1000 Beweisfotos: In Biel werden heimlich Sofas entsorgt – und zwar massenhaft

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1000 BeweisfotosIn Biel werden heimlich Sofas entsorgt – und zwar massenhaft

Vier Tonnen Möbelstücke entsorgt die Stadt Biel jährlich. Davor stehen viele der Sofas, Sessel und Stühle auf der Strasse herum – und werden von Einheimischen auf Instagram gestellt. 

Vor Bieler Haustüren, auf Strassen und Grünflächen findet man immer wieder verwaiste Sofas vor.
In einer Instagram-Gruppe mit dem Namen bielbienne.sofa werden die herumstehenden Gegenstände gepostet. Insgesamt fast 1000 Fotos finden sich dort inzwischen. 
In Biel wird Sperrgut von der Müllabfuhr mitgenommen. Doch längst nicht alle auf die Strasse gestellten Sofas sind auch mit einer Sperrmüll-Marke versehen. 
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Vor Bieler Haustüren, auf Strassen und Grünflächen findet man immer wieder verwaiste Sofas vor.

Instagram / bielbienne.sofa

Man findet sie in den unterschiedlichsten Formen und Farben, aus den verschiedensten Materialien und in sämtlichen Stilrichtungen: Zuhauf werden auf Bieler Trottoirs, in örtlichen Parks und an Strassenecken Sofas – ja gar ganze Wohnzimmergarnituren – deponiert. Verbannt aus den Bieler Wohnzimmern, warten die ausrangierten Möbelstücke darauf, entsorgt oder bestenfalls von neuen Besitzern mitgenommen zu werden. Eine Instagram-Gruppe namens bielbienne.sofas hält dieses Sammelsurium an ausgesetzten Sofas mit fast 1000 geposteten Fotos fest.

Auf den ersten Blick sehen ihre Aufnahmen witzig, fast kunstvoll aus: Eine schwulstige Ledercouch, deponiert an einer örtlichen Bushaltestelle, ein einsames Samt-Sofa mitten auf dem Place de la Fontaine. Doch die Gruppe will mit ihren Beiträgen nicht nur unterhalten – vielmehr sollen die Fotos zum Denken anregen: «Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft. Wenn einem ein Sofa nicht mehr gefällt, schmeisst man es weg und kauft sich ein neues. Dies ist alles andere als nachhaltig», geben die Betreibenden zu bedenken.

Genug Möbel, um ganze Wohnungen einzurichten

Ein Hotspot für Müll-Entsorgende ist die Bieler General-Dufour-Strasse: «Sie ist eine begehrte Sammelstelle bei Leuten, die sich die Sperrmüll-Marken sparen wollen», sagt Joergen Marcar, langjähriger Präsident des dortigen Quartierleists. Die aktuelle Präsidentin Eveline Seiler bestätigt das Phänomen: «Man könnte mit diesen Möbeln ganze Wohnungen einrichten», so die Anwohnerin. Dies werde teils auch getan. «Immer wieder werden abgestellte Sofas, Stühle und Tische von neuen Besitzern mitgenommen.» Dieses Geben und Nehmen begrüsse sie – «problematischer wird es jedoch, wenn die heimlich hingestellten Gegenstände vor sich hin gammeln und die endgültige Entsorgung dem städtischen Dienst überlassen wird», so Seiler.

40 bis 50 verwaiste Sofas pro Woche

Im Jahr 2021 wurden in Biel vier Tonnen Möbelstücke entsorgt. Die Mitarbeitenden des Strasseninspektorats sammeln in Biel und Nidau wöchentlich rund 40 bis 50 stehen gelassene Sitzmöbel ein. Wie Fabrice Fausel, Leiter der städtischen Abfallbewirtschaftung gegenüber Ajour.ch sagt, verursachen diese ausgemusterten Sofas, Sessel und Liegen insgesamt eine Viertelstunde Mehraufwand pro Tag und Team. Zudem wird der Abfall aus Bieler Wohnzimmern in vielen Fällen gar nicht oder nur ungenügend mit Sperrmüll-Marken versehen. 

Gemäss Cyrille Mühlestein, Leiter des Bieler Strasseninspektorats, sind es wöchentlich bis zu zehn Sofas oder Möbelstücke, die die Stadt Biel ganz oder teilweise auf eigene Kosten entsorgen muss. Denn: «Abfall zieht bekanntlich weiteren Abfall an und dies möchten wir verhindern», sagt Mühlestein. Stehenlassen ist auch für Nora Steimer, Geschäftsleiterin der Interessengemeinschaft Saubere Umwelt (IGSU), keine Option: «Steht irgendwo illegal deponierter Abfall herum, führt dies oftmals zu Littering

Gratis zum Mitnehmen – oder auch um Marken zu sparen

Um gegen Abfallsünder aber dennoch irgendwie vorzugehen, helfe das Schweizer Bundesgesetz über den Umweltschutz, sagt Martin Moser, Bereichsleiter Abfall des Kantons Bern: «Wer Gegenstände ohne Sperrgut-Marke auf der Strasse deponiert, kann rechtlich belangt werden.» Bei illegalem Entsorgen können mehrere Hundert Franken Busse die Folge sein. «Zusätzlich wird Anzeige erstattet; die Kosten des Strafverfahrens werden ebenfalls auf den Verursacher übertragen», erklärt Moser.

Doch die Übeltäter ausfindig zu machen, gestaltet sich für die Gemeinde nicht immer einfach: «Gerade wenn es eine Häufung wie in Biel gibt, ist es eine Ressourcenfrage, diese Fälle zu ahnden», sagt Moser. Für die Betreibenden der Instagram-Seite bielbienne.sofa ist klar: Diese herumstehenden Sofas geben zwar einen spannenden Insta-Feed. Ansonsten sei der Abfall wohl eher «ein Graus für jedes Stadt- und Standortmarketing».

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