Der neue Jihad-Nachwuchs: Minderjährig, weiblich, mag Gewalt

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«Islamischer Staat»Der neue Jihad-Nachwuchs: Minderjährig, weiblich, mag Gewalt

In Europa breitet sich mit minderjährigen IS-Sympathisanten ein besorgniserregendes Phänomen aus. Vom Dogma der Terroristen haben sie keine Ahnung, für die Sicherheit stellen sie eine neue Herausforderung dar.

Ein Mädchen (Symbolbild) vor dem Computerschirm. Der IS holt nicht nur immer Jüngere über soziale Netzwerke ab.
Die Terrororganisation fasziniert auch minderjährige Mädchen immer stärker. Im Gegensatz zu den weiblichen IS-Mitgliedern der ersten Generation (im Bild in einem Lager im Irak) haben die jungen IS-Sympathisantinnen und Sympathisanten  ...
... vom IS-Dogma keine Ahnung. «Es ist, als würden sie die Ideologie nur als Vorwand benutzen, aber es ist nur die spektakuläre Gewalt, die sie wirklich interessiert», sagt Terrorexpertin Géraldine Cassut. (Symbolbild).
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Ein Mädchen (Symbolbild) vor dem Computerschirm. Der IS holt nicht nur immer Jüngere über soziale Netzwerke ab.

AFP

Darum gehts

  • In Europa, einschliesslich der Schweiz, radikalisieren sich zunehmend Minderjährige, darunter viele Mädchen.

  • Diese Jugendlichen sind digital aufgewachsen, nutzen soziale Medien intensiv und zeigen eine Affinität zu Gewalt, inspiriert durch IS-Videos.

  • Europäische Geheimdienste stehen vor der Herausforderung, zwischen tatsächlichen IS-Mitgliedern und solitär agierenden, radikalisierten Einzelpersonen zu unterscheiden.

In der Schweiz begann es mit dem 15-Jährigen, der in Zürich Anfang März einen Juden zu töten versuchte. Davor bekannte er sich in aller Form und auf arabisch zum «Islamischen Staat».

Radikalisiert hatte er sich in den sozialen Medien. «Die IS-Ideologie hat eine neue Generation hervorgebracht», wurde er in den einschlägigen Foren nach seiner Verhaftung gefeiert.

Gut einen Monat später verhaftet die Polizei drei Teenager in der Ostschweiz. Sie sollen Anschläge geplant und Kontakte zu anderen IS-Sympathisanten in Deutschland gehabt haben. Auch minderjährige Mädchen waren involviert.

Terrorexperten sprechen von einem neuen Phänomen, das ganz Europa erfasst hat. Eines seiner Merkmale: Die IS-Sympathisanten werden immer jünger. «Radikalisierte 15-Jährige sind keine Ausnahme mehr, sondern fast schon die Regel», sagt Terrorexperte Peter Neumann. Selbst radikalisierte 13-Jährige sind mittlerweile keine Seltenheit mehr.

Weiter bezeichnend sind folgende Punkte:

Im Netz daheim: «Sie sind vollkommen digitalisiert aufgewachsen und bewegen sich von klein auf in den sozialen Netzwerken wie Tiktok oder Youtube», sagt Terrorforscher Nicolas Stockhammer.

Gewaltaffin: «Teilweise sind sie sogar mit IS-Enthauptungsvideos aufgewachsen und abgehärtet», so Stockhammer weiter. Extremismusexpertin Géralin Casutt unterstreicht: «Es ist, als würden sie die Ideologie nur als Vorwand benutzen, aber es ist nur die spektakuläre Gewalttat, die sie wirklich interessiert.» Über den IS, seine Doktrin und Jihadismus sei kaum Wissen vorhanden.

Mädchen: «Wir sehen viel mehr Mädchen als in der Vergangenheit», sagt Terrorexperte Neumann. Es habe beim IS auch früher schon weibliche Unterstützerinnengruppen gegeben. «Das wird jetzt offensichtlicher und durch das Internet einfacher». Da Frauen und Mädchen im «echten Leben» keinen Zutritt in die Jihadisten-Szene hätten, wichen sie aufs Netz aus, wo sie sich austauschten und engagierten. Auffällig ist, dass auch die Mädchen als gewaltaffin gelten.

Somit stehen die Geheimdienste in ganz Europa vor grossen Herausforderungen. Sie müssen unterscheiden zwischen vollwertigen IS-Mitgliedern, die wie in Moskau Anweisungen für Anschläge erhalten, und Einzelpersonen, die sich im Internet radikalisieren, auf eigene Faust handeln und nicht Teil von grossen Netzwerken sind.

Letztere, gerade die Minderjährigen darunter, seien in der Schweiz, Frankreich und Deutschland überrepräsentiert, sagt Extremismusexpertin Casutt.

25 Zellen mit Anschlagsplänen

Dass es zunehmend Verdachtsfälle unter Minderjährigen gibt, macht die Sache für die Sicherheitsbehörden und die Justiz natürlich nicht einfacher.

Immerhin: Die Nachwuchs-Jihadis seien zwar auffallend gewaltaffin, so Terrorexperte Stockhammer, sie wiesen auf der Durchfühungsebene aber in vielen Fällen «durchaus Defizite» auf. Das hiesse natürlich nicht, dass sie nicht lernfähig seien.

Derweil wächst die Terrorgefahr in Europa weiter, verschärft durch Israels Krieg gegen die Hamas und die Stärkung des IS-Ablegers ISKP. Das schlägt sich in Zahlen nieder: 2022 verzeichnete Europol für das ganze Jahr und ganz Europa sechs aufgeflogene Terrorzellen. Heute zählen Experten wie Peter Neumann seit dem 7. Oktober 2023 europaweit bereits 25 zerschlagene Zellen mit Anschlagsplänen.

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