sich die mRNA einfach anpassen – etwa im Fall von Mutationen.
Vektor-Impfstoff
Dieser Impfstoff bildet Teile der Hülle des Coronavirus auf einem ungefährlichen Virus nach. Vektor-Impfstoffe sind gentechnisch veränderte und damit harmlose Viren. Die gezielt veränderten Viruspartikel schleusen das genetische Material eines Erregers in Zielzellen ein. Danach gaukelt das genetische Material dem Körper eine Infektion vor, worauf Antikörper produziert werden. Erstmals zugelassen wurden Vektor-Impfstoffe gegen Ebola.
Protein-Impfstoff
Ausgewählte Proteine des Krankheitserregers werden verabreicht. Nach der Impfung aktiviert das Erregerprotein das Immunsystem und löst die Herstellung von Antikörpern aus, die den Erreger abwehren. Diese Technologie wird bereits bei der Grippeimpfung oder Hepatitis B eingesetzt.
Hast du oder hat jemand, den du kennst, Mühe mit der Coronazeit?
Hier findest du Hilfe:
BAG-Infoline Coronavirus, Tel. 058 463 00 00
BAG-Infoline Covid-19-Impfung, Tel. 058 377 88 92
Dureschnufe.ch, Plattform für psychische Gesundheit rund um Corona
Safezone.ch, anonyme Onlineberatung bei Suchtfragen
Branchenhilfe.ch, Ratgeber für betroffene Wirtschaftszweige
Hotline bei Angststörungen und Panik, Tel. 0848 801 109
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
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