Es erkranken mehr Geimpfte an Corona – aber das ist ganz logisch

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Behauptung zu Covid-19Ja, es erkranken mehr Geimpfte an Corona – aber das ist ganz logisch

An Covid-19 erkranken vor allem die, die gegen das Virus geimpft sind – das wiederholen Gegnerinnen und Gegner der Corona-Impfung immer wieder. Damit liegen sie richtig, allerdings ziehen sie daraus die falschen Schlüsse. 

Auch bald zwei Jahre nach der Einführung der ersten Covid-19-Impfstoffe reissen die Diskussionen dazu nicht ab: Die einen sind dankbar, dass es sie gibt. Andere lehnen sie ab. 
Von Letzteren ist häufig zu hören, die Impfstoffe brächten nichts. Ausserdem würden vor allem Geimpfte krank. Doch stimmt das? 
Betrachtet man die Kolonnen im zeitlichen Verlauf scheint es, als dass der Anteil der Personen, die in der Vergangenheit mindestens einmal gegen Covid-19 geimpft worden sind, grösser ist als der von ungeimpften Personen. Dies sowohl in der Gruppe der 0- bis 64-Jährigen …
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Auch bald zwei Jahre nach der Einführung der ersten Covid-19-Impfstoffe reissen die Diskussionen dazu nicht ab: Die einen sind dankbar, dass es sie gibt. Andere lehnen sie ab. 

AFP

Darum gehts

«Krank sind vor allem die Geimpften.» Solche oder so ähnliche Aussagen über die Covid-19-Impfungen sind in den sozialen Medien häufig zu lesen. Auch in den Kommentaren bei 20 Minuten tauchen sie auf. Angeblich zeige das, dass die Impfungen nichts taugen. Einige User und Userinnen behaupten sogar, die Impfstoffe gegen Sars-CoV-2 schwächten das Immunsystem oder führten zu schlimmeren Grippeverläufen.

Doch: Es ist nicht so, wie es auf den ersten, schnellen Blick scheint. Zwar infizieren sich tatsächlich mehr geimpfte als ungeimpfte Personen mit dem Coronavirus, wie der Blick ins Dashboard des Bundesamts für Gesundheit BAG zeigt, aber daraus lässt sich nicht schliessen, dass die Covid-19-Impfung wertlos ist oder sie die Geimpften anfälliger für Corona macht.

Dashboard des BAG darf nicht allein betrachtet werden

Wer wissen will, welche Personengruppen in der Schweiz besonders häufig mit der Diagnose Covid-19 ins Spital müssen, kann einen Blick auf die Informationen zur aktuellen Covid-19-Lage des BAG werfen. Unter dem Punkt «Hospitalisationen nach Impfstatus» ist die gewünschte Information aufgeschlüsselt. Dort kann man sehen, wie gross der Anteil derjenigen ist, die «mit Impfung vor mehr als sechs Monaten», «mit Impfung in den letzten sechs Monaten», mit «unbekanntem Impfstatus» (siehe Box) und «nicht geimpft» hospitalisiert wurden.

Impfstatus unbekannt – was heisst das?

Betrachtet man die Kolonnen nun im zeitlichen Verlauf (siehe Bildstrecke) scheint es, als dass der Anteil der Personen, die in der Vergangenheit mindestens einmal gegen Covid-19 geimpft worden sind, grösser ist als der von ungeimpften Personen. Dies sowohl in der Gruppe der 0- bis 64-Jährigen als auch in der Gruppe der über 65-Jährigen.

Die Sache mit dem Prävalenzfehler

Doch der Eindruck täuscht. Denn die Zahlen des Dashboards erzählen nicht die ganze Wahrheit. Wer seine Schlüsse allein aus ihnen zieht und folgert, gegen Covid-19-Geimpfte erkrankten häufiger an Covid-19, liegt falsch. Statistikerinnen und Statistiker nennen den Irrtum, dem so Argumentierende dabei aufsitzen, Prävalenzfehler (Base Rate Fallacy). Er bezeichnet das Phänomen, dass bei der Betrachtung bedingter Wahrscheinlichkeiten vergessen wird, die Grundgesamtheit zu berücksichtigen.

Das heisst im konkreten Fall: Bei der Rechnung wird die absolute Zahl der Geimpften und Ungeimpften ausser Acht gelassen. Laut BAG sind 69,75 Prozent und damit die Mehrheit der Menschen in der Schweiz mindestens einmal gegen Covid-19 geimpft. Das bedeutet ein Verhältnis von ungefähr drei zu eins. Da sei es ganz logisch, dass sich mehr Geimpfte infizieren. Schliesslich habe es mehr von ihnen, so Manfred Kopf von der ETH Zürich.

Bezogen auf die Gesamtbevölkerung sind 69,75 Prozent der Personen in der Schweiz mindestens einmal gegen Covid-19 geimpft. Zwischen den einzelnen Altersgruppen gibt deutliche Unterschiede: Besonders hoch ist die Impfquote bei den Älteren.

Bezogen auf die Gesamtbevölkerung sind 69,75 Prozent der Personen in der Schweiz mindestens einmal gegen Covid-19 geimpft. Zwischen den einzelnen Altersgruppen gibt deutliche Unterschiede: Besonders hoch ist die Impfquote bei den Älteren.

BAG

Den Fehler, dem die Impfgegnerinnen und Impfgegner aufsitzen, verdeutlicht der Professor für Molekulare Biomedizin mit einem weiteren Beispiel: «Die meisten Toten bei einem Verkehrsunfall waren angeschnallt und nüchtern (< 0.5 Promille). Vernachlässigt man, dass 99 Prozent aller Autofahrer angeschnallt und nüchtern sind, käme man zum Schluss, dass es besser ist, betrunken zu fahren und sich nicht anzuschnallen, will man überleben.»

Auch auf Social Media wird schon lange versucht, mit Bildern, Erklärungen und Grafiken gegen den Prävalenzfehler vorzugehen:

Covid-19-Impfung reduziert Risiko schwerer Verläufe

Die Impfung schützt vor schweren Krankheitsverläufen. Aber eine Ansteckung mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 und dessen Weitergabe an andere ist, wie man heute weiss, auch bei Geimpften und Genesenen möglich.

Das BAG hat Anfang November das Coronavirus-FAQ zu Ansteckungen entsprechend aktualisiert: «Bei den anfänglich zirkulierenden Varianten, die bis etwa Mitte 2021 das Infektionsgeschehen beherrschten, konnte in Studien Hinweise für eine Reduktion der Virusausbreitung nach der Covid-19-Impfung beobachtet werden.» Das Wissen zum Schutz gegen Übertragung habe sich in Abhängigkeit der zirkulierenden Virusvarianten aber verändert: «Bei der seit Ende 2021 dominanten Omikron-Variante bzw. ihren Untervarianten gehen EKIF und BAG davon aus, dass durch eine Auffrischimpfung kein relevanter Schutz gegen Virusübertragung besteht.»

Vorteil angepasster Impfstoff

Ob und wie die neuen, angepassten Booster von Moderna und Biontech/Pfizer bei der derzeit dominanten Omikron-Untervariante BA.5 vor Ansteckung schützen, ist noch offen. Christian Münz, Professor für virale Immunbiologie an der Uni Zürich, geht davon aus, dass es «wohl etwas Schutz vor Ansteckung» gibt, wie er auf Beobachter.ch (Bezahlartikel) sagt. «Aber dieser wird nicht perfekt und nicht dauerhaft sein.»

Allerdings sind die derzeit in der Schweiz zugelassenen angepassten Impfstoffe gegen die Ursprungsvariante und den Omikron-Abkömmling BA.1 gerichtet. Beide Varianten spielen hierzulande keine Rolle mehr. Ein auf die derzeit zirkulierenden Varianten BA.4/BA.5 angepasster Impfstoff ist unter anderem in Deutschland und Österreich bereits zugelassen. Auch in der Schweiz haben Moderna und Pfizer/Biontech ein Zulassungsgesuch gestellt. Beide befinden sich noch bei Swissmedic in Begutachtung.

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